Augsburg: „Macbeth“

Skurriles ohne Schottenrock

Wiederaufnahmepremiere am 18.10.2015

Lieber Opernfreund-Freund,

normalerweise kann ich mit radikal modernisierten Inszenierungen wenig anfangen. Aida im Raumschiff, Gespräche der Karmeliterinnen im Irrenhaus oder Norma im KZ haben mir selten einen neuen Zugang zum Werk erschlossen, oft sieht es nach Modernisierung mit der Brechstange, nach Provokation um der Provkation willen aus. Deshalb bin ich selbst überrascht, wie sehr mich die Augsburger Inszenierung von Verdis "Macbeth" begeistert hat, die erstmals ind er vergangenen Spielzeit zu sehen war und nun am gestrigen Sonntag Wiederaufnahmepremiere hatte. Den Schweizer Regisseur Lorenzo Fioroni scheint nicht zu interessieren, was Verdis Librettisten Francesco Maria Piave und Andrea Maffei da nach Shakespeares Drama singen lassen, sondern er nutzt das Grundkonstrukt und die wunderbaren Melodien gewissermassen als Bühne, erzählt seine eigene Geschichte vom nahezu symbiotisch verbundenen, machtbesessenen, von Ehrgeiz zerfressenen Herrscherpaar.

Da werden aus dem Hexenchor Nutten, Banquo begeht Selbstmord, weil er die Skrupellosigkeit des einstigen Gefährten nicht mehr erträgt, die Lady feiert in der Nachtwandelszene mit toten Kindern Weihnachten und am Schluss werden Gesangsparts direkt ganz gestrichen und nur die Orchestermusik erklingt. Und doch funktioniert alles aufs Vortrefflichste. Die Bühne von Ralf Käselau ist ständig von so vielen Eindrücken nahezu überfrachtet, daß man eigentlich mehrere Vorstellungen besuchen muss, um alles zu erfassen. Die Bilder gleichen Traumbildern und Visionen, teils verspielt träumerisch und fast kindlich mit Spongebob und Konsorten, und werden zum auch jahreszeitlich immer kälter werdenden Schluss hin immer skurriler, alptraumhafter und verstörender. Wenn man sich darauf einlässt und bei "Macbeth" keinen Schottenrock sehen muss – sondern sich an Groteskem und den traumhaften und farbenreichen Kostümen von Anette Braun und dem effektvollen Licht von Kai Luczak freuen kann, erwartet einen ein kurzweiliger, bewegender und spannender Opernabend.

Dessen musikalischer Schwachpunkt ist leider die Besetzung der Titelfigur. Ricardo López verfügt über einen weichen Bariton, allein fehlt ihm Volumen, um einen Mann der ein ganzes Volk unterjocht und für seinen Machterhalt im wahrsten Wortsinn über Leichen geht, glaubhaft zu verkörpern. Er singt oft zu leise und recht zaghaft, hat deshhalb seine überzeugendsten Momente da, wo die Figur des Macbeth zaudert – also beispielsweise in der Szene des Duncanmordes – oder in der Schlussarie, für die er sich ein wenig aufgespart zu haben scheint. Das wird um so offensichtlicher, als ihm als Lady eine echte Sängerdarstellerin zur Seite steht. Die Lady Macbeth von Sally du Randt ist schlichtweg eine Offenbarung.

Verdi wollte für diese Rolle etwas Teufliches in der Stimme. Und die Südafrikanerin hat nicht nur das: sie betört mit kaum wahrnehmenden Pianissimi, verstört mit gewaltigen Ausbrüchen und lebt die Rolle mit all ihren Facetten. Schon das "La luce langue…" im zweiten Akt macht Gänsehaut und am Ende der Wahnsinnsszene hätte es mich kaum verwundert, hätte sie sich – tatsächlich wahnsinnig geworden – in den Orchestergraben gestürzt. Vladislav Solodyagin überzeugt mit dunklem Bass und lässt mich erneut bedauern, dass die Partie des Banquo so vergleichsweise kurz ist, dem Koreaner Ji-Woon Kim gelingt ein so anrührender wie kampfeslustiger Macduff. Christopher Busietta, Andrea Berlet-Scherer, Eckehard Gerboth, Oliver Scherer und Georg Festl komplettieren das Ensemble allesamt bestens disponiert in den kleineren Rollen.

Samuele Sgambaro führt furios durch den Abend, übertönt aber in seiner offensichtlichen Begeisterung für Verdis Musik bisweilen die Sänger ein wenig. Der von Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek einstudierte Chor überzeugt schrill und gespenstisch als Hexen und berührt im "Patria oppressa".

Das Augsburger Publikum ist außerordentlich klatschfaul, trotz teils grandioser Leistungen in den Arien hebt sich während des ganzen Abends kaum ein Händchen zu einem Szenenapplaus. Am Schluss wird der für einen Verdi am Sonntagabend recht spärlich besuchte Zuschauerraum dann doch noch wach und beklatscht neben der Lady Macbeth vor allem Dirigent und Orchester. Man hat die Qualität also doch wahrgenommen – das könnte man ruhig, so finde ich, auch zwischendurch schon mal zeigen.

Ihr

Jochen Rüth aus Köln 19.10.2015

Fotos A.T. Schaefer zeigen die Mitwirkenden der Spielzeit 2014/15