Wien: „Porgy and Bess“

16.10. (Premiere am 14.10.)

Groovige Jazzrhythmen von erstklassigen Sängern in einer 3-Sterne-Produktion

George Gershwin (1898-1937), ist vor allem durch seine beiden Orchesterkompo-sitionen Ein Amerikaner in Paris und Rhapsodie in Blue im Gedächtnis vieler Musikliebhaber präsent. Seine dreiaktige Folk-Oper von 1935 Porgy und Bess nach einem Libretto von (Edwin) DuBose Heyward (1885-1940) über das Leben farbiger Arbeiter im Werftbezirk von Charleston, den Bewohnern der Catfish Row um 1870, kennen viele wohl nur dem Namen nach. Der Grund mag darin liegen, dass die Oper nach dem Willen des Komponisten ausschließlich von Schwarzen szenisch gesungen werden darf. Vielleicht haben einige Opernfreunde die Inszenierung von Götz Friedrich auf der Seebühne der Bregenzer Festspiele 1997 verfolgen können. Der Verfasser dieses Berichtes leider nicht… Dem Libretto der Oper Porgy and Bess wiederum lag der 1925 erschienene Roman Porgy zu Grunde, den DuBose Heyward und seine Gattin Dorothy Hartzell Kuhns (1890-1961) 1927 zu dem erfolgreichen Theaterstück Porgy umformten. Im Sommer 1934 zog Gershwin auf Folly Island, um das Leben des Stammes der Gullah (Nachkommen der Sklaven aus Sierra Leone) zu studieren, deren Dialekt und Musik im Libretto und in der Komposition verwendet wird. Gershwin wollte mit seiner Oper das Milieu der Catfish Row, einer Siedlung ausschließlich für Afroamerikaner in Charleston, in der zweiten Hälfte des 19. Jhd. schildern.

Er spielte dabei mit den Emotionen der Zuschauer, indem er Mord, Tod und Gewalt effektvoll in folkloristische Tänze und Gesänge einbettete und den tragischen Helden „Porgy“ als Körperbehinderten in einem Wägelchen auftreten lässt. In unseren Tagen wird das wohl manchem Zuschauer als starker Tobak vorkommen. Aber gerade die Zuspitzung aller Emotionen gehört zum Besten, was die Oper den Menschen zu bescheren im Stande sein kann… In musikalischer Hinsicht bediente sich Gershwin vieler Elemente nordamerikanischer Musik. Stilistisch steht die Oper einerseits dem Verismo nahe, andererseits dem Musical wegen ihrer volkstümlich gewordenen Elemente aus Blues, Jazz, Gospels und Spirituals, auf die er die Leitmotivik Wagners übertrug. Zu Lebzeiten des Komponisten war seiner einzigen Oper nicht mehr als ein Achtungserfolg beschieden. Erst nach Gershwins Tod sollte sich ihr Welterfolg einstellen. Um sich in der Gegenwart politisch korrekt auszudrücken, darf die Bezeichnung bestimmter Menschen keinen Bezug zu ihrer Hautfarbe beinhalten, weshalb auch „Schwarzafrikaner“ abzulehnen ist.

Vielmehr sollte man die Bezeichnung „Afroamerikaner“ oder in Deutschland etwa „Afrodeutsche“ verwenden. Dieses Verständnis war zur Zeit der Komposition von „Porgy and Bess“ freilich noch nicht im Bewusstsein der Mehrheit der Bevölkerung verankert. Matthew Wild, der künstlerischer Leiter der Cape Town Oper, verlegte die Handlung vom romantischen Fischerdorf in eine kalte Container-Stadt, wo sich nach der Pause Haufen alter Kleider türmen. Jeder einzelne dieser übereinander-gestapelten Container bildet eine Wohneinheit. Üblicherweise kommen solche Container bei großen Frachtschiffen zum Einsatz. Sonst erinnert nur ein einzelnes Fischerboot mit Heckmotor an die Verortung der Handlung nahe dem Meer. Flackernde Neonröhren deuten stürmische Gewitter an. Die stimmige bunte Ausstattung von Katrin Lea Tag passt sich dem Regiekonzept von Matthew Wild sensibel an. Aus der Vielzahl an Personen und Nebenhandlungen kristallisieren sich im Laufe des Abends, neben den Titelhelden der Oper, noch Clara, Serena und Maria, sowie die Männer Crown, Sportin’Life und Jake mit stärkerem Eigenleben heraus. Als Milieustudien fügten sich die von Louisa Talbot choreographierten Tanzszenen organisch in die Handlung ein.

Der afrobritische Dirigent Wayne Marshall am Pult des um jazzerfahrene Musiker erweiterten Wiener KammerOrchesters verzichtete auf all zu viel Sentimentalität bei den „Hits“ wie „Summertime“, „I Loves You, Porgy“, „I Got Plenty o’ Nothin’“ und „It Ain’t Necessarily“ und präsentierte einen lautstarken eher harten Gershwin-Sound. Die Sänger der Hauptrollen verfügten allesamt über voluminöse durchgängig prachtvolle Stimmen. Der verkrüppelte, so der Text, heute würde man wohl körperbehinderte Porgy sagen, wird in dieser Inszenierung äußerlich durch ein in einer Orthese steckendes steifes Bein und einer Krücke gekennzeichnet. Der US-amerikanische Bariton Eric Greene wirkte dabei keineswegs als bemitleidenswerter „Krüppel“, sondern als resoluter, stolzer Mann, der sich zu wehren weiß und darüber hinaus noch stimmgewaltig aufzutreten konnte. Am Ende tötet er Crown ohne dieses Mordes jedoch überführt werden zu können und bricht nach New York auf, um „seine“ Bess zu suchen. Jeanine de Bique als Bess, die von ihrem schurkischen Liebhaber Crown nach dessen Mord an Robbins zurückgelassen wurde, bestach sowohl durch äußerliche Schönheit als auch durch exzellente Stimmführung. Als labiler und seelisch zerrütteter Junkie bleibt sie Crown jedoch sexuell hörig und verlässt schließlich beide Männer nach einer übermäßigen Kokaineinnahme um ihr Glück an der Seite des Drogendealers Sportin’Life in New York zu suchen.

Zwakele Tshabalala wirkte in der Rolle dieses fiesen Sportin’Life mit seinen langen Haaren rollengerecht schmierig und richtiggehend unsymphatisch. Der sich nach dem Mord an Robbins auf der Flucht befindliche brutale Crown des Norman Garrett, der nach seiner Wiederkehr Bess vergewaltigt und Ryan Speedo Green als Jake, der während eines Sturmes mit seinem Boot untergeht, verliehen ihren Rollen jeweils ein starkes gesangliches wie darstellerisches Profil. Brandie Sutton wurde in der Rolle der Clara rein äußerlich als Hidschāb (Kopftuch) tragende Muslima gekennzeichnet, deren Gatte Jake aber Christ ist. Mary Elizabeth Williams als Serena hatte eine große Szene als sie Bess gesund betete und Tichina Vaughn als Maria mit gelben Zöpfchen gefiel in der Auseinandersetzung mit Spotin’Life über dessen Drogenhandel sie empört war. Die kleineren Rollen waren mit Calvin Lee/Robbins, der von Crown ermordet wird, Ronald Samm/Peter, der für diesen Mord unschuldig festgenommen wird, Themba Mvula als profitgieriger Anwalt Frazier, Sarah-Jane Lewis/Annie, Felicity Buckland/Lily, April Koyejo-Audiger/Strawberry Woman, Njabulo Madlala/Jim, Msimelelo Mbali/Undertaker und Siphesihle Mdena als Crab Man/Nelson mit ausdrucksstarken Sänger-Schauspielern besetzt. Die nicht singenden weißen Darsteller dieser Produktion waren Tobias Voigt als Detective und Markus-Peter Gössler als Policeman/Coroner.

Trotz einer Gesamtlänge von dreieinviertel Stunden zeigte das Publikum keinerlei Ermüdungserscheinungen und bedachte alle Mitwirkenden mit lang anhaltendem Applaus. Porgy and Bess wird noch bis 24.10. in alternierender Besetzung im Theater an der Wien gezeigt. Ein Besuch kann nur wärmstens ans Herz gelegt werden!

Harald Lacina, 17.10.2020

Fotocredits: Monika Ritterhaus