Nürnberg: „A Midsummer Night’S Dream“

Premiere: 15.12.2018

Es ist nicht die erste, es wird nicht die letzte Interpretation des „Midsummernight’s dream“ sein, die das Werk des Edward de Vere, 17. Earl of Oxford, auch bekannt unter seinem Künstlernamen „Shakespeare“, erfuhr. Da es sich aber um eine Deutung – und es ist eine explizite Deutung, verbunden mit einer Weitererzählung des Stücks – Goyo Monteros und des Nürnberger Tanztheaters handelt, haben wir es in keinem Fall mit einer klassizistischen Erzählung zu tun, wie sie nicht nur die Altmeister des Balletts, also Frederik Ashton und Georges Balanchine, sondern noch John Neumeier vorgelegt hat. Der Hinweis steht bereits auf dem Titelblatt: „Nach William Shakespeare“, um nicht zu sagen: „nach ‚Shakespeare’“. Zwar benutzt Montero zwei Stücke aus jener klassisch gewordenen Schauspielmusik, die nach wie vor symbiotisch mit dem Schauspiel verbunden zu sein scheint, doch bietet er kein „neckisches“, gar „romantisches“ Tanzstück, das man, bequem in seinem Sessel sitzend, genüsslich an sich vorüberlaufen lassen kann, mag auch die Musik Mendelssohns – aber auch dies ist nur scheinbar – dazu einladen. Die Staatsphilharmonie Nürnberg spielt den Mendelssohn unter Lutz de Veer ja auch ohrenschmeichelnd, bisweilen etwas krachend.

Wieder hat Montero „seinen“ Komponisten Owen Belton ins Boot geholt, und wieder fand Belton krasse, aggressive und finstere, bisweilen schroffe geräuschhafte Töne: als Begleitmusik zu einem Psychodrama. Im Übrigen kam Montero auf die naheliegende Idee – ist eigentlich schon ein anderer Choreograph darauf gekommen? -, weitere Musik Mendelssohns in die Partitur zu integrieren: aus den Symphonien „Lobgesang“, der „Reformationssymphonie“ und der „Italienischen“. Wer noch die üppige, gleichsam spätviktorianische Verfilmung des Stücks mit Michelle Pfeiffer, Kevin Klein, Rupert Everett und Sophie Marceau im Gedächtnis hat, wird sich an die Drehorte in der Toscana erinnern. Schon damals wirkte die Lokalisierung des Stücks in Norditalien überzeugend, und dies wohl auch, weil dem Earl of Oxford das „Klein-Athen“ des herzoglichen Planstädtchens Sabbionetaals unmittelbare Vorlage für das „Athen“ seines Stücks diente. Wer’s nicht glaubt, möge nachlesen, was Richard Paul Roe über die Italienbezüge der Werke „Shakespeares“ am Ort und in den Archiven herausfand: https://politicworm.com/oxford/oxfords-education/travel-shakespeares-italy-with-richard-roe/

Nun begleitet der wilde Saltarello aus der „Italienischen Symphonie“ das böse Treiben Pucks, eines Wesens zwischen Baum und Elementarwesen, Mensch und Elf.Alexsandro Akapohi tanzt ihn in Monteros Sprache, die zwischen Pantomime und Modern Dance so vermittelt wie der „score“ zwischen klassischer Romantik und Moderne. Puck aber ist kein anderer als der von den Gestalten aus der Anderswelt geraubte Sohn Zettels; die Idee, das Stück mit dem „Erlkönig“ (gesungen von Fischer-Dieskau) und einem wie üblich souverän inszenierten Reiterstück beginnen zu lassen, ist so verblüffend wie überzeugend.Oscar Alonso mutiert als Vater vom agilen Mann zum Clochard: bis er sich zum letzten Mal – hier liegt die wahre Tragödie dieser Shakespeare-Weitererzählung – von seinem Sohn zu trennen hat. So wird der Mythos weitergedacht, so erhält er eine poetische Grundlage, die der komplexen Geschichte um Liebe und Liebeswahn, Traum und Albtraum, eine weitere Schicht einzieht, die aus der komisch angelegten eine tragische Figur macht. Nein, heiter ist nichts in diesem verwirrenden Wald der Gefühle, dessen Dunkelheit von der Beltonschen Musik akkompagniert wird. Doch gönnt Montero seinen Helden am Ende doch so etwas wie Glück, wenn er aus der 2. und 5. Symphonie die elegischen langsamen Sätze herbeizitiert.. Er liefert seine Paare nicht, was möglich und üblich wäre, der Verzweiflung über ihre (eminent körperbetont) ausgetragenen Verstreitungen aus, sondern lässt sie schließlich wieder oder zum ersten Mal zueinanderkommen.

Auch Oberon und Titania vereinigen sich von Neuem, nachdem sie sich bis aufs Blut gestritten haben: in Seilen hängend, ein zauberhaftes wie teuflisch verkettetes Paar bildend. Rachelle Scott und Luis Tena, dieses überragende Paar aus der Zauberwelt des Goyo Montero schenkt sich nichts, bevor sie, das Luftwesen (daher eindeutig überlegen), dem Erdmann seine silberglänzenden Elfenkleidung abstreift. Symbolismus pur – aber mit welcher gestischen Ausdruckskraft! Die beiden Paare, die zueinander und doch nicht zueinander gehören, weil ein fauler Zauber genügt, die Beziehungen im Innersten sichtbar zu machen, werden von Nuria Fau (Hermia), Esther Pérez (Helena), Dayne Florence (Lisander) und Joel Distefano (Demetrius) durchaus unterscheidbar getanzt, obwohl sie in ihren Affekten ähnlicher sind, als es sich die Figuren vermutlich wünschen. Zu den Eigenheiten der Monteroschen Geschichtenerzählungen aber gehört immer das äußerst vitale Wiederspiel von Individuum und Masse. Die Compagnie, die im „Hochzeitsmarsch“, einem engen, zeremoniellen Schaustück in den Hofgewändern der Zeit des Earl of Oxford, betont zackig im Corps auftritt, macht schon schnell eine interessante Mutation durch: Kaum sind die hohen Herrschaften verschwunden, beginnt ein Zanken und Kreischen, das sich zu einem ungeheuren Chaos steigert: als Vorgeschmack auf das, was sich zwischen den Paaren dieser buchstäblichen Nacht noch zutragen wird.

Montero hat, zusammen mit seiner Bühnengestalterin Eva Adler und dem kongenialen Lichtmacher Karl Wiedemann, seine Menschen diesmal in einen Raum gestellt, der sich zum einen durch eine beständig sich bewegende Schräge, zum anderen durch Seile mit montierten Lichtelementen auszeichnet. Man steht und tanzt hier förmlich in einem unheimlichen Zauberwald, in dessen Lianen man sich leicht verstrickt, und unter dessen Blitzlichtern sich die extatische Zuneigung der verzauberten Titania zum armen Eselskopf Zettel buchstäblich austobt, nachdem dieser auf die großartige Idee kam, wieder einmal das Stück von Pyraus und Thisbe zu inszenieren – doch diesmal mit den beiden Menschenpaaren (und mit einer grotesk verjaulten Synchronisation).

Keine Romantik, keine Erleuchtung, nirgends – bis der Zauberer Montero sich entschließt, mit dem Stücktext in der Hand den armen Verwirrten die Erlösung von ihren Qualen zu gönnen. Am Ende, ja, steht so etwas wie Liebe. Wer Montero kennt, weiß, dass er zusammen mit seinen wunderbar agilen, zärtlich wie brutal auftretenden Tänzern, alles kann: den heftigsten Streit – und die liebevollste Versöhnung. Der Rest ist nicht Schweigen, sondern das Brahms-Lied „Gestillte Sehnsucht“, gesungen von Kathleen Ferrier. Wer diese Aufnahme kennt, weiss, wie innig es klingen kann, ja muss: https://www.youtube.com/watch?v=EcYN5jnvsO0 Nur einer bleibt einsam zurück: der Mann, mit dem der Abend begann.

Kein Wunder, dass auch diesmal, nach 90 dichten und erfindungsreichen Minuten, die dem Ouevre des Choreographen einen weiteren, noch nicht gekannten Stein in die Krone setzten, das Publikum lange und frenetisch applaudierte.

Frank Piontek, 16.12.2018

Fotos: © Jesús Vallinas