Wiesbaden: „Jenůfa“

Bericht von der Premiere am 29. November 2018

Rundum geglückt

Das Staatstheater Wiesbaden baut seine Janáček-Kompetenz weiter aus. Nach der mustergültig gelungenen Katja Kabanova vor zwei Jahren ist nun mit Jenufa erneut eine szenisch stimmige und musikalisch beeindruckende Produktion zu erleben. Bereits die ersten Töne aus dem Orchestergraben lassen aufhorchen. Atmosphärisch dicht, zugleich aber locker und transparent und dabei rhythmisch präzise führt Generalmusikdirektor Patrick Lange sein bestens vorbereitetes Orchester durch die anspruchsvolle Partitur. Die vielen Anklänge an böhmische Volksmusik werden herzhaft und saftig herausgearbeitet, ohne daß der Klang dabei in platte Folklore umkippt. Die bei Janáček so wichtigen Holzbläser zeigen sich in guter Form, die Streicher spielen kernig und unsentimental auf, das Blech ist gut in den Gesamtklang eingebunden. Lange führt sein Orchester an der kurzen Leine und verlangt von ihm minutiöse Abstufungen bei Tempo, Dynamik und Klangfarben. Seine Musiker folgen ihm auf den Punkt.

Dazu kommt ein Sängerensemble ohne Schwachstellen. Wie schon in Katja Kabanova sind die beiden weiblichen Hauptrollen Sabina Cvilak (Jenufa) und Dalia Schaechter (Küsterin) anvertraut. Sabina Cvilak überzeugt erneut mit ihrer lyrisch grundierten, mitunter idiomatisch herben Stimme, die zu großer dramatischer Expansion fähig ist. Wie schon als Katja Kabanova zeigt sie eine große Bandbreite an Klangfarben, jugendlich frisch zu Beginn, im weiteren Verlauf aber mit einem Ton der Trauer, der nichts Larmoyantes hat. Szenisch wird sie von Dalia Schaechter noch übertroffen. Ihr Porträt der Küsterin ist von einer beinahe schmerzlichen Intensität. Noch bevor sie den ersten Ton singt, zieht sie mit ihrer Bühnenpräsenz alle Blicke auf sich. Man muß das Textbuch nicht gelesen haben, um zu erkennen, daß diese Frau in ihrem Dorf eine Autorität darstellt. Schnell wird sie zur zentralen Figur des Abends. Man fühlt mit ihr bei der Sorge um das Wohl der Stieftochter, erlebt ihre Zerrissenheit, ist entsetzt von ihrem Entschluß, den unehelichen Säugling als Quelle gesellschaftlicher Ächtung aus dem Weg zu räumen und muß schließlich mit ansehen, was der Säuglingsmord aus der Täterin macht. Schaechter zeichnet das Bild einer Frau, die von ihrer Schuld in den Wahnsinn getrieben wird. Wie eine Angeklagte steht sie auf der Bühne mit nach innen gewendetem, halb irrem Blick, mit Gesichtszügen, in denen sich blitzartig wechselnde Stimmungen spiegeln. Der rechte Arm zuckt unkontrolliert, die vormals streng geordnete Frisur löst sich auf. Daß dies nicht zur Karikatur gerät, sondern zu einem stimmigen, erschütternden Porträt, ist eine der herausragenden Leistungen des Abends. Zur Vielschichtigkeit und Zerrissenheit der Figur paßt auch, daß Schaechter völlig unterschiedliche Stimmregister nebeneinanderstellt. Zu Beginn hört man eine zurückgenommene, dunkel abgetönte Farbe. Dann blitzen immer wieder Töne eines reifen, hochdramatischen Mezzosoprans auf. Nur wenige Phrasen erinnern an die giftig keifende Schwiegermutter aus Katja Kabanowa. Es gibt bei ihr keinen Schöngesang, sondern genau auf den Text bezogene Expressivität.

Dalia Schaechter als Küsterin

Sehr gut kommen die beiden Tenöre mit ihren teilweise unbequem hoch liegenden Partien zurecht. Aaron Cawley als Steva präsentiert seinen kraftvoll jugendlichen Tenor in Bestform. Den leichtsinnigen Hallodri kauft man ihm ohne weiteres ab. Daniel Brenna hat die wichtige Rolle des Laca als Einspringer kurzfristig für den erkrankten Paul McNamara übernommen, läßt sich aber keine Unsicherheit anmerken. Er zeichnet das Gegenbild zum aufgekratzten Steva und gibt sich rollenadäquat zunächst steif und introvertiert. Seine Stimme aber klingt wunderbar unangestrengt und gut geführt. Anna Maria Dur zeigt in der Rolle der Großmutter Buryia, daß man eine alte Frau mit wohltuend frischer Stimme ohne musikalische Abstriche glaubhaft darstellen kann.

Gisbert Jäkel hat dazu ein schlichtes, aber stimmiges Bühnenbild ersonnen. Die Szenerie vor der Mühle zu Beginn wird mit schlichten Bretterwänden angedeutet. Der zweite Akt zeigt dann naturalistisch das Innere des Wohnhauses der Küsterin. Der dritte Akt spielt vor diesem Haus. Der Umbau im Übergang vom ersten zum zweiten Akt findet auf offener Bühne statt. Die Darsteller bleiben einfach stehen, die Stube wird langsam gedreht, bis ihre Außenseite erscheint.

Die Regie von Ingo Kerkhof ist ebenso schnörkellos. Sie konzentriert sich ohne Regietheatermätzchen auf das Erzählen des tragischen Stoffes. Dabei gelingt es dem Regisseur, ein eindringliches Kammerspiel von großer Dichte und sich immer weiter steigernder Intensität zu entwickeln. Dieser Regieansatz sollte gerade für solche Zuschauer hilfreich sein, die dem Stück zum ersten Mal begegnen.

Der Premierenapplaus ist für alle Beteiligten ungebrochen stark. Schaechter und Cliviak werden verdientermaßen gefeiert.

Weitere Vorstellungen gibt es am 6., 12., 15., 20. und 28. Dezember.

Michael Demel, 1. Dezember 2018

© der Bilder: Karl und Monika Forster