Aachen: „Macbeth“

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Premiere am 13. 11. 2016

Szenisch ausgesprochen unausgegoren

Das Publikum im ausverkauften Stadttheater fällte sein Urteil über die Neuinszenierung von Verdis genialem Jugendstreich laut und eindeutig: der kollektive Jubel galt den musikalischen Interpreten ebenso wie dem Regieteam. Und dies vorweg: es ist schon beachtlich und eines besonderen Lobes wert, was ein eher kleines Haus wie Aachen mit eher bescheidenen Mitteln immer wieder auf die Beine bringt.

Die musikalische Seite rechtfertigte den frenetischen Beifall auch durchaus. Nach einigen Wacklern und Abstimmungsschwierigkeiten mit Sängern und Chor sowie einem eher knalligen und lauten Orchestersound vor allen Dingen in den Reihen der Bläser zu Beginn entlockte Kazem Abdullah, GM am Theater Aachen, dem Sinfonieorchester Aachen doch noch einen federnden, differenzierten Orchesterklang. Die berühmte „Nachtwandlerszene“ der Lady Macbeth begleitete er kongenial sogar mit eher bleichen Orchesterfarben und traf damit die Stimmung dieser Szene ganz ausgezeichnet. Sanja Radisic war eine imponierende Lady Machbeth und lief in der „Gran Scena del Sonnambulisso“ zu großer Form auf. Den Ausbruch verdrängter Schuldgefühle in dem neurotischen Zwang und vergeblichen Versuch, das Blut von den Händen abzuwaschen, gestaltete sie gesanglich und schauspielerisch mit beklemmender Intensität bis zum eindrucksvoll hingehauchten hohen Des. Da waren die z.T. unangenehm schrillen Spitzentöne in den Arien und Ensembleszenen der beiden ersten Akte und die mitunter sehr vibratoreiche und unruhige Mittellage so gut wie vergessen. Andererseits: bei der Gestaltung der Partie der Lady Macbeth geht es sowieso nicht um Belcanto-Klang. Originalton Verdi: „Ich möchte für die Lady eine rauhe, erstickte, hohle Stimme haben.“ Dennoch: man hat ein bisschen Sorge, dass hier eine hoch begabte Sängerin vielleicht doch in einer Partie agiert, die sie stimmlich über Gebühr fordert. Dass die Regie ihr in der Wahnsinnsszene am Ende einen hysterischen Lachanfall und konvulsische Zuckungen abnötigt, hat sie nicht zu verantworten!

In der Titelpartie gab der Hausbariton und erklärte Liebling des Aachener Opernpublikums, Hrólfur Saemundsson, ein musikalisch mehr als überzeugendes Debüt. Er bleibt der Partie an Stimmodulation, Attacke, balsamischer Klangschönheit etwa in seiner großen Romanze „Pietà, rispetto, amore“ oder aber in den großen Ausbrüchen während des Banketts im 2. Akt, die ihn verwirrt und voller Gewissensqualen zeigen, nichts schuldig. Das Publikum feierte ihn dafür zu Recht mit standing ovations und ließ sich auch dadurch nicht beirren, dass die Regie Macbeth in einem lächerlichen Nachthemd sterben und vor den Vorhang treten lässt.

Die Partie des Banquo gestaltete Lukasz Konieczny mit sonorer, aber auch recht unruhiger Bassgewalt, Alexey Sayapin ließ mit schön geführtem Tenor und interessantem Timbre, das an den jungen Franco Corelli erinnert, aufhorchen und sang eine der schönsten Tenorarien des jungen Verdi „Ah, la paterna mano“ mit jugendlicher Kraft und tenoralem Schmelz. Auch alle Nebenrollen, ganz besonders Vasilis Tsanaktsidis in der kleinen Partie als Arzt und Soon-Wook Ka als Malcom, waren rollendeckend besetzt. Der um einen Extrachor und Mitglieder des Aachener Domchores erweiterte Opernchor Aachen (Elena Pierini) entledigte sich der Anforderungen der großen Chorszenen mehr als achtbar.

Die Inszenierung lag in den Händen von Tobias Heyder, der als Spielleiter an der Oper Frankfurt, aber auch als Regisseur in Luzern oder am Musiktheater im Revier gearbeitet hat. Regieteam und musikalische Leitung haben sich dafür entschieden, die fast nur noch gespielte revidierte Fassung von 1865 um Macbeth‘ Todesmonolog aus der Urfassung zu ergänzen. Das macht durchaus Sinn, wenn man bedenkt, dass Verdi in dieser Schlussarie das die ganze Oper beherrschende Klangmotiv C – Des aufgreift und dieses Todesmotiv damit zu Ende führt. Nur wird diese Entscheidung in Heyders Inszenierung dadurch völlig entwertet, dass Macbeth als fast lächerlicher Held in einem scheußlichen, blutverschmierten Nachthemd röchelnd das Zeitliche segnet, nachdem er sich zuvor, so will es der Regisseur, selbst Macduffs Schwert in den Leib gerammt hat.

Das große Thema von Shakespeares Drama, an das sich Verdi und sein Librettist Franceso Maria Piave eng angeschlossen haben, ist die Korrumpierung des Menschen durch hemmungslose Gewalt und ungezügeltes Machtstreben. Dass dieses Thema von unverminderter Aktualität ist, hat in der Vergangenheit Robert Carsen in seiner Regiearbeit an der Kölner Oper eindrucksvoll vorgeführt, in der er die Handlung in eine südamerikanische Diktatur verlegt. Bei Heyder bleibt die Situierung der Handlung in einem historischen oder aktuellen Kontext völlig offen. Macbeth schleppt zwar ständig einen mittelalterlichen Morgenstern als Symbol seiner latenten Gewaltbereitschaft mit sich herum, erweist sich aber ansonsten in Outfit und Gehabe als lüsterner, gefühlsmäßig völlig unkontrollierter und von seiner Frau angetriebener Machtmensch der Gegenwart. Mehrfach geht er einem vermeintlichen Gegenspieler an die Gurgel, ist getrieben von Wahnvorstellungen und zerrissen von Reue- und Schuldgefühlen.

In einer mehr als pathetischen Szene wiegt er den von ihm eben erst ermordeten Schottenkönig Duncan in seinen Armen. Die Begegnung mit den Hexen, die in Heyders Inszenierung im Cocktailkleid und dann auch beim Bankett in identischer Gestalt als Partygäste auftreten, entspringt der Innensicht von Macbeth: Realität und Fiktion gehen ineinander über. Manches gerät auch fast zur Parodie: So sind die Diener des Festbanketts gleichzeitig Banquos Mörder und wirken in ihren roten Schürzen und mit ihren gezückten Dolchen eher komisch als bedrohlich. Oder wollte Heyder bewusst die leise Stakkato-Komik der Musik unterstützen?

Die grellen Effekte der Inszenierung verbinden sich insgesamt nicht zu einem stimmigen Gesamtbild, auch wenn die eine oder andere recht konventionelle Regieidee überzeugt. Das Bett, in dem Duncan soeben seinen Tod gefunden hat, ist in der nächsten Szene das Lotterbett, in dem es Macbeth und seine nicht minder machtgierige Gattin treiben. Nicht nur Lady Macbeth hüllt sich siegesgewiss in Duncans roten Königsmantel, sondern auch dessen ebenso machtlüsterner Sohn Malcolm, der sich im Schlusstableau als ein zweiter Macbeth geriert. Eine Wendung zum Besseren ist nicht in Sicht. Das Rad der Gewalt dreht sich weiter.

Insgesamt wird die Handlung trotz einiger Verfremdungseffekte nur brav nacherzählt. Das Bühnenbild (Cristina Mrosek) beschränkt sich auf die notwendigsten Requisiten, eine metallfarbene hohe Wand im Bühnenhintergrund enthält zahlreiche Türen und Fenster, die Einblicke in das Hintergrundgeschehen ermöglichen und bei der großen Chorszene im ersten Akt eine nicht eben stimmige Verwendung finden. Diese Wand hätte indes Chancen für eine intelligente Lichtregie geboten, etwa bei der großen Bankettszene im 2. Akt, sie werden indes leider zu wenig genutzt.

Fazit: Ein trotz der uneinheitlichen Regiearbeit interessanter Abend, der vor allem wegen der musikalischen Meriten die Reise ins Theater Aachen lohnt.

Norbert Pabelick 14.11.16

Bilder (c) Theater Aachen