Bremerhaven: „Madama Butterfly“

Ambivalente Schuldfrage

Premiere am 25.12.2018

Gemeinhin gilt der amerikanische Marineleutnant Benjamin Franklin Pinkerton in Giacomo Puccinis gefühls- und tränenreicher Oper Madama Butterfly als der skrupellose Lüstling, der nur auf sein Vergnügen aus ist und seine Cio-Cio-San kaltschnäuzig sitzen lässt, während diese das unschuldige Opfer ist. Ganz so simpel sieht es Regisseurin Béatrice Lachaussée in ihrer Inszenierung von Madame Butterfly, die in diesem Jahr als traditionelle Weihnachtspremiere am Stadttheater Bremerhaven herauskam, denn doch nicht. Bei ihr ist die Schuldfrage durchaus ambivalent. Sicher – dass Pinkerton eine fünfzehnjährige Japanerin heiratet mit der Option, dass diese „Ehe“ nur auf Zeit gedacht ist, ist verwerflich. Aber ganz so skrupellos zeichnet sie den Pinkerton nicht. Er hat durchaus Zweifel daran, ob das alles so richtig ist, was er da tut. Das zeigt sich besonders im Liebesduett, bei dem er und auch Butterfly eher scheu und zaghaft agieren. Testosterongesteuert sieht anders aus. Und wenn er im 3. Akt zurückkehrt, um sein Kind zu holen (von dem er ja nichts ahnte) ist seine Reue und Bestürzung durchaus ehrlich.

Butterfly hat zunächst ernsthaft an ihr Glück geglaubt, was man einer fast naiven Fünfzehnjährigen ja auch zugestehen kann. Aber dann begeht sie einen entscheidenden Fehler, indem sie sich gänzlich von ihrer japanischen Kultur lossagt. Sie schwört nicht nur ihrem Glauben ab, was ihr die Ächtung ihrer Familie, verkörpert durch den Onkel Bonzo, einbringt und sie in der Gesellschaft isoliert. Sie gibt sich auch, wie sie meint, ganz als Amerikanerin, trägt ein schickes Kleid und hat ihre Haare blondiert. Dazu hat sie mit Sonnenbrille, Strohhut und Zigaretten genau die Accessoires, die auch Pinkerton bei seinem Auftritt hatte. Sie ist eine genaue Kopie von Pinkertons amerikanischer Frau Kate (Victoria Kunze), wie sich bei deren Auftritt im 3. Akt erweist. Diese Verdoppelung mutet allerdings etwas kurios an, wie auch das effekthascherische Kostüm von Onkel Bonzo. Dadurch, dass Butterfly die Augen vor der Realität schließt und gegen alle Warnungen taub ist, trägt sie auch ein wenig Mitschuld an ihrem Unglück.

Ansonsten kann man die Kostüme und die Bühnenausstattung von Nele Ellegiers als durchaus gelungen bezeichnen. Die etwas karge Optik mit nur ein paar verschiebbaren Wänden im 1. Akt und später mit schmucklosem, in kaltes Neonlicht getauchtem Beton korrespondiert aber mit dem sehr sachlichen Stil der Inszenierung. Lachaussée verzichtet auf jeglichen Kitsch und drückt auch nicht auf die Tränendrüse. Die Taschentücher bleiben trocken, was aber nicht heißt, dass ihre Inszenierung nicht berührt. Denn die Personenführung ist in ihren Details intelligent und ansprechend. Das Ausmaß der Tragödie kommt gut zur Geltung.

Das ist auch den guten sängerischen Leistungen zu danken. In der Titelpartie stellt sich Judith Kuhn mit üppig aufstrahlendem Sopran vor. Ihre Cio-Cio-San begeistert nicht nur in der Arie „Un bel di vedremo“ („Eines Tages seh’n wir“), die sie mit emotionaler Intensität gestaltet, sondern durchweg bis zum erschütternden Schluss. Auch Costa Latsos kann als Pinkerton mit höhensicherem und mühelos über das Orchester strahlendem Tenor überzeugen. Er meistert in der Darstellung den Spagat zwischen Leichtsinn und Reue. Als durch und durch noblen Gentleman gibt Alexandru Aghenie mit hellem Kavaliersbariton den Konsul Sharpless. Patrizia Häusermann zeigt sich als Butterflys Dienerin und Vertrauter Suzuki mitfühlend und gefestigt. Ihr schöner Mezzo kommt in der Partie bestens zur Geltung, besonders im Duett mit Judith Kuhn.

MacKenzie Gallinger ist der schleimige Goro, der in einem Foto-Leporello seine „Damen“ anbietet. Als Onkel Bonzo hat Bassist Leo Yeun-Ku Chu einen imposanten Auftritt. In weiteren Partien bewähren sich u. a. Christopher Busietta als Fürst Yamadori, Róbert Tóth als Kommissär und Jongwook Jeon als Standesbeamter. Für die Einstudierung des wieder gut disponierten Opernchors zeichnet Mario Orlando El Fakih Hernández verantwortlich.

Wie Marc Niemann und das Philharmonische Orchester Bremerhaven Puccinis Musik mit sinnlicher Klangfülle, aber auch mit viel Sinn für feinste Details umsetzen, hat große Klasse. Das Schwelgen im Klang wird beim Auftritt des Kindes oder bei der Ankunft von Pinkertons Schiff zum Ereignis.

Wolfgang Denker, 26.12.2018

Fotos von Heiko Sandelmann