Nürnberg: „Meisterklasse“

Premiere: 14.11.2018

„Sie war ungebildet, primitiv in ihren Regungen von Hass und Liebe, abergläubisch religiös, vom Geld besessen (daraus resultierte ein Teil der Attraktivität Meneghinis, in viel gigantischerem Ausmaße natürlich die von Aristoteles Onassis). Sie war kleinlich, engstirnig und bösartig gegenüber echten und vermeintlichen Feinden, von kindlichem Egoismus beseelt und entsprechend grausam. Selbst gute Freunde mussten zugeben, dass Abende mit ihr nicht unbedingt anregend waren, denn außer über sie selbst, ihre Karriere, ihre Auftritte, ihre Kleider und ihren Schmuck konnte man mit ihr über nicht eben viel sprechen, schon gar nicht über ihre Rollen, die sie sich nicht durch Reflexion erzwang, sondern durch Instinkt und Intuition erzwang.“ Zudem steht und stand ihre Stimme bei Vokalexperten nicht gerade in einem hohen Ruf: ein hässliches Timbre, ein dünner Ton, hartes Metall statt Schmelz, ein gutturaler Klang beim Übergang vom tiefen zum mittleren Register, all das wurde diagnostiziert – und doch gilt die Callas als eine der größten, für viele Kenner als die größte Sängerin wohl nicht nur des 20. Jahrhunderts. Für Jens Malte Fischer, einem eminenten Sängerkenner, dem wir das Eingangszitat verdanken, das wir in seinem wunderbaren Große Stimmen“-Buch finden, war sie die Opernsängerin der letzten 400 Jahre (obwohl er, glaube ich, weder die Malibran noch die Catalani je live erlebt hat). Sie war, alles in allem, ein Ereignis, das bis heute – und wohl noch die nächsten Jahrhunderte – tief beeindrucken, aber auch polarisieren wird. „Ich bin ka Fan von der Callas“, wie eine Besucherin in der ersten Pause bemerkte. Selber schuld, dachte sich der Rezensent.

Etwas von diesem einzigartig Ereignishaften, zugleich Abstoßenden wie Faszinierenden, Egomanen wie Bannenden hat Terrence McNally in seinem Meisterstück „Meisterklasse“ eingefangen: eine Performance für eine herausragende Schauspielerin, einige wenige Sänger und einen Pianisten (und einen stummen, aber auffallenden Bühnenarbeiter). 1971/72 hat die Diva einige Meisterklassen in der Julliard School of Music gegeben; der Autor, dessen „Catch me if you can“ gerade seine Nürnberger Erstaufführung erlebte, hat einiges Material in sein vielgespieltes Stück eingearbeitet. Für das Callas-Stück von 1995 erhielt er zwei bedeutende Theaterpreise; man versteht’s, wenn man Annette Büschelberger auf der Bühne sieht. Seit über 20 Jahren spielt sie nun schon die „Maria“, wie ihre Rolle im Programmheft benannt wird – aber spielt sie nicht noch mehr? Die verlassene Frau an sich? Denn die Callas dieser „Meisterklassen“ bezieht – egoman und dramaturgisch völlig verständlich – ihre negative, aber bewegende Energie aus der totalen Identifikation mit ihren großen Rollen. Egal, ob sie den ahnungslosen Eleven, die „nur singen“ wollen, die Sonnambula oder die Lady Macbeth – ganz abgesehen von der archetypischen Verlassenen, der Medea – erläutert und/oder vorspielt, sie ist sie immer die von Onassis gedemütigte, beleidigte, in den Schatten gestoßene Frau, damit stets sie selbst. Dies aber war die wahre Callas: eine Frau, deren Rollenporträts bis heute vorbildlich sind – bei allen stimmlichen Defiziten, die nicht die Überzeugungskraft eines darstellenden Sängers ausmachen.

Ja, diese „Maria“ ist unerträglich arrogant, widersprüchlich, sprunghaft, divenhaft, unverschämt – aber hat sie, künstelrisch betrachtet, nicht immer recht? Es geht nicht ums „reine Singen“, sondern um die „Wahrheit“. Sie beleidigt den Sopran, der overdressed in die Klasse kommt – „Gehen Sie anschließend noch aus?“ – und scheucht die kleine Koreanerin von der Bühne, als die nicht so schnell begreift, was Singen vom Sein unterscheidet. Sie plaudert mit dem Publikum, den anderen Schülern, auf die sie herabschaut, wirft immer wieder Spitzen ins Parkett – und reißt ihr Herz auf, als sie sich an die großen Rollen erinnert, die gerade von den kleinen Schülerinnen probiert werden. Der Regisseur Manuel Schmitt hat zusammen mit Bernhard Siegl einen einfachen, getreppten Raum geschaffen, der sich an den beiden Opern-Stellen in Lichtschneisen öffnet, die der Diva (schwarzes, fast antikisierendes Kostüm an einer schlanken Frau) pathetische wie erschütternde Auftritte ermöglicht. Zwei Geistergespräche konfrontieren die fast Schizoide mit den männlichen Gespenstern ihrer Vergangenheit: mit dem alten Meneghini und dem vulgär-brutalen Onassis, der sie wie eine heiße Kartoffel fallen ließ. Ja, diese „Maria“ ist eine „schwierige“ Frau – klar, sagt sie an einer Stelle, die Kunst und damit Alles ist natürlich schwierig -, aber sie ist auch ein Opfer ihrer selbst. Annette Büschelberger macht das grandios. You love to hate her – aber am Ende siegt so etwas wie Verständnis. Wäre sie „normal“ gewesen, wäre sie schließlich nie die Callas geworden.

An ihrer Seite sitzt ein Korrepetitor, jung und verdruckst, in summa ein netter Typ: Francesco Greco vom Internationalen Opernstudio Nürnberg. Gleichfalls aus dem Studio: Nayun Lea Kim, die die Arie der Amina singt. Wir begreifen, was schon wenige deutliche Hinweise auf die Rolleninterpretation zu bewirken vermögen. Singt Frau Kim die Herzschmerzen des Mädchens zunächst im Unschuldston heraus, beweist sie im nächsten Versuch, dass mit einer lyrischen Stimme ein wenig mehr an Inbrunst drin ist. Der gutaussehende und mit seinem offensichtlich typisch sein sollenden Gehabe komische Tenor – eine Gelegenheit für die Diva, einen Tenorwitz zu machen – singt die erste Arie des Cavaradossi; Chang Liu, auch er aus dem Opernstudio, macht das so schön, dass selbst die Lehrerin stumm bleibt. Und die „weitere Sopranistin“, die an die Briefszene der Lady Macbeth herangeht und erst einmal die Ohren lang gezogen bekommt, weil sie ihren Shakespeare nicht kennt, ist mit Rafaela Fernandes gut besetzt. Sie setzt den Schlusspunkt, weil sie im Finale die Callasbüste zertrümmert, die wie eine erstarrte Kopie der Sängerin selbst auf der Bühne stand. Soviel Symbolik in diesem so logisch wie typmässig vielfältigen und daher verschiedenste Situationen ermöglichenden Stück muss sein.

„Soso“, sagt die Callas und geht bald mit Alfredo, dem Pudel (gespielt von Alfred) ab. Das Denkmal Callas wurde bereits zu Beginn des Abends gestürzt und zugleich neuerrichtet: als ätzende wie faszinierende, rechthaberische und doch so oft rechthabende Frau, als ganzer Mensch.

Sehr langer Beifall für Annette Büschelberger und die gute Truppe, die wie im Nebenbei beweist, dass in der Zusammenarbeit zwischen Oper und Schauspiel schönste und spannungsreichste Abende entstehen können – vorausgesetzt, man hat es mit einer exzellenten Darstellerin und einem hochunterhaltsamen wie lehrreichen Stück zu tun: für Opernfreunde und solche, die es werden sollten.

Frank Piontek, 15.11.2018

Fotos: © Konrad Fersterer