Wien: „Der Besuch der alten Dame“, Gottfried von Einem

besuchte Vorstellung am 20.3.2018, (Premiere am 16.3.18)

Eine gelungene Wiederbelebung

Uraufgeführt wurde diese Oper am 23.5.1971 an der Wiener Staatsoper. Der „Componist“ (nach eigener Bezeichnung) hatte die Hauptrolle für Christa Ludwig geschrieben. Friedrich Dürrenmatt adaptierte hierfür sein eigenes Stück für die Zwecke des Musiktheaters. Er kürzte den Text und änderte vor allem den Schluss. Ich selber hatte noch die Gelegenheit, als junger Student einer Aufführung mit Christa Ludwig an der Staatsoper beiwohnen zu dürfen. Und seitdem habe ich dieses Werk leider nie mehr gesehen. Für seine Tragikomödie nahm Dürrenmatt bewusst Anleihe bei der antiken griechischen Tragödie indem er die Thematik von Schuld und Sühne, Rache und Opfer, Verhängnis und Gericht wie einen roten Faden in sein Stück ein verwob und auch Chöre einsetzte. Gottfried von Einem hat nun das von der Struktur her an sich bereits „musikalische“ Stück Dürrenmatts durch seine schillernde musikalische Ausgestaltung kongenial erweitert. Einem bediente sich dabei über weite Strecken einer freien Tonalität und fand nur fallweise, wenn es die Situation erforderte, zu expressiven, geradezu atonalen Ausbrüchen. Sein Stil wurde später als der Post-Moderne verpflichtet charakterisiert.

Regisseur Keith Warner kann als Spezialist für Werke der klassischen Moderne angesehen werden. Düster und grau lässt er die Oper beginnen und führt ein herabgekommenes Güllen (Stichwort: „Gülle“) vor. Je weiter der Abend aber vorschreitet, desto bunter wird die Szenerie und gipfelt schließlich in der von einem Kamerateam voyeuristisch gefilmten letzten Momente des Delinquenten Ill. Auf der Riesenleinwand flimmern die Bilder wieder in jenem düsteren Schwarz-Weiß mit dem die Oper begann, während die Güllener in Glitzeroutfit den Todesmarsch von Ill ausgelassen beiwohnen… Der Regisseur hat für sein Konzept in David Fielding einen idealen Ausstatter mit Liebe zum Detail gefunden. Als Beispiel sei die Bahnhofstoilette erwähnt, die vor allem von dem scheinbar etwas inkontinenten Arzt öfters aufgesucht wird und die sich im Laufe der drei Akte immer luxuriöser präsentiert. Der Butler Boby erinnert natürlich an Sebastian (David Walliams), den Sekretär des Premierministers aus der britischen Sketch-Show „Little Britain“. Und Claire Zachanassian tritt am Ende der Oper im Outfit von Baron Samedi aus dem Voodoo-Kult von Haiti, in Frack und Zylinder, gestützt auf einen Stock mit Totenkopf auf. Letzteren verwendet übrigens auch Alice Cooper in seinen Bühnenshows.

Zu Beginn der Oper sieht man die Ansichten einiger Güllener Bürgerhäuser über den Häuptern der Choristen. In luftiger Höhe fährt dann noch eine Modellbahn, zu der die Güllener sehnsüchtig hinaufblicken, da sie ja für gewöhnlich bei ihnen nie Halt macht. Der Konradsweilerwald wird zu Beginn lediglich mit einer Bank, auf der sich die damals 17 jährige Klara Wäscher mit ihrem zwei Jahre älteren Liebhaber Alfred Ill vergnügt hatte, angedeutet. Später erscheint eben dort auch ein Fremdenverkehrsplakat, das exklusive Wohnungen in der herrlichen Natur anpreist. Der schäbige und billige Laden Ills mausert sich dann auch rasch zum modernen Supermarkt, der seinen nun betuchten Kunden auch preisgünstige Luxuswaren, wie Hummer, anbieten kann. Und das alles natürlich nur auf Pump… Einem übernahm für seine Oper auch die sprechenden Namen von Dürrenmatt ein zu eins: so setzt sich der Name der Milliardärin Claire Zachanassian aus jenem der Milliardäre Zaharoff, Onassis und Gulbenkian zusammen und der Geburtsname der Milliardärin Klara Wäscher soll im übertragenen Sinn verdeutlichen, dass sie den kranken Alfred (englisch: ill) wieder reinwaschen möchte. Und die Milliardärin führt natürlich auch einen schwarzen Panther, in dessen Fell sich Michael Hinterhauser verbirgt, mit nach Güllen, eingedenk ihres einstigen Liebhabers, den sie als „schwarzen Panther“ bezeichnet hatte. Die Videoregie während der Fernsehübertragung besorgte David Haneke. Für die atmosphärische Beleuchtung sorgte wiederum John Bishop.

Michael Boder am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters gelang eine perfekte Umsetzung der Partitur, die die Sänger nicht zudeckte, sodass man den Text zur Gänze verstehen konnte.

In der Titelpartie reüssierte gesanglich wie darstellerisch die schwedische Mezzosopranistin Katarina Karnéus. Hexenhaft und grotesk, einmal femme fatale, dann wieder furchteinflößende, eiskalt berechnende Nemesis. Alfred Ill ihr untreuer Verführer, der die Vaterschaft ihrer gemeinsamen Tochter Geneviève vor Gericht mittels bestochener Zeugen geleugnet hatte, wurde von dem kanadischen Bariton Russell Braun mit markiger und kräftiger Stimme eindrucksvoll gestaltet. Im Verlauf der Handlung gewinnt man trotz seiner großen Schuld auch ein wenig Mitleid mit ihm, sodass man ihm als Humanist natürlich nicht den Tod wünschen kann. Das möchte allerdings auch nicht der Bürgermeister, köstlich dargeboten von dem US-amerikanischen Tenor Raymond Very, für den es schon viel einfacher wäre, wenn sich Ill selbst erschießen würde. Verstohlen schiebt er ihm zu diesem Zwecke auch ein Gewehr über den Ladentisch. Doch mit diesem wird gegen Ende der Oper lediglich der schwarze Panther gemeuchelt. Die Entourage der Milliardärin setzte sich aus Mark Milhofer in der Rolle von Boby, ihrem Butler, mit dämonischer Ausstrahlung, zu der sein scharfer Charaktertenor bestens passte, den beiden Zuchthäuslern Roby und Toby, dargestellt von Jakob Müller und Rudolf Karasek, die die alte Dame in einer Sänfte herumtragen dürfen, Moby und Zoby, den Gatten VII und VIII, die von Ernest Allan Hausmann und Erik Årman spielfreudig wiedergegeben wurden sowie den kastrierten und geblendeten falschen Zeugen Koby und Loby, köstlich im Duett vorgetragen von Antonio Gonzalez und Alexander Linner, zusammen.

Die Güllener Gesellschaft setzte sich aus der Familie Ill, Gattin Mathilde, Tochter Ottilie und Sohn Karl zusammen, die typengerecht von Cornelia Horak, Anna Marshania und Johannes Bamberger gestaltet wurden. Annette, die Gattin des Bürgermeisters war bei Kaitrin Cunningham gut aufgehoben. Markus Butter gefiel als ketterauchender weihevoller Pfarrer mit erdigem Bariton, ebenso die beiden weiteren Baritone Adrian Eröd als moralisierender Lehrer und Martin Achrainer als vom Harndrang getriebener Arzt Dr. Nüßlin. Imposant auch der Polizist von Bass Florian Köfler, der Ill barsch auffordert, doch endlich in die „Todes“-Gasse zu gehen und als er dann den Toten hinter der Türe sieht, ohnmächtig zusammen bricht. In Ills Laden kaufen noch die Herren Hofbauer und Helmesberger, dargestellt von Botond Odor und Matteo Loi, auf Pump, sowie die zwei Frauen, die von Anna Gillingham und Carolina Lippo gestaltet wurden. Abgerundet wurde das in Summe vortreffliche Ensemble noch durch den Bahnhofsvorstand Alessio Borsari, den Zugführer Marcell Krokovay, den Kondukteur Masanari Sasaki und den Kameramann Jörg Espenkott. Wie immer bestens disponiert und in Spiellaune der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor.

Es war für das Publikum wie auch für den Rezensenten insgesamt ein mehr als beglückender Abend, denn nicht immer kann man eine Inszenierung so vorbehaltlos goutieren wie die von Keith Warner präsentierte. Bravo!

Harald Lacina, 21.3.2018
Fotocredits: Werner Kmetitsch