Bremerhaven: „Anything Goes“

Premiere am 19.09.2015

Eine Seefahrt, die ist lustig

Da ist dem Stadttheater Bremerhaven wieder ein toller Coup gelungen. Schon zum dritten Mal hat Intendant Ulrich Mokrusch ein Musical an den Beginn der Spielzeit gesetzt. Nach „Singin’ in the Rain“ und der „West Side Story“ war es diesmal „Anything Goes“ von Cole Porter. Das Musical entstand 1934 – Porter selbst nannte es „eine seiner zwei perfekten Shows“. Mit der anderen meine er „Kiss me, Kate“. Vielleicht ist der Titel „Anything Goes“ nicht jedem geläufig, aber die darin enthaltenen Songs sind es allemal. Es ist wie eine Hitparade von Porter-Titeln: „I get a kick out of you“, „It’s de-lovely“, „Easy to love“ und viele andere gehören dazu. Sie alle sind von Interpreten wie Frank Sinatra, Ella Fitzgerald oder Louis Armstrong bis heute jedem im Ohr. Denn es ist einfach so: Die musikalische Qualität der „guten alten Stücke“ ist hervorragend und unterscheidet sich wohltuend von der Klang-Soße vieler heutiger Musicals – von der Vielfalt der Melodien und der Originalität des Orchestersatzes ganz zu schweigen.

Gleich bei der schmissigen Ouvertüre ist man entzückt von der jazzigen Musik, die vom Philharmonischen Orchester Bremerhaven hervorragend umgesetzt wurde. „Die Musiker wissen, wie Musical läuft“, meinte Dirigent Ido Arad in einem Gespräch. Und das war auch zu hören. Da blieb in Sachen Schwung, Rhythmus und Präzision kein Wusch offen. Der Streicherapparat war auf eine einzige Geige reduziert, hier hatten die Bläser das Wort. Und was sie zu sagen hatten, war einfach mitreißend. Ido Arad und das Orchester beherrschen das Musical-Genre perfekt. Wie das Orchester und die Solisten die vielen klassischen Songs von Cole Porter, von denen viele Eingang in das „American Songbook“ gefunden haben, zum Leben erweckten, war eine Klasse für sich.

Was passt besser zu Bremerhaven als eine Handlung, die auf einem großen Schiff spielt? „Anything Goes“ ist eine pfiffige Slapstick-Komödie mit vielen Verwechslungen und skurrilen Situationen. Ort des Geschehens ist besagter Dampfer auf der Überfahrt von New York nach London. An Bord tummeln sich der Wall-Street-Makler Whitney und sein Assistent Billy Crocker, der sich aus verzweifelter Liebe zu Hope Harcourt heimlich an Bord geschlichen hat. Hope soll nämlich den spleenigen Lord Oakley heiraten, der wiederum seine Leidenschaft für Reno Sweeney entdeckt, eine sich auch als Predigerin betätigende Nachtklubsängerin. Dass sich auch noch der polizeilich gesuchte Gangster Moonface mit seinem Liebchen Emma an Bord befindet, trägt obendrein zur Verwirrung bei.

Eine Bar, eine Gangway und dann schließlich die monumentalen Schiffaufbauten mit Decks und einem Schornstein gaben den von Bühnenbildner Manfred Breitenfellner gestalteten Rahmen für das turbulente Geschehen. Die Drehbühne sorgte dabei für immer neue Perspektiven. Regisseur Nico Rabenald steuerte den Musical-Dampfer mit viel Spielwitz, mit vergnüglichen Dialogen und mit der furiosen Choreographie von Andrea Danae Kingston sicher bis zum unvermeidlichen Happy End.

Rabenald würzte seine Inszenierung mit vielen liebenswürdigen Details und Pointen. Herrlich, wenn Whitney in der Badewanne sitzt und ein bierzelttaugliches Walzerlied schmettert oder, seiner Brille beraubt, irrtümlich dem Kapitän (Christoph Finger) einen Heiratsantrag macht. Der Kapitän seinerseits verwechselt sein Manuskript und liest bei einer Trauung aus einer Bestattungsansprache. Oder das Gangsterliebchen Emma. Sie soll eine Matrosenuniform besorgen, was ihr mit ihren weiblichen Reizen nicht schwer fällt. Und der eigentlich zunächst zurückhaltende Lord steigert sich, als seine Leidenschaft erst einmal entfacht ist, zu einem köstlichen Balztanz. Überhaupt die Tänze! Die Solisten und das Ballett leisteten auch in dieser Beziehung ganz Hervorragendes. Bezaubernde Stimmung kam bei dem Liebesduett „Easy to love“ auf, wenn die Bühne in blaues Licht getaucht wird und Billy mit Hope traumverloren tanzt. Und Renos „Predigt“ erwies sich als opulente Shownummer („Blow, Gabriel, blow“).

Das Ensemble sang, spielte und tanzte ohne Ausnahme auf hervorragendem Niveau. Sopranistin Regine Sturm als Hope erwies sich einmal mehr als sehr musicaltauglich, Michael Ernst war als Billy Crocker ein sympathischer Tausendsassa. Dorothea Maria Müller war als Reno eine Art Drahtzieherin, die als einzige den coolen Überblick hatte. Oliver Weidinger gab einen prachtvoller Whitney ab, Alexander Kerbst war ein formvollendeter Lord, der sich zu wahrer Leidenschaft beflügeln ließ. Die Gangsterbraut Emma wurde von Carolin Löffler sehr sexy gespielt und zeigte in ihrem Solo beachtliches Stimmpotential. Isabel Zeumer verkörperte die Mutter von Hope. Und Thomas Burger bereitete als schlitzohriger Gangster Moonface reinstes Vergnügen. Und dass die Dialoge in deutscher Sprache, die Songs aber im englischen Original geboten wurden, war eine gute Lösung. Also: Ein Spielzeitauftakt nach Maß!

Wolfgang Denker, 21.09.2015

Fotos von Heiko Sandelmann