Wiesbaden: „Il trovatore“

Premiere: 19.09.2021, besuchte Vorstellung: 26.06.2022

Geisterstunde in Wiesbaden

Lieber Opernfreund-Freund,

Verdis Dauerbrenner Il Trovatore in der düsteren Lesart von Philipp M. Krenn geht nach der Premierenserie im vergangenen Herbst in die zweite Runde. Beschränkt sich die Regie auf eine schöne Bebilderung ohne Mehrwert fürs Werk, lässt die musikalische Seite hingegen aufhorchen.

Der österreichische Regisseur Philipp M. Krenn versucht sich bei seinem Troubadour an einer übersinnlichen Deutung. Dazu hat er die Welt der Geister ins Visier genommen, spiegelt einzelne Figuren, hüllt sie in an Schleier erinnernde Plastikfolien und bemüht die Symbolismen des mexikanischen Día de los Muertos, um seine düstere, obskure Interpretation zu visualisieren. Einen Mehrwert für das Verständnis der ohnehin schon verworrenen Geschichte bietet dieser Ansatz nicht und auch das Programmheft des Staatstheaters Wiesbaden leistet dabei keine Hilfestellung, erschöpft sich eher in Besinnungsaufsätzen über Rache, Liebe und Schicksal, anstatt das Regiekonzept in irgendeiner Form zu erklären – wenn es die Regie selbst schon nicht tut. Dabei hat der Bühnenbildner Rolf Glittenberg dem Regisseur eine eindrucksvolle, Verfall und Melancholie preisgegebene Kulisse auf die Bühne gestellt, historische Möbel (außer der Badewanne, deren Sinn sich mir ebenso wenig erschlossen hat wie der Regieansatz selbst) verstärken zusammen mit den hinreißenden Kostümen, die seine Frau Marianne Glittenberg entworfen hat, die Morbidität der Szene. Meisterlich hingegen führt Krenn die Personen und den von Albert Horne exzellent betreuten Chor, der immer die passende Stimmung parat hat – ob als kämpferische Soldaten, okkulte Totenmasken oder als zarter Nonnenchor – und darüber hinaus mit einem hohen Maß an Präzision glänzt.

Sängerisch habe ich überhaupt wenig zu beanstanden am gestrigen Abend. Elena Bezgodkova erweist sich als einfühlsame Leonora mit warmem Timbre, verkörpert stimmlich wie darstellerisch die innere Zerrissenheit ihrer Figur in idealer Weise. Aaron Cawley ist ein gewohnt stimmgewaltig auftrumpfender Manrico. Sein hörbares Abmühen in der Stretta verzeihe ich ihm schnell, so gefühlvoll und metallisch glänzend überzeugt sein Tenor mich im letzten Bild gleich wieder als fürsorglicher Sohn und eifersüchtiger Liebhaber. Die Azucena von Jordanka Milkova kommt düster und undurchsichtig daher. Die Bulgarin packt mich mit ihrer Mischung aus Rachedurst und von schmerzhaften Erinnerungen geplagter Frau, die ihren Ziehsohn, den sie wie den eigenen liebt, opfert, um ihren Racheauftrag zu erfüllen. Schlicht eine Wucht ist Aluda Todua als Conte di Luna; der Georgier zieht alle Register seines facettenreichen, vor Kraft strotzenden Baritons und wird so mein Star des Abends. Young Doo Park hat als Ferrando einen imposanten Auftritt und auch die kleineren Rollen lassen keine Wünsche offen.

Alexander Joel hat die Partitur des Trovatore in einem Interview als „voller Drive“ beschrieben und interpretiert sie genau so, überrascht durch zahlreiche, teils halsbrecherische Tempiwechsel – an der einen oder anderen Stelle offensichtlich sogar das Sängerpersonal. So kommt es gleich mehrmals zu hörbaren Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Bühne und Graben. Wo der Parforceritt allerdings gelingt, zu dem der britische Dirigent die Musikerinnen und Musiker des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden anspornt, erklingt ein spannender, emotionsgeladener Verdi, der aufwühlt und bewegt. Bis Mitte Juli ist dieser Trovatore noch dreimal in der hessischen Landeshauptstadt zu erleben.

Ihr
Jochen Rüth

27.06.2022

Die Fotos stammen von Karl & Monika Forster und zeigen zum Teil die Alternativbesetzung.