Die Ende September/Anfang Oktober (letzterer Giuseppe Verdis Geburtsmonat) stattfindende rund einmonatige Veranstaltung wurde in den vergangenen Jahren auch international intensiv beworben, was neben den italienischen auch viele Opernfans aus aller Welt in die Stadt in der Poebene brachte.
Eröffnet wurde heuer mit „MACBETH“ im Teatro Regio (27.9.), wobei die 1847 in Florenz uraufgeführte Erstfassung gewählt wurde. Fehlt hier einerseits „La luce langue“, von Verdi für Paris nachkomponiert, so ist andererseits das Finale mit dem sterbenden Protagonisten, der erst im Augenblick des Todes erkennt, dass ein Erringen der „vil corona“ die begangenen Verbrechen nicht wert war, wesentlich stärker als der fast unbeachtete Abgang von Macbeth, der in der Pariser Fassung ungesehen in der Schlacht fällt. Ich persönlich ziehe auch die den Hörer direkter anspringende Form des berühmten Chors „Patria oppressa“ der späteren Version vor, außerdem stört keine (für Paris unerlässliche) Ballettmusik den Fortlauf der Handlung.
Der Programmzettel zeigt nicht an, wer das Bühnenbild erstellt hat, das es tatsächlich praktisch nicht gibt. Regisseur Daniele Abbado setzt zur Gänze auf Lichteffekte (Angelo Linzalata) und die Schaffung von nebelartigen Effekten durch die Verteilung von Feuchtigkeit. Sängerfreundlich ist das nicht, denn die Künstler mussten, sobald sie die Bühne verlassen hatten, von ihren Betreuern flugs abgetrocknet werden, um sich nicht zu verkühlen! So blieb diese Regie auf das Ambiente fixiert, ohne die Charaktere der Protagonisten besonders herauszuarbeiten. Zeigten sich die Hexen zu Beginn noch leidlich überzeugend, so wurden sie bei ihrer zweiten Anrufung von einer bunt gekleideten Truppe teils abstruser Monster verkörpert (Choreographie: Simona Bucci). Die Kostüme von Carla Teti beeindruckten für das Volk, waren in ihrem bürgerlichen Habitus aber keine Hilfe für die Protagonisten.
Die Titelrolle wurde von Luca Salsi verkörpert, der sich in stimmlicher Bestform befand. Sein weich strömender Bariton drückte alle Nuancen des von seiner infernalischen Frau getriebenen Mannes aus, von falscher Zuversicht über Triumph bis hin zu bodenlosem Erschrecken. Damit zeigte der Künstler, wie viel eine Stimme zu charakterisieren vermag, auch wenn die entsprechende Regie fehlt. Darunter litt Anna Pirozzi stärker, denn ihre Ausstrahlung war für die Lady nicht charismatisch genug, was sich vor allem in der sehr zurückgenommen gesungenen Nachtwandelszene zeigte. Besser, ja ausgezeichnet, lagen ihr die aggressiven Gesänge samt expressiver Koloratur der Lady. Eine Freude war Michele Pertusi als Banco, der einmal mehr bedauern ließ, dass die Rolle nicht länger ist, so ungetrübt floss sein edler Bass. Antonio Poli sang die Arie des Macduff tadellos, doch ging sein lyrischer Tenor in den Ensembles unter. Erwiesen sich Matteo Mezzaro (Malcolm) und Gabriele Ribis (Medico) als tüchtige Comprimari, so fiel Alexandra Zabala als Dama durch eine besonders schöne Stimme und anteilnehmendes Singen auf. Der Chor des Teatro Regio verursachte mit der hohen Qualität seines Gesangs einmal mehr Gänsehaut (Einstudierung: Martino Faggiani). Am Pult der Filarmonica Arturo Toscanini war Philippe Auguin ein ausgezeichneter Sachwalter Verdis, der den düsteren Farben dieses Dramas zu beträchtlicher Wirkung verhalf.
Viel Applaus für die Sänger und die Musiker, ziemlich heftige Buhs für Daniele Abbado.
Am 28.9. folgte im kleinen, intimen Teatro Verdi von Busseto Verdis zweites Werk, die Buffa „UN GIORNO DI REGNO“. Bekannt auch unter dem Titel „Il finto Stanislao“, war das Werk bei der Uraufführung an der Mailänder Scala nach einem einzigen Abend abgesetzt worden. Verdi (der sich bekanntlich erst als Greis mit „Falstaff“ wieder einem heiteren Sujet zuwenden sollte) dachte nach diesem Fiasko ans Aufgeben, wozu es bekanntlich nicht gekommen ist; dafür wird ihm die Musikwelt wohl ewig dankbar sein!
In der Tat ist die Oper von unterschiedlicher Qualität, schwankend zwischen kopiertem Rossinistil und schwungvollen Einfällen Marke „Eigenbau“, doch lässt beides sich gut hören, um so mehr als in Busseto die Produktion wiederbelebt wurde, die Pier Luigi Pizzi 1997 für Parma geschaffen hatte und die 2001 auch an der Scala mit den Studenten der Accademia zu sehen war. Nun war Massimo Gasparon für Regie, Bühnenbild, Kostüme und Beleuchtung zuständig, aber mit Ausnahme einiger kleinerer Vergröberungen, die sich vor allem im Austeilen von Püffen manifestierten, blieben Pizzis unterhaltsame Ideen bestehen. So spielt etwa, als Reverenz vor Parma, eine Szene in einer mit einladenden Schinken behängten Küche, eine andere lässt die Marchesa del Poggio, die Geliebte Belfiores und somit des falschen Stanislao, in ihrer großen Auftrittsszene ein Bad nehmen.
Diese lebenslustige, recht emanzipierte junge Frau ist die auch als Charakter am besten gezeichnete Figur der Oper und wurde von Gioia Crepaldi mit hellem, in der Höhe etwas scharfen Mezzo sehr schwungvoll umgesetzt. Sie und ihre Kollegen kamen vom Concorso Voci Verdiane, wobei die stimmliche Qualität im allgemeinen leider eher zu wünschen übrig ließ. In dieser Hinsicht zogen sich am besten der Bariton Michele Patti (Belfiore) und die kubanische Sopranistin Diana Rosa Cardenas Alfonso (Giulietta di Kelbar, die an einen reichen Alten verheiratet werden soll) aus der Affäre. Mehr durch sein Spiel denn stimmlich überzeugte Matteo d’Apolito (Signor La Rocca, der besagte Alte). Als sein Gegenspieler Barone di Kelbar spielte Giulio Mastrototaro, der schon länger auf der Bühne steht, seine Routine aus. Während Rino Matafu und Andrea Schifaudo unauffällig ergänzten, war der junge Liebhaber Edoardo di Sanval in Gestalt des Slowenen Martin Susnik mit grellem Tenor ein ziemlicher Ausfall. Wenn schon Verdi, dann sollte er besser den Dr. Cajus singen.
Das Orchester des Teatro Comunale di Bologna unter Francesco Pasqualetti spielte mit viel guter Laune, zu der auch der Chor des selben Hauses unter Andrea Faidutti beitrug. Freundlicher Beifall.
Im wunderbaren, barocken Teatro Farnese vom Beginn des 17. Jahrhunderts gab es mit LE TROUVÈRE am 29.9. eine Rarität zu sehen. Nach den direkt in französischem Idiom geschriebenen und 1855 in Paris uraufgeführten „Vêpres Siciliennes“ dachte der Direktor der Opéra an eine französische Fassung von „Il Trovatore“. Verdi musste sein Werk der gallischen Sprache anpassen, beließ es aber bei relativ wenigen Änderungen. Leider wurde Leonoras Cabaletta im 4. Akt gestrichen, was aber auf praktische Gründe zurückzuführen sein dürfte. Die einzige bedeutende Änderung betraf das Finale, das nun nicht mehr so überstürzt klingt wie im Original, sondern mit dem Zitieren des „Miserere“ und einiger Motive Azucenas etwas breiteren dramatischen Raum erhielt. (Es bleibt die Frage, warum Verdi diesen ausgewogeneren Schluss nicht in den „Trovatore“ rückübersiedelt hat).
Sei dem, wie ihm wolle, die Erbsünde dieser Produktion liegt darin, dass die Regie Robert Wilson anvertraut wurde. Wer seit gut 35 Jahren die statische, auf steife Gesten beruhende Arbeit dieses Künstlers kennt, dem ist klar, dass die Kombination Verdi-Wilson ein Widerspruch in sich selbst ist. Wie üblich gab es keinerlei Beziehung zwischen den Protagonisten, denn Wilson, der sich im Programmheft einmal mehr rühmt, die „Spannung zwischen voran eilender Musik und langsamen Gesten zu schaffen“, will sich nicht einen Deut mit der musikalischen Vorgabe beschäftigen. Zusätzlich zum üblichen Personal gibt es einen alten Herrn, den man zunächst als den alten Grafen Luna deuten möchte, der bis zum Ballett (davon später) auf der Bühne bleibt, dann aber weggetragen wird und für immer verschwindet. In der Szene Manrique/Azucena geistert eine Dame mit zwei Mädchen herum, wobei die Haltung aller drei in der Nähe einer altertümlichen Pumpe erstarrt. Es gibt auch eine alte Dame mit Kinderwagen (meinetwegen die Amme des kleinen Luna), doch schwingt sie im Ballett dann das Tanzbein.
Um den Leser nicht zu sehr auf die Folter zu spannen: Die 25-minütige Ballettmusik, die Verdi für Paris nolens volens schreiben musste, wird von Wilson und seinen acht (!) Mitstreitern als Boxkampf inszeniert, wo Männlein und einige Weiblein und Kindlein mit roten Boxhandschuhen aufeinander losgehen. (Bei dieser Premiere gab es übrigens nur ein paar schwächliche Buhs am Schluss, während das Publikum bei weiteren Vorstellungen nach eben dieser Szene seinem Unmut freien Lauf ließ). Das sogenannte Bühnenbild, ein leerer, quadratischer Raum, stammten ebenso von Wilson wie die Beleuchtung. Über die Kostüme von Julia von Leliwa ist nicht mehr zu sagen, als dass sie schwarz waren, und das Make-up Design von Manu Halligan verhinderte ganz im Sinne Wilsons jegliche Mimik der Sänger. Das Video-Design von Tomek Jeziorski zeigte einmal Aufnahmen aus dem historischen Parma und ein andermal stürmisches Meer. Das war’s.
In schroffem Gegensatz zu diesem hochartifiziellen Getue stand die musikalische Leitung von Roberto Abbado, der einen vorwärts drängenden, authentischen Verdi dirigierte. Orchester und Chor (dieser unter Andrea Faidutti) des Teatro Comunale di Bologna bereiteten somit wenigstens musikalische Freuden. Als Marco Spotti mit der Erzählung des Fernand anhob, befürchtete man die Verschlechterung der nicht perfekten Akustik des Saales, doch stellte sich rasch heraus, dass der Künstler selbst für die schnarrenden Töne verantwortlich war. In der Titelrolle klang Giuseppe Gipali tapfer, aber eher matt, während seine Léonore Roberta Mantegna eine stark verbesserte Technik ihrer bedeutenden dramatischen Stimme hören ließ. Als Azucena war Nino Surguladze noch mehr als die anderen Opfer von Wilsons Arbeit, denn die zentrale Stellung der Figur kam überhaupt nicht heraus. Ihr heller Mezzo war außerdem stimmlich wenig nachdrücklich. Franco Vassallo lieferte neben Mantegna die beste stimmliche Leistung und erfreute als Einziger mit einem verständlichen Französisch. Interessant schien die Stimme von Tonia Langella (Inès).
Als Trost blieb dem wenig erfreuten Zuschauer der prachtvolle Rahmen, den dieses Theater abgab.
Den Abschluss dieses Eröffnungsreigens bildete am 30.9., wieder im Teatro Regio, Verdis neunte Oper „ATTILA“, 1846 kurz vor „Macbeth“ entstanden. Hier finden sich zündende Melodien im Überfluss, aber mit Attilas Alptraum vom Erscheinen eines Alten (der sich dann in der Realität als Papst Leo herausstellt und den Hunnenfürsten von der Eroberung Roms abhält) bereits große musikalische Reife zeigt.
Als Koproduktion mit der Staatsoper Plovdiv (der europäischen Kulturhauptstadt 2019) entstanden, ist dem Regisseur und Bühnenbildner Andrea De Rosa dafür zu danken, dass er eine im besten Sinne konservative Auslegung des Werks auf die Bühne gestellt hat. Sogar die Szene während der Ouverture, in der sich eine von den Hunnen verfolgte Familie in ein Erdloch flüchtet, ist sinnvoll, endet doch Attila nach seiner Ermordung durch Odabella ebendort. Dass der Regisseur den Protagonisten eine um Gnade flehende Frau heimtückisch erstechen lässt, steht allerdings im Gegensatz zu Verdis Wollen, der uns den Hunnenkönig in recht menschlichen Dimensionen zeigt. Auch entspricht sein Kostüm mit Gilet, Taschenuhr und Mantel im Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts keineswegs einem Barbarenfürsten. Überhaupt sind die Kostüme von Alessandro Lai recht widersprüchlich, denn der Römer Ezio trägt eine modern anmutende schwarze Uniform, die zwei ihn begleitenden Senatoren hingegen jeweils eine schön drapierte Toga, während die Kostüme von Odabella und ihrem geliebten Foresto zeitlich nicht zuzuordnen sind. Abgesehen davon ist die Produktion aber sehr eindrucksvoll, wenn zum Beispiel beim Eintreffen der Hunnen eine große Mauer auseinanderbricht oder Papst Leo in einem Behälter auftritt, der so geschickt gemacht ist, dass die Figur überdimensional groß erscheinen muss. Die Beleuchtung durch Pasquale Mari tat ein übriges, um die dunkle Stimmung des Werks zu unterstreichen.
Für den Hörer war das Dirigat von Gianluigi Gelmetti am Pult der Filarmonica Arturo Toscanini ein mitreißender Genuss, für die Sänger vermutlich etwas weniger, denn er peitschte die Rhythmen ohne Rücksicht auf Verluste voran und ließ den auf der Bühne Stehenden nicht immer Zeit genug, um die großen Bögen ausschwingen zu lassen. In der Titelrolle erwies sich Riccardo Zanellato als technisch versierter Sänger, dessen Bass über die ganze verlangte Bandbreite der Gefühlsskala verfügte. Sein Kostüm (siehe oben) war ihm bei der szenischen Umsetzung allerdings wenig behilflich. Sein Widersacher Ezio fand in Vladimir Stoyanov mit seinem gut geführten, durchschlagenden Bariton und schöner Legatokultur ausgezeichnete Verkörperung. An Odabella werden, wie bei allen frühen Frauenfiguren Verdis, höchste Anforderungen an stimmliche Potenz und dramatische Koloratur gestellt. Maria José Siri war in ihren aggressiv zu gestaltenden Arien ausgezeichnet, während sie sich mit „Oh, il fuggente nuvolo“ mit der für das Gedenken an Vater und Verlobten verlangten Lyrik etwas schwertat. Für den zarten, lyrischen Tenor von Francesco Demuro kommt der Foresto eindeutig zu früh – die Stimme faserte förmlich aus. Eindrucksvoll gestaltete Paolo Battaglia den Papst Leo; Saverio Fiore war mit sicherem Tenor Uldino, Attilas Vertrauter, der ihn schlussendlich aber auch verrät. Großartig neuerlich der Chor des Hauses in der Einstudierung des vielfach bewährten Martino Faggiani.
Eine vom Publikum ohne jede Gegenstimme gefeierte Produktion. Das sollte den Verantwortlichen zu denken geben.
Eva Pleus 9.10.18
Bilder: Roberto Ricci / Für Trouvère“: Lucie Jansch