Wien: „A Midsummer Night’s Dream“

25.4., Premiere am 15.4.2018

Psychologisch überfrachtet

Für die am 11. Juni 1960 beim Aldeburgh Festival uraufgeführte Oper haben Benjamin Britten und sein Lebenspartner Peter Pears die fünfaktige Vorlage von William Shakespeare auf drei Akte reduziert, wobei der Wortlaut kaum verändert wurde. Auffallend an dieser Oper sind zunächst einmal die ungewöhnlichen Stimmlagen. Den Oberon schrieb Britten für seinen Lebenspartner Sir Peter Pears, dessen Stimmlage die eines Countertenors war. Für Tytania wählte er den Koloratursopran. Das Paar Lysander und Hermia wird von einem Tenor und einem Mezzosopran gesungen, wohingegen Demetrius und Helena für die Stimmlagen Bariton und Sopran bestimmt sind. Für die musikalische Charakterisierung der irrealen Elfenwelt wählte Britten Harfen, Celesta und Cembalo. Mit der Theateraufführung der Handwerker im dritten Akt lieferte Britten sodann eine köstliche Parodie auf die Genres der italienischen Belcanto Opern à la Rossini, der Operette à la Offenbach und der Londoner Music Halls. Die Volksoper in Wien brachte das Werk 1998 zunächst in deutscher Sprache und bei der Wiederaufnahme 2006 dann in der originalen englischen Sprache mit ansehnlichem Erfolg heraus.

Die Idee von Regisseur Damiano Michieletto die ganze Geschichte in einer Schule aufzurollen, ist nicht ganz neu. So konnte man etwa bei den Wiener Festspielen 2015 Georg Friedrich Händels Oratorium Jephta in der Halle E im MuseumsQuartier als umjubeltes Gastspiel der Potsdamer Winteroper erleben, wofür die in Berlin lebende US-amerikanische Regisseurin Lydia Steier die Handlung in einem aus den Harry Potter Filmen sattsam bekannten Ambiente entwickelte. Regisseur Michieletto scheint ihr auf diesem Pfad gefolgt zu sein. Alle handelnden Personen der Oper, mit Ausnahme von Oberon und Tytania, sind Schüler verschiedenen Alters einer Schule, in der Theseus der Direktor und Hippolyta eine Erzieherin sind. Im Mittelpunkt steht Puck, gleichfalls ein Schüler dieser britischen Anstalt, der seine Eltern Oberon und Tytania durch einen Autounfall, der in der Oper in einer kurzen Filmsequenz gezeigt wird, verloren hat. Er ist ein Einzelgänger, dem seine Maske Schutz vor den Einflüssen der realen Welt bietet. Durch den frühen Verlust seiner Eltern flieht dieser Waisenknabe traumatisiert in seine eigene Fantasiewelt voller Elfen. Dieses einschneidende Erlebnis kann Puck erst bei der Schüleraufführung von Pyramus und Thisbe verarbeiten und projiziert den Tod seiner Eltern Oberon und Tytania nun auf die beiden Toten in der Schüleraufführung. Anders als bei Shakespeare verwandelt sich Bottom nicht in einen Esel, sondern ist dieser zunächst bloß ein Kuscheltier von Puck, das in seiner Fantasiewelt riesengroß wird.

Und wenn dann Tytania diesen Esel liebevoll streichelt, ist es ein Symbol für die Liebe zu ihrem Kind Puck. Puck kann nunmehr den Tod seiner Eltern akzeptieren und muss sich auch nicht mehr hinter einer Maske, die ihm seine Lehrerin und der Schuldirektor zu Beginn der Oper in einem kurzen Vorspiel abverlangen, verstecken. Die beiden Liebespaare sind bei Regisseur Michieletto pubertierende Teenager, die sich für eine Nacht im Turnsaal dieser Schule einschließen. Die sechs Handwerker bei Shakespeare mutieren im Konzept des Regisseurs zu Schülern der Abschlussklasse, die offenbar ein Theaterstück für die Schulschlussfeier einstudieren. Mit diesem handwerklich gelungenem Konzept gelingt dem Regisseur ein zwar spannendes Psychodrama, die romantische Komödie Shakespeare bleibt dabei jedoch völlig auf der Strecke. Das Bühnenbild von Paolo Fantin zeigt einen Turnsaal mit zwei Kletterstangen und zwei Seilen sowie einem Pferd und mehreren Sprungmatten. Wenn diese Sportutensilien entfernt werden, wird der Festsaal der Schule mit seiner Theaterbühne sichtbar. Die irreale Waldatmosphäre, die Puck als seine Fluchtwelt erlebt, wird durch herabgelassene Stäbe angedeutet. Die Kostüme von Klaus Bruns unterwerfen sich dem britischen Schulkonzept des Regisseurs und beschränken sich größtenteils auf Schuluniformen. Ich hatte den Eindruck, dass der Kinderchor zu Beginn der Oper, wo die Racker lieblich in ihren Schuluniformen anzusehen waren, am Ende der Oper aber einem Bild von entseelten Kindern gewichen ist, die mich an den Horrorfilm „Das Dorf der Verdammten“ von John Carpenter (1948*) aus dem Jahr 1995, basierend auf dem Roman „The Midddwich Cuckoos“ (1957) von John Wyndham (1903-69).

Den Wiener Symphonikern unter Antonello Manacorda gelangen zauberhafte atmosphärische Klang in den Fantasieszenen von Puck und den Elfen und besonders zärtliche und einschmeichelnde Melodien bei den pubertierenden Jugendlichen. Derb, wie vom Komponisten vorgesehen, fielen demgegenüber die „Handwerkerszenen“ mit ihren Reminiszenzen an die Belcanto Opern und die französische Operettenwelt.

Bejun Mehta meisterte alle Schwierigkeiten der Partie des Oberon mit Aplomb. Daniela Fally ließ als Tytania ihrer Kehle eine Salve nach der anderen an herrlichen Koloraturen entströmen. Bei den pubertierenden Liebespaaren sang Miella Hagen als Hermia mit glockenhellem Sopran auf Linie, ebenso Martina Kawalek als Hermia mit ihrem etwas dünklerem Mezzosopran. Ähnlich verhielt es sich bei ihren Liebhabern. Rupert Charlesworth brachte für den Lysander seinen jugendlichen Tenor ins Treffen und Tobias Greenhalgh unterlegte den Demetrius mit seinem schön anzuhörenden Bariton. Die „Handwerker“-Rige sorgte für die größten Lacher an diesem Abend. Allen voran Nick Bottom von dem in Kuweit geborenen jungen Bassisten Tareq Nazmi. Michael Laurenz verlieh seinen Charaktertenor der Rolle des Francis Flute und in der Schüleraufführung mimte er dann köstlich die Thisbe. Der polnische Bass Lukas Jakobski überzeugte schon allein durch sein Aussehen als Peter Quince, den Spielleiter und Souffleur der Schüleraufführung. Dumitru Mădărăşan als als Snug, Andrew Owens als Tom Snout und Kristján Jóhannesson als Robin Starveling ergänzten rollengerecht und mit äußerster Spielfreude die Schauspieltruppe. Der Theseus des türkischen Bassbariton Güneş Gürle sowie die Hippolyta der norwegischen Mezzosopranistin Ann-Beth Solvang blieben eher unauffällig. Vier Mitgliedern der St. Florianer Sängerknaben unter ihrem verdienten Leiter Franz Farnberger waren auch Kleinstrollen übertragen: Moritz Strutzenberger/Cobweb, Johannes Zehetner/Peaseblossom, Fabian Winkelmaier/Mustardseed und Christian Ziemski/Moth.

Die Rolle des Puck wurde in dieser Produktion dadurch aufgewertet, dass sich die Handlung aus der Sicht eines traumatisierten Kindes entrollt. Um die Knabenhaftigkeit zu unterstreichen wurde die Rolle vom Regisseur einer Frau übertragen. Die 1991 geborene österreichische Schauspielerin Maresi Riegner überzeugte darstellerisch und verfügte auch über eine blendende deutliche Aussprache.

Nach der Pause hatten sich nur wenige Sitze im Parkett gelichtet. Vom verbliebenen Teil des Publikums wurde die Dernière aber ausgiebigst ausgiebig beklatscht.

Harald Lacina, 25.4.

Fotocredits: Werner Kmetitsch