Mailand: „I masnadieri“

Vorstellung am 21.6.19, (Premiere am 18.6.19)

Mensch, Friedrich!

Im Rahmen des von Musikdirektor Riccardo Chailly geplanten Projekts der Präsentation von weniger erfolgreichen bzw. bekannten Jugendopern Giuseppe Verdis waren nun nach „Giovanna d’Arco“ und „Attila“ die „Masnadieri“ an der Reihe. 1847, also im selben Jahr wie „Macbeth“ entstanden und uraufgeführt, reicht die Vertonung von Friedrich Schillers „Räubern“ nicht an die grandiose Arbeit heran, die Verdi mit dem Shakespeare-Sujet gelungen war.

Zum Teil liegt das auch am Libretto des Andrea Maffei. Dieser war ein bedeutender Literat, dessen Gattin Clara in Mailand einen literarischen Salon führte, den Verdi frequentierte. Damit hatte der aus der Provinz stammende Komponist Zugang zu wichtigen kulturellen Strömungen, die aus dem ursprünglichen „Landei“ einen Menschen machten, der auf Augenhöhe mit so bedeutenden Dichtern wie Alessandro Manzoni sprechen konnte.

Nun also Maffei: Er hatte das Verdienst, Schillers sämtliche Werke ins Italienische übersetzt zu haben. Sprachlich übrigens ausgezeichnet, wie man zum Beispiel an der großen Szene zwischen Franz/Francesco und Pastor Moser bemerken kann. Nur war der Graf kein Librettist, was ihm durchaus bewusst war, doch hatte sich eine Situation ergeben, in der er Verdi dessen Bitte um Mitarbeit nicht abschlagen konnte. Der genuine Bühnenmensch Verdi merkte bald selbst, dass die dramatischen Knoten nicht so recht geschürzt waren, aber mit Maffei wagte er nicht so umzuspringen, wie er es mehr als einmal mit seinem getreuen Francesco Maria Piave tat. So folgt eine Auftrittsarie der nächsten, und die düstere Atmosphäre des Stücks will sich nicht einstellen.

Das Werk war für den Komponisten insofern besonders wichtig, als es sein erster aus dem Ausland kommender Auftrag war: Her Majesty’s Theatre in London hatte u.a. die „schwedische Nachtigall“ Jenny Lind unter Vertrag, der die Rolle der Amalia anvertraut wurde. Es ist interessant, dass Verdi damit erstmals eine zentrale Rolle für einen lyrischen Koloratursopran zu schreiben hatte, nach all den soprani drammatici d’agilità der vorhergegangenen Werke. Die Uraufführung war ein Erfolg, aber es ist bezeichnend, dass die Oper erst 1853, also nach sechs Jahren, die Scala erreichte und nur 1862 eine Wiederaufnahme erfuhr. Im vorigen Jahrhundert wurde sie hier nur 1978 gegeben, übrigens unter der Leitung von Chailly, der für den indisponierten Gianandrea Gavazzeni eingesprungen war.

Diese Neuproduktion klang vielversprechender als sie dann ausgefallen ist. David McVicar versuchte den vom Libretto vorgesehenen viel zu häufigen Szenenwechseln zu entgehen, indem er die gesamte Handlung in ein Einheitsbühnenbild (Charles Edwards) verlegte, nämlich die Militärakademie, in der Schiller unter den schwierigsten Umständen Medizin studierte und gleichzeitig wusste, dass der Arztberuf nicht seine Zukunft sein würde. Flugs erfand der Regisseur einen jungen Schiller dazu, der zunächst Stockschläge ertragen muss (natürlich während der Ouverture, was denn sonst!). Der (auf dem Programmzettel nicht genannte) Darsteller bleibt uns den ganzen Abend hindurch erhalten, beobachtet, schreibt und macht sich vor allem immer wieder an Amalia heran.

Ja, wir wissen, Schiller konnte in seinem halben Gefängnis damals keine Ahnung von Frauen haben, aber ein internationales Publikum vermutlich auch nicht von Schiller, sodass die Annäherungen dieser Figur vermutlich für den Großteil der Zuschauer rätselhaft blieben. (Außerdem hatte man für die Verkörperung des Dichters einen rundlichen jungen Mann gewählt, der auch äußerlich wenig mit Schiller gemeinsam hatte).

Störend war auch der Einsatz von zahlreichen Mimen, die die Kadetten der Akademie ebenso verkörperten wie Karls/Carlos Spießgesellen. Das ersparte dem Regisseur die Arbeit mit dem bei fast jedem seiner Auftritte auf die Empore verbannten Chor, der in der Einstudierung von Bruno Casoni famos sang wie immer. Bleibt die von einem erfahrenen Regisseur wie McVicar gut umgesetzte Personenregie.

Leider war auch auf musikalischer Ebene nicht alles zum Besten bestellt. Michele Mariotti, den ich an sich zu den Besten des italienischen Nachwuchses zähle, setzte diesmal auf einen Sound, der eher an eine „banda“, also eine im Freien agierende Kapelle, erinnerte als an das Orchester des Hauses. Vielleicht bestand hier das Missverständnis, dass der junge Verdi sozusagen „erdig“ klingen sollte. Falls Mariotti das so gesehen hat, dann wurde dieses Ziel erreicht.

Eine Lektion in Verdigesang bot Michele Pertusi in der nicht sehr umfangreichen Rolle (drei nicht sehr lange Auftritte) des alten Moor. Dieses Legato, dieser Ausdruck, diese Wortdeutlichkeit müssten eigentlich an den Konservatorien zum Pflichtfach erklärt werden. Qualitativ am nächsten kam ihm Lisette Oropesa, die den vokalen Ansprüchen an die Rolle der Amalia durchaus genügte. Allerdings hatte ich mir nach den aus Frankreich kommenden Lobeshymnen ein interessanteres Timbre vorgestellt (das außerdem zu Beginn von einem unangenehmen Vibrato gestört wurde). Fabio Sartori bemühte sich merklich sehr, auch darstellerisch zu genügen. Sein Carlo war zunächst mit strahlendem Tenor gesungen, doch schien der Sänger im zweiten Teil etwas ermüdet und half sich mit ein paar unangebrachten Schluchzern. Wirklich schwach war Massimo Cavalletti, der zunächst gesanglich passabel begann, aber nach der Pause immer mehr nachließ. Es ist auch schade, dass der mit bester Bühnenpräsenz ausgestattete Künstler ausdrucksmäßig so wenig über die Rampe bringt. Von Alessandro Spina als Pastor Moser hätte man sich vokal und als Persönlichkeit eine stärkere Präsenz gewünscht. Die beiden als Comprimari eingesetzten Tenöre waren Francesco Pittari als Arminio/Hermann, verschreckter Kämmerer des Hauses Moor, und Matteo Desole als Rolla/Roller, dem einzigen aus Schillers Drama in Maffeis Libretto übernommenen Räuber. Letzterer war stimmlich – bei eindrucksvollem Spiel – seinem Kollegen bei weitem überlegen.

Bei der Premiere gab es Buhrufe für Mariotti, Cavalletti und McVicar; bei dieser zweiten Aufführung herrschte mittels moderaten Beifalls Zustimmung.

Eva Pleus 29.6.19

Bilder: Brescia&Amisano / Teatro alla Scala