Wien: „Rappresentatione di anima et di corpo“, Emilio de’ Cavalieri

21.9.2021 (Premiere am 19.9.)

Eine höchst gelungene Wiederentdeckung

Der vielseitige italienische Komponist, Choreograf, Organist, Tänzer und Diplomat wurde 1550 in Rom geboren und starb ebenda 1602. Er trug gemeinsam mit Giovanni de‘ Bardi, Conte di Vernio (1534-1612), zur Entwicklung der Intermezzi bei. Er war Mitglied der römischen Schule. Sein Werk und das anderer zeitgenössischer Komponisten aus Florenz, Rom und Venedig entstand am Ende der Renaissanceära und dem Beginn des Frühbarocks mit Generalbass und Monodie. Seine 1600 im Betsaal der Bruderschaft des Heiligen Filippo Neri in Rom auf ein Libretto von Agostino Manni (1548-1618) uraufgeführte „Rappresentatione di Anima et di Corpo“ ist das bislang erste vollständig erhaltene Musiktheater mit Elementen des mittelalterlichen Mysterienspiels und des Jesuitendramas im „Stile recitando“ (recitar cantando); sie kann als Vorläufer der Oper bzw. des Oratoriums, also der allegorischen geistlichen Oper, angesehen werden. Erst sieben Jahre später sollte mit Claudio Monteverdis Orfeo in Florenz die Geburtsstunde der weltlichen Oper schlagen.

Auf der leeren Bühne finden sich alle Mitwirkenden mit ihren Rollkoffern zur Probe ein, während das Publikum seine Plätze einnimmt, um auch den in letzter Minute den Zuschauerraum betretenden Personen, die selbstredend ihren Sitzplatz in der Mitte einer Reihe gekauft hatten, den Zugang zu diesem zu ermöglichen. In dem vom kanadischen Regisseur Robert Carson kreierten Prolog diskutieren die Mitwirkenden in einem babylonischen Sprachgewirr darüber, ob es eigentlich eines nicht vorhandenen Prologes bedürfe, um das dem heutigen Betrachter schwer verständliche Stück zu erklären. Aus diesem Chaos ertönt schließlich die erste mahnende Arie von Bariton Georg Nigl als Tempo (die Zeit). Hierauf begeben sich die Seele (anima) und der Körper (corpo) auf ihre gemeinsame Suche nach dem (höheren) Sinn des Lebens.

Sehr heutig mit Jeans und Stiefeln bekleidet (Kostüme: Luis Carvalho) müssen sie den Verführungen der Welt widerstehen. Diese tritt ihnen zunächst in Gestalt der italienischen Altistin Margherita Maria Sala als Vergnügen (Piacere) und ihrer beiden Begleiter, der tschechische Bariton Michal Marhold und der slowakische Tenor Matúš Šimko (Compagni di Piacere), entgegen. In lasziven feuerroten Kostümen werden die beiden in ein erotisches Bacchanal verstrickt, in dem die gewöhnlichen Geschlechterrollen aufgehoben zu sein scheinen. In immer neuen Zusammenstellungen erfahren sie so eine Erweiterung ihres (sexuellen) Bewusstseins. Hierauf versuchen Georg Nigl als Welt (mondo), goldgekleidet und äußerlich an Sir Elton John erinnernd, und die italienische Mezzosopranistin Giuseppina Bridelli als das weltliche Leben (Vita Mondana) mit ihrem Gefolge das junge Paar mit Reichtum und Gold zu verführen. Aber der körperliche Verfall kann durch die glitzernde Fassade nicht kaschiert werden. Haben sie ihren gleißenden Putz einmal abgelegt, wird der ungeschminkte Blick frei auf ausgemergelte, faltige Körper.

Erleichtert, auch dieser Verführung letztendes widerstanden zu haben, ziehen Anima und Corpo weiter. Aber bis zu ihrer Erlösung müssen sie noch weitere Hindernisse überwinden, wobei ihnen nun der französische Tenor Cyril Auvity als Verstand (intelletto), Bassbariton Florian Boesch als guter Rat (consiglio) und Countertenor Carlo Vistoli als Schutzengel (Angelo Custode) behilflich sind. Während die Seele fast unbeirrt Gott zustrebt, sucht der Körper nach Lust und vielfachen weltlichen Freuden. Am Ende schweben spärlich bekleidete Tänzer (Choreografie: Lorena Randi) zwischen Himmel und Hölle, sinnbildlich für ewiges Feuer und ewiges Licht, auf und ab. Am Ende gibt es dann für alle – nunmehr in weiß gekleidete – Mitwirkenden als Erlösung und zur Belohnung eine ausgelassene „White Party“.

Robert Carson hat gemeinsam mit Kostümbildner Luis Carvalho auch das minimalistische Bühnenbild entworfen. Das bewegliche Portal dient dabei wie im mittelalterlichen Stationendrama den einzelnen Prüfungen und erinnert von daher natürlich an Mozarts Zauberflöte. Schwarz und Weiß dominieren. Der Regisseur hat auch gemeinsam mit Peter van Praet die einzelnen Szenen effektvoll eingeleuchtet. Der Arnold Schoenberg Chor wurde wieder einmal blendend von Erwin Ortner einstudiert.

Dem Mailänder Dirigenten und Flötisten Giovanni Antonini gelang es am Pult des von ihm mitbegründeten und fantastisch musizierenden Barockensemble Il Giardino Armonico ein Klangerlebnis der besonderen Art, indem die Musik Cavalieris alles andere als antiquiert erklang, vor allem in den dynamischen Zwischenspielen, die auch mit Tanzrhythmen aus der Renaissance aufwarten konnten. Für diese Intermezzi hat der Dirigent bewusst Werke anderer Komponisten jener Zeit ausgewählt, etwa die Stravaganza von Giovanni de Macque (um 1548-1614), eine Canzone von Giovanni Gabrieli (1554/57-1612), eine Sonata Stravagante sull‘ Ave Maria Stella von Giovan Pietro del Buono (vor 1641-1657), die Sonata decimaquarta a 4 von Dario Castello (1590-1658) sowie ein Stück eines unbekannten Komponisten La morte della Ragione. Bei einem so hehren Thema wie der ewigen Sinnfrage, was denn ein gutes Leben ausmache, wären Koloraturen nicht opportun, weshalb die einfache Begleitung der Singstimmen, neben den Chorpassagen, im Vordergrund stehen.

Aus dem Reigen der singenden Solisten stachen für mich Carlo Vistoli als Schutzengel und Daniel Schmutzhard als kraftvoller Corpo heraus, der Hermann Prey als Corpo in der Einspielung von 1970 unter Charles Mackerras um nichts nachstand. Tatjana Troyanos sang auf dieser Aufnahme Anima, die Seele. Hier ist es Anett Fritsch mit jugendlichem, leichten Sopran. Wie immer bewährt Florian Boesch und Georg Nigl. Cyril Auvity überraschte mit seinem markanten Tenor in der Rolle des Verstandes. Die übrige Besetzung Margherita Maria Sala, Matúš Šimko, Michal Marhold und Giuseppina Bridelli sangen und spielten ihre jeweiligen Partien mit Verve. Der enthusiastische Applaus am Ende der Vorstellung bestätigte das gelungene Konzept von Regisseur Carson, mit dem er ein 421 Jahre altes Werk mit Verstand, großem Einfühlungsvermögen und unendlicher Liebe für unsere heutige Zeit zu einer glanzvollen Aufführung verhelfen konnte.

Harald Lacina, 22.9.2021

Fotocredits: Werner Kmetitsch