Wien: „Maria Stuarda“

Derniere am 31.1.2018

Veristisch aufgeputzt

Bei der Uraufführung am 30. Dezember 1835 am Teatro alla Scala in Mailand war Donizettis Oper kein Erfolg beschieden da sowohl Maria Malibran in der Titelrolle als auch Giacinta Puzzi Tosa als Elisabetta völlig indisponiert waren und so endete die Uraufführung in einem Fiasko. Erbittert zog sich Donizetti von der Scala zurück und sein Meisterwerk geriet, abgesehen von kleineren Aufführungen in Lissabon, Oporto und Neapel 1865, bald in Vergessenheit. Erst 1958 sicherte eine Wiederaufführung in Bergamo diesem Belcantojuwel seinen gebührenden Platz im Opernrepertoire. Giuseppe Bardari (1817-61), der Librettist, hatte den Personenkanon des gleichnamigen Schauspiels von Friedrich von Schiller auf gerade 6 Personen reduziert und auf diese Weise eine stärkere dramaturgische Straffung der Handlung erreicht.

Szenisch konnte man in Österreich– meiner Erinnerung nach – Maria Stuarda zuletzt am Landestheater Linz 2011 in einer Inszenierung von Olivier Tambosi erleben. Nun hat sich das Theater an der Wien dankenswerter Weise dieses Belcanto Juwels erinnert, trotz einer zwischenzeitlich erschienen kritischen Edition jedoch eine eigene Fassung ergestellt. Laut der im Programmheft wiedergegebenen Aussage des Dirigenten Paolo Arrivabeni wurde der Eröffnungschor aus Donizettis Oper „Buondelmonte“, einer von der Zensur erzwungenen Umarbeitung der „Maria Stuarda“ mit neuem Text, entnommen. „Buondelmonte“ wiederum wurde noch ein Jahr vor der „Maria Stuarda“ am Teatro di San Carlo in Neapel am 18. Oktober 1834 uraufgeführt. Aus der dreiaktigen Fassung wurde für die Aufführung im Theater an der Wien eine zweiaktige erstellt und die Rolle der Elisabetta statt mit einem Mezzo mit einem Sopran besetzt. Unter Verzicht auf eine naturgemäß vorgegebene stimmliche Abgrenzung, konnte eine solche somit nur mehr durch die unterschiedliche Charakterisierung der Personen erzielt werden.

Ausstatterin Katrin Lea Tag entwarf einen halbrunden Zylinder, der eine geräuschvoll rotierende und sich schwenkende Kreisscheibe begrenzt, auf der – wie in einer Arena – der Zweikampf der königlichen Rivalinnen, nicht nur um den Thron Englands, sondern auch um die Liebe Leicesters ausgetragen wird. Regisseur Christoph Loy versucht in seiner Inszenierung aufzuzeigen, dass ein solcher Kampf auch in unseren Tagen, etwa um ein politisches Amt oder einen Posten in einem internationalen Konzern, nicht nur möglich ist, sondern auch immer wieder stattfindet. Auf einer bewussten Zeitreise geben sich also die pseudohistorisierenden Kostüme im ersten Akt auch den Anstrich „elisabethanisch“ zu sein, wohingegen sich der zweite Akt auf der Führungsetage eines internationalen Unternehmens entrollt, wo Elisabeth in einem dunklen Hosenanzug und Maria in schwarzer Hose und schwarzem Pullover auftreten. Den szenischen Anweisungen des Librettisten muss man freilich bei einer Neuinszenierung nicht zwingend Folge leisten, gilt es doch immer wieder aufs Neue, eine eigene Sicht- und Lesart mit einiger Konsequenz und Nachvollziehbarkeit zu entwickeln. Es wäre von daher wohl übertrieben, Elisabeth bei ihrer Begegnung mit Maria in einem Reitkostüm und hoch gesteckten Haaren vorzuführen.

Wer sich an solchen historischen Tableaus delektiert möge die National Gallery in London besuchen. Die von Friedrich von Schiller frei erfundene Begegnung der beiden Rivalinnen reduziert Loy auf einen Psychokrieg zweier Diven. Und dafür braucht es auch nur weniger Requisiten: Ein Brief, eine Axt und – etwas überflüssig – Plastikblumen, die Maria Stuart zu Beginn wahllos und wie ferngesteuert ausstreut und die im Anschluss von den Hofschranzen aufgesammelt werden, um mit ihnen, weshalb auch immer, zu fechten? Alexandra Deshorties hat die englische Königin bereits im März 2017 in der Rossini Version der „Elisabetta, regina d’Inghilterra“ im Theater an der Wien gesungen. Sie verfügt über einen weniger belcantesken, dafür umso expressiveren Sopran mit einigen grellen Spitzentönen, die aber der Figur der jungfräulichen Königin eine delikate Note verliehen und sie bestens für das große Duell mit ihrer Rivalin am Ende des ersten Aktes wappneten. Zu Beginn trägt sie noch ein cremefarbenes Kleid, welches auf den Seiten breiter und vorne und hinten flacher ausgestaltet und daher dem Rokoko verpflichtet ist. Ihr offen getragenes karottenrotes Haar in der großen Auseinandersetzung mit ihrer Rivalin am Ende des ersten Aktes passte sich ihrem nun rosafarbenen Rokokoreifrock an, dessen Farbe wohl auf die Jungfräulichkeit der Königin anspielte. Maria hingegen hatte dunkelbraunes Haar mit einigen grauen Strähnen und trug ein hellblaues Kleid. Im zweiten Teil des Abends war Elisabetta bereits gealtert, hatte eine weißblonde Frisur und trug Businessoutfit.

Immerhin waren zwischen der Inhaftierung Maria Stuarts 1568 und ihrer Hinrichtung 1587 insgesamt 19 Jahre vergangen. Marlis Petersen als ihre schottische Rivalin Maria Stuart konnte ihrer Rivalin durchaus Paroli bieten. Besonders berührend gelangen ihr die Beichte und der Abschied, wo sie sich der königlichen Hülle entledigte und den verletzlichen Menschen Maria in berührender Weise gestaltete. Königliche Würde durfte sie bei Regisseur Loy freilich nicht ausstrahlen, obwohl die historische Maria Stuart immerhin vor ihrer Einkerkerung 25 Jahre lang als Maria I., Königin von Schottland, die Geschicke ihres Landes, wenngleich auch wenig erfolgreich, gelenkt hatte. Sie wird von den Pagen regelrecht bedrängt und schamlos begrapscht. Der US-Amerikaner Norman Reinhardt hatte den Roberto, Conte di Leicester, den Mann zwischen zwei starken Frauen, ebenfalls in der Rossini Version im Vorjahr im Theater an der Wien gesungen. Am Abend der Dernière lief er hörbar zu Höchstform auf, denn ihm gelangen im piano besonders berührende und innige Momente, die den wankelmütigen Liebhaber zweier Frauen, die ihm jeweils auf ihre Art überlegen waren, besonders gut kennzeichneten. Stefan Czerny ergänzte äußerst spielfreudig mit seinem noch jungen, aber tragfähigem kräftigen Bass in der Rolle des Beichtvaters Giorgio Talbot, Conte di Shrewsbury. Tobias Greenhalgh gefiel als schleimiger Bösewicht und Einflüsterer der Königin, Lord Guglielmo Cecil mit veritablem Bariton. Natalia Kawalek verkörperte noch rollen- wie stimmengerecht Marias Vertraute Anna Kennedy. Als stummer Vertrauter beider Königinnen agierte der polnische Tänzer Gieorgij Puchalski recht grazil. 2015 war er am Theater an der Wien bereits in der stummen Rolle des John in Peter Grimes zu bewundern. Da Loy, wie allgemein bekannt ist, wenig Vertrauen in das darstellerische Vermögen von Statisten setzt, hat er auch die im Programmheft als Pagen namentlich aufgelisteten Mitwirkenden, die als Entourage des Vertrauten beider Königinnen fungieren, mit geschulten Tänzern und Tänzerinnen besetzt. In dramaturgischer Hinsicht waren sie allesamt jedenfalls völlig überflüssig.

Paolo Arrivabeni leitete das ORF Radio-Symphonieorchester Wien in bester Kapellmeistertradition mit großer Sorgfalt und Umsicht. Da wurde nichts dem Zufall überlassen und die Sängerinnen und Sänger auf solidem musikalischem Untergrund weich gebettet. Seine Interpretation gehörte daher neben der Leistung des Chores und von Marlis Petersen zweifellos zu den (musikalischen) Höhepunkten des Abends. Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schönberg-Chor, dessen feste Mitglieder nur minimalsten Versicherungsschutz genießen und auch äußerst karg entlohnt werden, durfte nach eigenem Dafürhalten auf der Bühne hektisch hin- und herlaufen. Dieser Chor ist, anders als im Libretto, bei Loy zunächst rein männlich und den Damen des Chores wurden zu diesem Zwecke Schnurrbärte aufgemalt. Erst bei der Hinrichtung herrscht im Chor wieder Gendergerechtigkeit und die Damen dürfen mehr oder weniger elegante Kleider tragen. Neben vielem überflüssigem Schnickschnack dieser Inszenierung ist Loy aber in Summe ein spannender Psychokrieg zwischen den beiden königlichen Rivalinnen gelungen und ein wahrlich schauriges Schlussbild, wenn die Augen Marias von ihrer Vertrauten Anna verbunden werden und Elisabeth dem Henker das Beil entreißt, um die Rivalin zu enthaupten. Aber wir sind ja nicht bei den „Pradler Ritterspielen“. Bevor die schwere Axt das Haupt vom Rumpf trennen kann, verlischt die Szene und wir als Zuschauer bleiben unserer eigenen blutrünstigen Fantasie überlassen…

Der Applaus verteilte sich gleichermaßen auf alle Mitwirkenden. Bravi erhielten die beiden Königinnen. Fazit: Man kann mit dieser Inszenierung leben. Im Mittelpunkt stehen die beiden königlichen Rivalinnen, keine Belcanto Sternstunde, vielmehr ein Donizetti in veristischem Zuschnitt mit viel nebensächlichem szenischen Beiwerk.

Harald Lacina, 31.1.

Fotocredits: Monika Rittershaus