Bologna: „Adriana Lecouvreur“

Aufführung am 14.11.21 (Premiere)

Als der Lockdown 2020 es unmöglich machte, Francesco Cileas Hauptwerk auf die Bühne zu bringen, entschloss sich die Regisseurin Rosetta Cucchi krzerhand dafür, die Produktion mit den Mitteln des Films zu zeigen, und diese Arbeit wurde auch auf RAI 5, dem Kultursender des öffentlichen italienischen Rundfunks, ausgestrahlt. (Leider scheint diese Fassung nicht auf Youtube zu sehen zu sein).

Cucchis Konzept bestand darin, jeden der vier Akte zu einer anderen Zeit spielen zu lassen: Der erste, wie vom Libretto vorgesehen, im 18. Jahrhundert, der zweite in der ersten Hälfte des 19., der dritte in den Zwanzigerjahren des 20. und der letzte schließlich in den Sechzigerjahren desselben Jahrhunderts. Vor allem der 2. und der 4. Akt hatten vom Medium Film profitiert. Der zweite, weil die Auseinandersetzung Adriana/Bouillon sich in zwei nebeneinader liegenden Logen abspielte und sozusagen Rücken an Rücken ausgetragen wurde. Im vierten, auf einer praktisch leeren Bühne spielenden, konnte ausgiebig auf Großaufnahmen zurückgegriffen werden, die dank der schauspielerischen Leistungen von Kristine Opolais in der Titelrolle und Nicola Alaimo als Michonnet zutiefst berührten. Diese Möglichkeiten waren im Theater, in dem die Inszenierung nun live zu sehen war, natürlich nicht gegeben. Zwischen den um Maurizio kämpfenden Damen gab es nun eine wenig eindrucksvolle Tür, die wie ein Behelf wirkte, und auch der 4. Akt (in dem Maurizios Stimme nur mehr als Halluzination erklingt) verlor an Intensität.

(Für Zuschauer, die den Film nicht kannten, war er aber immer noch eindrucksvoll genug). Der Bühnenbildner Tiziano Santi und die für die Kostüme verantwortliche Claudia Pernigotti durften sich aber im 1. und 3. Akt austoben. Das backstage der Comédie Française war in allen Details zu sehen, die Kostüme aufwendig. Noch mehr waren sie es für die Damen im 3. Akt, wo vor allem die Bouillon in raffiniertem Look auftrat.

Wie in Wien wurde das Werk auch in Bologna von Asher Fisch geleitet. Konnte ich schon im Streaming aus der Staatsoper einen Hang des Dirigenten zu übertriebener Lautstärke feststellen, so gab es bei dieser Vorstellung die Bestätigung. Cileas kunstvolle Musik wurde vom Orchester des Hauses zum Teil leider gedroschen (da haben die Wiener Musiker wohl zum Teil Schadensbegrenzung betrieben). Tadellos klang der von Gea Garatti Ansini einstudierte Chor.

Die Adriana von Kristine Opolais überzeugte schauspielerisch mehr als vokal. Die Stimme klingt wenig frisch und überzeugt mehr in der höheren Mittellage als in tieferen Gefilden. Das schlug sich auch im berühmten Monolog der „Fedra“ nieder, dessen erster Teil fast unhörbar rezitiert wurde. Insgesamt aber ein überzeugendes Rollenporträt.

In ausgezeichneter stimmlicher Form befand sich Luciano Ganci, dessen Interpretation durchblicken ließ, dass Maurizio bei aller Verliebtheit in erster Linie Soldat ist. Ich habe den schwierigen (und undankbaren) Part vom „Russen Mencikoff“ live noch nie so überzeugend gesungen gehört, doch bemühte sich Ganci mit Erfolg an den vorgeschriebenen Stellen auch um Piani. Veronica Simeoni fehlt für die Bouillon zwar das volltönende tiefe Register, aber welche unbeugsame Kraft in ihrer Eifersucht, welche szenische Persönlichkeit! Als Michonnet trat an die Stelle des anderswo tätigen Simone Alaimo Sergio Vitale, der mich nach einem wenig glücklichen Paolo Albani in Parma hier stimmlich mit viril ausladendem Bariton überzeugte. Dass er die Menschlichkeit der Rolle noch nicht ganz ausgefüllt hat, sei ihm angesichts seiner Jugend verziehen. Romano Dal Zovo war mit angenehmem Bass, aber szenisch recht steif der Fürst Bouillon, begleitet von einem allzu aufdringlich wirkenden Abbé in Gestalt von Gianluca Sorrentino. Verlässlich Adrianas Kollegen Jouvenot (Elena Borin), Dangeville (Aloisa Aisemberg), Quinault (Luca Gallo) und Poissono (Stefano Consolini). Beeindruckend der Akrobat Davide Riminucci, der den Großteikl der Ballettmusik interpretierte.

Das recht gut gefüllte Haus reagierte mit viel Zustimmung und Applaus.

Eva Pleus 18.11.21

Bilder: Andrea Ranzi

Vorstellung am 30.3.19

(Premiere am 19.3.)

Mein 60. Rigoletto – bitte, zu bedenken, dass es in meiner Wahlheimat Italien keine Repertoirehäuser gibt, sonst wären es viel mehr – war in seiner Qualität dieses kleinen Jubiläums würdig. Die 2016 erstmals präsentierte Regie von Alessio Pizzech, damals sehr umstritten, war von Pizzech selbst stark gemildert worden und fand nun die Zustimmung des vollen Hauses.

Seine Interpretation zielte aber weiterhin auf die Darstellung einer wirklich einem Libertin zuzuschreibenden Gruppe, auch wenn der Herzog sich in heutigen Klamotten zeigte. Wie in den letzten Jahren wiederholt zu beobachten war, wird auch hier der krankhaft possessive Charakter Rigolettos gegenüber Gilda unterstrichen, die im rosa Kleidchen inmitten ihrer Puppensammlung lebt. Viel Kontur erhält auch die Figur der Giovanna, die hin- und hergerissen ist zwischen ihrer Bestechung durch den Herzog und ihr Bewusstsein, was sie damit angerichtet hat, Gilda in dessen Arme zu treiben. Laura Cherici brachte das sehr gut zum Ausdruck. Konnte man die Präsenz von Monterones Tochter im 1. und 3. Bild als überflüssig empfinden, so wies doch das gleiche Kleid, das Gilda während ihres Liebestraums Caro nome anlegte, auf das parallele Schicksal der beiden Mädchen hin (Kostüme: Carla Ricotti).

Eine Form von horror vacui ließ den Regisseur während Ella mi fu rapita den Herzog von schwarz gekleideten, immer wieder einknickenden Damen umgeben, während der Sparafuciles Behausung im 3. Akt verkörpernde Schiffsbug eine ausgezeichnete Lösung für das gesamte Geschehen dieses Bildes war (Bühnenbild: Davide Amadei). Hier hatte auch die Lichtregie von Daniele Naldi ihre bedeutungsvollsten Momente.

Wirklich spannend wurde der Abend aber durch die Interpreten. Als Dirigent des ausgezeichneten Orchestra del Teatro Comunale di Bologna zeichnete sich Matteo Beltrami nicht nur als besonders sorgfältiger Sängerbegleiter aus, sondern zeigte einmal mehr, wie aufregend ein Abend mit einem so oft gehörten Titel werden kann, wenn die Spannung Siedegrade erreicht und auch ununterbrochen durchgehalten wird. In der Titelrolle klang Alberto Gazale manchmal recht veristisch, aber die ungebrochene Kraft seines Baritons und eine starke Darstellung, die aber nie outriert wirkte, erzielten einen derartigen Effekt, dass das Racheduett im 2. Akt nach Bis-Rufen und Getrampel seitens des Publikums wiederholt werden musste.

Hier zeigte auch die Gilda der Lara Lagni, dass man ihr ein paar schrille Spitzentöne verzeihen konnte, weil sie – nach einem braven Caro nome – voll in der Rolle aufging. Eine reine Freude war der gesunde, schön timbrierte Tenor von Stefan Pop, als Duca fast ein Sympathieträger und nicht mit seinen Mitteln protzend, sondern auch raffinierte Piani präsentierend. Stimmlich und im Aussehen absolut überzeugend die Maddalena der Anastasia Boldyreva, während ihr Bruder Sparafucile in der Gestalt von Abramo Rosalen eher grummelig klang. Durchschlagskräftig der Monterone – warum im weißen Anzug? – von Nicolò Ceriani, im Rahmen die von Abraham García González als Marullo angeführten weiteren Comprimari.

Riesenbeifall und Zustimmung, konterkariert nur von einem einsamen Buh für Gazale bei den Schlussvorhängen. Manche lieben offenbar so eine Einer gegen alle -Situation.

Eva Pleus 31.3.2019

Bilder (c) Teatro Bologna