Michael Wertmüller
Welt-Uraufführung
Premiere: 21. Februar 2019
Besuchte Aufführung: 24. Februar 2019
„Das grosse Ziel des Lebens ist das Empfinden“! Unter dieses Motto stellt die Autorin und Librettistin Lea Loher ihre Arbeit „Diodati“, ein Auftragswerk des Theater Basel für Loher und den Komponisten Michael Wertmüller.
In der Regie von Lydia Steier entstand eine Inszenierung, welche sich nahtlos an Steiers Arbeiten in Basel, „The Rake’s Progress“, „Alcina“ und an die preisgekrönte Regie „Donnerstag aus Licht“ von Karl-Heinz Stockhausen anfügt.
Unter der Stabführung von Titus Engel interpretiert das Sinfonieorchester Basel (SOB), verstärkt durch Steamboat Switzerland, ein Jazz-Rock Trio, die nicht leicht zu fassende 12-Ton Komposition von Wertmüller. Und so geniesst man im Theater Basel einmal mehr eine Oper, ein modernes Werk, welches aufzeigt, wie Musik sein kann, wie moderne klassische Musik auf die Bühne gebracht werden sollte.
Im CERN Genf, der Erfinderin des Internets, ist der Durchbruch gelungen. Die Forscherinnen und Forscher haben im Jahr 2016 eine Zeitmaschine konstruiert und springen zurück, zurück in den sehr verregneten Sommer des Jahres 1816 und erwecken die Besucher in der Villa Diodati zu neuem Leben. Der Besuch dieser Künstler in Genf im Jahr 1816 ist geschichtlich nachgewiesen. In diesem Jahr entstand auch die Idee der Geschichte von Frankenstein.l
Die Bühne stellt einen Raum in der Villa Diodati dar. Die Protagonisten und Protagonistinnen sind vor Ort, allerdings noch ohne vollständige Kontrolle über ihr Leben. Sie brauchen noch Spritzen, Energie aus dem CERN-Labor. Sie werden von den PhysikerInnen auch beobachtet und studiert und ihre Gespräche und Aktionen werden minutiös protokolliert.
Die Beobachteten aber nehmen diese Observation immer mehr wahr. Ihre physische Kraft wächst, ihr Wille zur Unabhängigkeit, ihre Psyche, wird immer stärker. So stark, dass die CERN-Leute keine Macht mehr haben, dass sie ihre Arbeit als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nicht mehr fortführen können. Sie werden auch rein physisch besiegt und vom Handlungsort weggejagt. Dies wird im zweiten Teil augenfällig. Das Labor des CERN ist verschwunden, nur noch die Villa Diodati samt Umschwung ist vorhanden.
Die Personenführung von Lydia Steiger ist hervorragend. Auf der Bühne herrscht keine hektische Aktivität. Steiger hat den Mut, die Statisterie und den Chor auch mal ohne Aktion auf der Bühne zu lassen. Aktion herrscht nur dort, wo es dramaturgisch sinnvoll und für die Geschichte wesentlich ist. Sie legt grossen Wert auf perfekte Diktion, saubere Artikulation und Intonation, auch in den Höhen der drei Sängerinnen. Die Wichtigkeit von Körpersprache, Mimik und Gestik wird hochgehalten. Für meinen Geschmack allerdings kommt Lord Byron ein bisschen zu grobschlächtig daher. Byron gilt ja in der Literaturgeschichte, obgleich Choleriker, allgemein als feinsinniger und schöngeistiger Aristokrat.
Das Bühnenbild, geschaffen von Flurin Borg Madson, ist stimmig und unterstützt optimal die Intentionen der Regisseurin. Auch finden die wichtigen Video-Einspielungen, aufgenommen von Tabea Rothfuchs, den entsprechenden Platz in der Szenerie.
Die Kostüme der ProtagonistInnen aus dem Jahr 1816, entworfen von Ursula Kudrna, waren angemessen ohne auffällig zu wirken. Hervorragend die Kostümgestaltung der PhysikerInnen, welche sich im modernen Stil sehr gut von der Kleidung der Wiederauferstandenen abheben.
Eine besondere Erwähnung bedarf die Leistung des Tonmeisters Cornelius Bohn. Die Sänger und Sängerinnen sind mit persönlichen Mikrophonen ausgerüstet, eine Technik, welch im klassischen Musiktheater im Allgemeinen verpönt ist. Für die Komposition Wertmüllers jedoch mit Einspielungen einer Jazz-Rock Band ist dies ein Muss. Bohn’s Arbeit wirkte so ausgefeilt, dass der Einsatz der Technik nicht feststellbar wird. Die Schallortung entspricht dem visuellen Eindruck und so muss es auch sein, sei es im Sprech- oder im Musiktheater.
Mit Einschränkung des oben erwähnten gefällt mir der deutsche Bariton Holger Falk als Lord Byron gut, sein Einfühlungsvermögen in die nicht leicht fassbare Musik Wertmüller’s ist bewundernswert und seine Diktion und Intonation lassen keine Wünsche übrig.
Das Basler Ensemblemitglied, die Mezzosopranistin Kristina Stanek, sang schon in der Hans Neuenfels Inszenierung von Mozarts „Lucio Silla“ ausgezeichnet. Auch als Mary Godwin überzeugt sie durch ihre hervorragende schauspielerische Leistung mit stringenter Mimik und Gestik sowie der perfekten Körpersprache. Ihr musikalischer Ausdruck reicht vom romantischen Feeling bis hin zum expressionistischen Aufschrei, dies alles in perfekter Intonation mit einer makellosen, sehr guten Diktion. Dies auch in Höhen, wo andere Sängerinnen meistens nur noch schwer verständlich sind.
Der Schweizer Tenor Rolf Romei als Percy Bysshe-Shelley zeigt in dieser Produktion eine seiner besten Leistungen. Shelley wird oft als eher unsicherer, scheuer Mensch beschrieben.
Und genau dies ist bei Romei zu spüren. Interessanterweise war seine Interpretation in Hoffmanns Erzählungen in Freiburg ähnlich gelagert. Dem exzellenten Sänger-Schauspieler Romei liegen genau diese nicht spektakulär vordergründig zu spielenden Rollen. Seine sängerische Qualität ist auch in dieser musikalisch schwierigen Rolle unübertroffen. Seine Intonation und Diktion, zusammen mit hervorragender Körpersprache, wird der Rolle Shelleys überzeugend gerecht wird.
Auch das restliche SängerInnen Team überzeugt in gleicher Weise. Jede der Rollen ist optimal besetzt.
Schade, dass an der von mir besuchten Vorstellung das Haus nur zu ungefähr der Hälfte besetzt war. Dass Zwölf-Ton Musik gewöhnungsbedürftig ist, bleibt unbestritten. Ebenso unbestritten ist, dass für die Weiterentwicklung des Musiktheaters, des Theaters ganz allgemein, neue Ideen, nicht nur in Regie und Aufführungspraxis, sondern auch im musikalischen Bereich notwendig sind. Und für genau diese Entwicklung braucht es auch ein zahlreiches, neugieriges Theaterpublikum. Neugierig hingehen und sich überzeugen, dass auch moderne Musik eingängig und interessant sein kann, interessant ist!
Der stürmische Applaus der Besucher und Besucherinnen am heutigen Abend beweist genau dieses!