Wiesbaden: „Jenůfa“

Kaum zu glauben: es mussten Jahrzehnte vergehen, bis das Staatstheater Wiesbaden sich entschloss, endlich einmal wieder Leos Janaceks Meisterwerk „Jenufa“ zu präsentieren! Gewählt wurde die Originalsprache und die sog. „Brünner Fassung“, die der Originalfassung entsprechen soll. Gerade bei Janacek, der so sehr vom gesprochenen Wort her seine Opern komponierte, wäre es eine bessere Entscheidung gewesen, wenn Wiesbaden sich für eine deutschsprachige Einstudierung entschieden hätte. Dies hätte dem Publikum das Stück wesentlich näher gebracht, zumal kein tschechischer Muttersprachler zum Ensemble zählte.

Regisseur Ingo Kerkhof erzählt stringent, plausibel und nachvollziehbar die Handlung. Dabei vermeidet er jegliche ländliche Koloristik, wenngleich das Geschehen erkennbar in einer vergangenen Zeit spielt. Zunächst gibt es ein Vorspiel vor Beginn der Oper. Zu folkloristischer Musik aus einem Grammophon formieren sich die verschiedenen Generationen der Familie Buryia, bis dann im Jahr 1900 die Oper beginnt. Das Bühnengeschehen wirkt stilisiert, zuweilen auch minimalistisch, ja tritt erkennbar deutlich hinter die Musik zurück. Jenufa wirkt durchweg ernst, was ihr viele Facetten nimmt. Ebenso ist Laca in der Rollenzeichnung erstaunlich blass. Nichts Getriebenes, kein Jähzorn ist zu erleben, so wirkte der Schnitt mit dem Messer an Jenufas Wange eher zufällig. Die Küsterin wird vor allem als leidenschaftliche Frau gezeichnet, die für das Glück ihrer Ziehtochter kämpft. Das sie das moralische Oberhaupt der Dorfgemeinde ist, lässt sich kaum erahnen. In der Führung des Chores im ersten Akt gibt es eine erstaunliche Zurückhaltung. Stevas Jubelgesang über seine Ausmusterung geriet hier eher nett als aus dem Ruder laufend. Auch der Bühnenraum von Gisbert Jäkel und die schlichten, z.T. ländlichen Kostüme von Sonja Albartus unterstützen diese zurückhaltend wirkende Interpretation.

Als Jenufa war Sabina Cvilak zu erleben. Ihre herbe Stimme passt gut zum Rollencharakter. Leider erklangen viele Töne in der Höhe eher kehlig. Kaum nutzte sie die Chance zur dynamischen Gestaltung. Zu oft suchte sie Zuflucht im Forte und stellte somit die lyrischen Anforderungen zu weit in den Hintergrund. Dominiert wurde der Abend von der überragenden Küsterin von Dalia Schaechter. Hier war keine alternde Dorfhexe zu erleben, sondern zu allererst eine liebende Ziehmutter, die im Affekt großes Unheil verursacht und darüber zerbricht. Schaechter sang und spielte das mit großer Wucht, fand aber auch die notwendigen Zwischennuancen, ebenso wie manch grellen Wahnsinnston. Dazu zeigte sie auch eine gute Durchdringung des Textes. Auch in der Darstellung, der Körpersprache und ihrer Mimik war sie ungemein überzeugend.

Als Laca war ursprünglich Paul McNamara vorgesehen. Krankheitsbedingt fiel er aus, so dass für ihn Daniel Brenna zu erleben war. Brenna hatte bereits den Laca an der MET gesungen und zeigte eine respektable Leistung. Darstellerisch präsent, vermochte er auch mit seinem raumgreifenden Gesang zu beeindrucken. Als Rollencharakter wirkte er jedoch viel zu blass, zu brav und war nicht der Aufbrausende, der zu oft am Rande stand und schließlich doch noch die Liebe findet.

Steva wurde in der stimmpotenten Gestalt von Aron Cawley deutlich aufgewertet. Mühelos kam er mit den unangenehmen hohen Intervallen seiner Partie zurecht. Darstellerisch war er ein glaubwürdiger Bruder Leichtfuß. Insgesamt seiner bisher beste Leistung in Wiesbaden.

Anna Maria Dur war als Alte Buryia sehr präsent und stimmlich sattelfest, wie auch der köstliche Richter von Hans-Otto Weiß und Annette Luig als dessen Frau. Auch die übrigen Partien waren gut besetzt. Verlässlich wie immer die gute Choreinstudierung von Albert Horne.

GMD Patrick Lange am Pult des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden entschied sich für eine sehr weiche Lesart der Partitur. Gut traf er den Puls der Musik, vermied jedoch notwendige Härten. Völlig verschenkt erklangen das Vorspiel zum 2. Akt und das gespenstische Finale dieses Aktes. In rekordverdächtiger Harmlosigkeit tönte es da vor sich hin. Insgesamt wirkte seine Interpretation sehr akademisch, zu deutlich auf Sicherheit bedacht. Das Orchester war gut präpariert und spielte kultiviert. In den so wichtigen Instrumentalsoli, wie z.B. im großen Violinsolo des zweiten Aktes fehlte hingegen der sehrende Seelenton, der bei Janacek so charakteristisch ist.

Die Premiere war leider schwach besucht. Davon abgesehen spendete das halbvolle Haus anerkennenden Beifall für alle Mitwirkenden.

Dirk Schauß 3.12.2018