Meiningen: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2023/24“

Auch in diesem Jahr haben wir unsere Kritiker wieder gebeten, eine persönliche Bilanz zur zurückliegenden Saison zu ziehen. Wieder gilt: Ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen.

Nach dem Theater Magdeburg blicken wir heute auf das Staatstheater Meiningen.


Beste Produktion und Regie:
Madama Butterfly von Giacomo Puccini. Regisseur Hendrik Müller sieht seine Cio-Cio-San nicht als Opfer anderer, sondern als das ihrer Träume, die sich zur unrealistischen Obsession steigern. Die märchenhafte Symbiose zwischen dramatischem Schauspiel, wechselnden Farben des Himmels und hochemotionaler Musik glückt unverkitscht. Amerikanische und japanische Klischees werden augenzwinkernd, jedoch nicht albern bedient. Hier ist nichts dem Zufall überlassen.

Entdeckung des Jahres:
Gespenster von Torstein Aagard-Nilsen. Zusammen mit Regisseur Ansgar Haag überrascht der norwegische Komponist mit polystilistischer Musik und charaktertypischen Motiven in dieser berührenden Oper. Frei nach Ibsen ist nicht der untreue Ehemann die Wurzel allen Übels, sondern die lieblose Kälte einer verbitterten Frau.

Beste Wiederaufnahme:
Der Barbier von Sevilla unter der Regie von Brigitte Fassbaender. Sie verpasst ihren Figuren Menschlichkeit und Skurrilität. Alleine das raffinierte Bühnenbild eines überdimensionalen Schreibtisches ist sehenswert.

Beste Gesangsleistung Hauptrolle:
Deniz Yetim als Butterfly. Stimme und Persönlichkeit wachsen in einem Spannungsbogen vom mädchenhaft Hellen über das verstörend düster Obsessive bis hin zu Verzweiflung und Resignation mit stimmlich hoher Professionalität und kolossalem Charisma.

Beste Gesangsleistung Hauptrolle:
Johannes Mooser als Gabriel Eisenstein in Die Fledermaus. Je nach Gefühlslage, stimmlich und körperlich raumfüllend, tönt seine großartige Stimme klar und artikuliert bis in den dritten Rang.

Einzelne beste Nebenrollen hervorzuheben, wäre ungerecht. Eigentlich gilt das auch für die Hauptrollen! Das Meininger Ensemble ist – von anderen Häusern zu Recht beneidet – einfach hervorragend.

Bestes Dirigat:
Philippe Bach in Gespenster: Was in diesem hochsensiblen Werk den Figuren versagt bleiben muss, übernimmt die Musik. Kongenial zelebriert der Dirigent mit der Meininger Hofkapelle jede Regung. Wenn man Phantasie hat, offenbaren sich die Weite Norwegens, die dunkle Seite, aber auch das Licht. Zeitgenössische Werke werden oft skeptisch beäugt, aber hier hat jemand Pionierarbeit geleistet.

Beste Dirigate:
Der neue GMD Killian Farrell, blutjung, ist eine Klasse für sich und hat Konzertbesucher wie Orchester im Sturm erobert. Mit großem Enthusiasmus setzt er einerseits auf unbekannte Juwelen und eröffnet andererseits durch individuelle Interpretation der Klassiker neue Horizonte. Die Konzerte sind immer ausverkauft!

Bestes Bühnenbild:
Markus Lüpertz entwarf für Una cosa rara von Vicente Martín y Soler eine monumentale Waldkulisse, die durch wechselndes Licht in eine Märchenwelt verzaubert wird. Alles hat ein bisschen den kindlichen Charme von Kasperletheater und skurriler Kirmes. Aber Kostüme, Kulissen und Musik verschmelzen zu einer erstaunlichen Harmonie.

Größtes Ärgernis:
Torsten Merten als Frosch in Die Fledermaus kalauerte über aktuelle Missstände. Ein Spruch übertraf an Blödheit und Banalität den anderen. Sollte das der Tribut an die „RTL & Co.“ – Konsumenten sein?


Die Bilanz zog Inge Kutsche.