Mailand: „Alì Babà e i Quaranta Ladroni“

Aufführung am 14.9.18 (Premiere am 1.9.)

Nicht Fisch und nicht Fleisch

Mit diesem letzten Werk von Luigi Cherubini (Florenz 1760-Paris 1842) ist es ein rechtes Kreuz. Der Komponist, dessen bedeutendstes Werk „Médée“ 1797 erschienen war, hatte an seine Pariser Erfolge (er lebte seit 1788 in der französischen Hauptstadt) nicht mehr anknüpfen können, auch weil sein Stil Napoleon nicht genehm war. Ab 1813 hatte er er sich daher ausschließlich der Kirchenmusik gewidmet, arbeitete aber gleichzeitig am Konservatorium, dessen Direktor er 1822 wurde. Als sich 1833 die Nachricht verbreitete, Cherubini arbeite an einer neuen Oper, wurde dies mit Erstaunen registriert.

Eugène Scribe hatte ihn zusammen mit Baron Mélesville bekniet, die Arbeit an der seinerzeit unvollendet gelassenen Oper „Koukourgi“ wieder aufzunehmen. Allerdings mit einem neuen Libretto, das auf dem (fälschlich den „Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht“ zugeschriebenen) Märchen von Ali Baba und den vierzig Räubern beruhte. Gedacht war das Werk für eine Aufführung an der Opéra-Comique, also mit gesprochenen Dialogen. Cherubini machte sich mit wenig Enthusiasmus an die Arbeit, weil er das Niveau des Orchesters dieses Hauses nicht sehr schätzte. Ein Wechsel an der Spitze der Académie Royale de Musique, später schlicht als Opéra bekannt, führte aber dazu, dass die neue Oper nun dort uraufgeführt werden sollte. Dafür war es nötig, die Dialoge rezitativisch zu gestalten, Balletteinlagen einzufügen und der Story heroischere Züge zu verleihen. Mit einem Wort: Was eine Buffooper werden hätte sollen, trug nun den hochtrabenden Titel tragédie lyrique. Nicht nur die Tatsache, dass nicht klar war, in welche Richtung das Pendel ausschlagen sollte, wird beim Hören auch klar, dass die seinerzeit für „Koukourgi“ geschriebene Musik die eindringlichere ist – vor allem ein Terzett für Tenor, Bariton und Bass und ein flotter Marsch bleiben in Erinnerung. Hübsch sind die Ballettmusiken im 2. und 4. Akt (um den Prinzipien der Opéra treu zu bleiben, mussten die ursprünglichen drei Akte auf vier und einen Prolog gedehnt werden), von denen die seinerzeit Eingeweihten allerdings behaupteten, sie stammten vom Cherubini-Schüler Halévy.

Ansonsten ist Cherubini einem überholten Stil verpflichtet: Immerhin waren 1828 Aubers „Muette de Portici“, 1829 Rossinis „Tell“ und 1831 Meyerbeers „Robert le diable“ herausgekommen, und im selben Jahr 1833 fand die Uraufführung von Donizettis „Lucrezia Borgia“ statt.

Die Uraufführung beschränkte sich auf einen Achtungserfolg, obwohl man dem verehrten Meister die ersten Namen der Opéra zur Verfügung gestellt hatte: Levasseur in der Titelrolle, Nourrit als romantischer Liebhaber Nadir, Cinti-Damoreau als dessen geliebte Délie, Falcon als Sklavin Morgiane. Das Pariser Publikum hatte sich angesichts der erwähnten Werke schon für die grand-opéra entschieden, und in sechs Monaten kam es zu nur elf Vorstellungen. Interessant ist, dass die Oper auf Deutsch in Dresden 1834 und Berlin 1835 einen gewissen Erfolg hatte. Auch ihre erste Ausgrabung in moderner Zeit fand in Deutschland statt, nämlich 1962 in Essen. Die italienische Erstaufführung erfolgte in italienischer Übersetzung an der Scala 1963, und für die vier Vorstellungen gab es mit Ganzarolli, Kraus und Stich-Randall eine ansehnliche Besetzung.

Wie bereits zur Tradition geworden, eröffnete das Progetto Accademia den Titelreigen der Scala nach der Sommerpause. Es kamen also die jungen Studierenden zum Zug, die ein Jahr Zeit hatten, das Werk zu erarbeiten. Dieses Jahr hatte man sie Liliana Cavani anvertraut, deren „Traviata“ von 1990 an der Scala schon fast den historischen Rang von Zeffirellis „Bohème“ genießt. Es spricht für die Regisseurin, dass sie die Geschichte vom Blatt erzählt, den Zuschauer nur während der Ouverture in eine Bibliothek führt, in der zwei junge Leute von heute flirten und sich in ihrer Phantasie in das Liebespaar der Oper verwandeln. Allerdings hätte es einer geschärften Personenführung bedurft, wie es Peter Stein vor zwei Jahren mit der „Zauberflöte“ und Sven-Eric Bechtolf im Vorjahr mit „Hänsel und Gretel“ vorgemacht haben. Man fragt sich ohnedies, warum ein so zwiespältiges, nur schwer mit Leben zu erfüllendes Werk für die jungen Leute ausgewählt wurde, die sich zwar stimmlich wacker schlugen (ein Hoch auf Luciana d’Intino, die Studienleiterin), aber szenisch ziemlich allein gelassen schienen. Da genügten die stimmungsvollen Bühnenbilder von Leila Fteita und die wunderschönen Kostüme von Irene Monti nicht, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

Am Pult tat Paolo Carignani sein Bestes, um die Musik zur Wirkung zu bringen, unterstützt vom willigen und gut vorbereiteten Orchester der Accademia. Auch die Choreographie von Emanuela Tagliavia gefiel sehr mit dem jugendlichen Corps aus der Kaderschmiede. Ebenso zu loben ist die Leistung des von Alberto Malazzi einstudierten Chors. Die Titelrolle war dem einzigen Sänger anvertraut, der nicht von der Accademia kam: Der weißrussische Bass Alexander Roslavets ging an diesem Abend über mittlere Buffoqualitäten nicht hinaus und konnte als geldgieriger Alì Babà mit seinem unterhaltsamen Text nichts anfangen. (Und à propos Text: Warum hat man nicht das französische Original genommen, das seit Cherubinis Zeiten nicht mehr zu hören war, sondern die rhythmisch unglückliche Übersetzung von Vito Frazzi? Das Sprachproblem sollte es nicht gewesen sein, denn bei Peter Stein brillierten auch die Nicht-Muttersprachler mit ausgezeichnetem Deutsch). Da der 32-jährige Sänger in dieser Saison an der Met als seriöser Bass auftreten wird, handelte es sich vielleicht nur um die Abendverfassung. Eine echte Qualitätsstimme ließ Riccardo della Sciucca als Nadir hören.

Der junge Mann aus den Abruzzen, der schon als Bote in der „Aida“ aufgefallen war, besitzt einen gut durchgeformten Tenor, der schon ein wenig über das lyrische Fach hinauszuweisen scheint. Delia, Tochter von Alì Babà und von Nadir geliebt, ließ in der Person von Francesca Manzo aus Salerno einen sicheren, leichten Sopran ohne besondere Merkmale hinsichtlich des Timbres erklingen. Ähnliches gilt für Alice Quintavalla aus Parma, die ihre Auftritte als Sklavin Morgiane sehr lebhaft gestaltete. Die „Bösen“ schlugen sich allesamt stimmlich gut und szenisch relativ locker: Der Bass Maharram Huseynov aus Aserbaidschan (Aboul-Hassan, Chef der Zollbehörde), der Bass Rocco Cavalluzzi aus der Region Molise (Ours-Kan, Räuberhauptmann), der venezolanische Bariton Gustavo Castillo (Thamar, Vertreter des Hauptmanns) und der chinesische Tenor Chuan Wang (Calaf, Schatzmeister der Räuber). Als Phaor, Alì Babàs Haushofmeister, gefiel der chilenische Bariton Ramiro Maturana.

Also ein internationales Ensemble junger Leute, dem man bei dieser fünften Vorstellung einen weniger schütter besetzten Saal gewünscht hätte.

Eva Pleus 16.9.18

Bilder: Brescia&Armisano / Teatro alla Scala