Aachen: „La Belle et la Bête“

Philip Glass

Premiere 26.08.2021

Einfach schön

Die Bühne ist im Schummerlicht, wenn der Zuschauer den Saal des Aachener Theaters betritt. Schemenhaft erkennt mal Kulissenteile auf der offenen Bühne, der Titel des Stücks prangt projiziert an der Bühnenrückwand. Doch kaum erklingt der erste Ton der Ouvertüre erwacht diese scheinbare Tristesse zum Leben. Da tauchen Figuren auf, deuten mit einfachsten Mitteln etwas an, bewegen sich fast tänzerisch über die Bühne. Mit holzschnittartiger Grobheit eines Stummfilms agieren die Figuren.

Hier merkt man gleich die Handschrift der Regisseurin, denn in Aachen konnte man niemand geringeren als Reinhild Hoffmann, neben Pina Bausch eine der Pionierinnen des modernen Tanztheaters, verpflichten und das ist ein wahrer Glücksgriff für das Stück.

Philip Glass schrieb dieses kammermusikalisch besetzte Werk nach dem gleichnamigen Film von Jean Cocteau aus dem Jahre 1946. „La Belle et la Bete“ erzählt die Geschichte der schönen Belle, die mit ihren giftigen Schwestern im Hause ihres Vaters lebt. Als dieser sich im Wald verirrt, gerät er in die Fänge des Biests, ein verwunschener Prinz der sein Dasein als Art Mischwesen aus Mensch und Tier fristet, der ihn gefangen nimmt. Belle bietet sich im Tausch gegen ihren Vater an und es beginnt eine bewegende Liebesgeschichte zwischen den beiden so ungleichen Protagonisten.

Glass Oper ist sicherlich ein Märchen, doch verzichtet der Komponist auf allen Opern-Pomp und große Gesten. Gleichsam der Musik ist hier auch die gesamte Anlage des Stücks im besten Sinne minimalistisch gehalten. In Aachen unterstreicht die auf das Wesentliche reduzierte Ästhetik der Inszenierung genau diesen Aspekt des Stückes. Der Bühnenraum bleibt die rund 90 Minuten des Stücks offen und es sind immer wieder nur Kleinigkeiten, die sich ändern – hölzerne Dreiecke als stilisierte Tannenbäume, einfache Holzplanken, die mal Tisch, mal Bett mal Tür sind. Das alles wird von einem perfekt aufeinander abgestimmten Ensemble in feingliedriger Choreographie bewegt und kreiert so immer wieder aufs Neue Räume und Orte, die schon wenige Sekunden später wieder Vergangenheit sind. Was hier vielleicht unsinnlich klingen mag, erzeugt aber eine beeindruckende in sich geschlossene Bildsprache, die den Sog von Stück und Musik nur betont. Die Inszenierung beeindruckt hier einmal mehr, dass sie eben kein plüschiges Märchen zaubert, was das Stück vielleicht durchaus hergeben würde, sondern dass sie den Zuschauer auf eine Reise mitnimmt, die so einfach wie schön die Phantasie als wichtigstes Mittel nennt.

Bühne, Musik, Sänger und Handlung finden in einem Fluss zusammen und das macht beim Zuschauen und Zuhören einfach nur Freude.

Am Pult des klein besetzten Aachener Sinfonieorchesters steht mit Mathis Groß ein Dirigent, der einen fein nuancierten Glass musiziert. Mit viel Klarheit hält er Bühne und Graben exzellent zusammen und entlockt der minimalistischen Musik bei aller Konstruiertheit nicht selten Wärme und Emotion. Glass richtig musiziert ist mehr als nur aufgebrochene Dreiklänge, er vermag sehr wohl einen Sog, einen schwelgerischen Rausch zu entfalten und genau das ist hier der Fall. Die Musiker, die teils solistisch agieren musizieren hervorragend.

Auf der Bühne zeigt sich ein ausgesprochen spielfreudiges und engagiertes Ensemble. Die Premiere, die eigentlich für den Dezember 2020 geplant war, musste zwei Mal verschoben werden und so scheint es nachvollziehbar, mit welcher Lust die Singenden ans Werk gegangen sind. Fanny Lustaud singt eine herzerwärmende Belle, die im Spiel zutiefst berührt. Als Biest konnte kurzfristig Rafael Bruck verpflichtet werden, der mit weichem Bariton trotz martialischem Kostüm die zarte und verletzliche Seele seiner Figur erkennen lässt. Mit sonorem Bass legt Pawel Lawreszuk die Partie des Vaters an. Larisa Akbari und Irina Popova geben die garstigen Schwestern Felice und Adelaide und überzeugen neben exzellentem Gesang durch große Spielfreude und teils herrliches komödiantisches Talent. Mit viel Energie geht Ronan Collett an die Partie des Avenant, ihm zur Seite steht, manchmal etwas über die Maßen kraftvoll und laute Stephen Barchi. Michael Krinner als L’Usurier und Arvid Fagerfjäll als L’Officiell du Port liefern Solides in ihren kleinen Partien ab.

Dem Theater Aachen ist mit dieser Produktion ein furioser Saisonauftakt gelungen. Eine mitreißende Inszenierung und eine exzellente musikalische Leistung sorgten beim Publikum am Ende des Abends für langen, euphorischen Beifall.

Sebastian Jacobs

Fotos © Carl Brunn