Bielefeld: „Jakob Lenz“

Wolfgang Rihm

Premiere: 9. Juni 2018

Während andere Opern nach ihrer Uraufführung schnell von den Bühnen verschwinden, erlebt Wolfgang Rihms „Jakob Lenz“ seit seiner Uraufführung vor 39 Jahren immer wieder Neuinszenierungen. Diese sind zwar nicht allzu häufig, machen das Stück aber ähnlich wie Aribert Reimanns „Lear“ zu einer verhältnismäßig erfolgreichen Oper. Nun wagte sich auch das Bielefelder Theater an die anspruchsvolle Partitur.

Basierend auf Wolfgang Büchners „Lenz“-Erzählung zeigt Librettist Michael Fröhling den Weg des Dichters in den Wahnsinn. Regisseurin Nadia Loschky entscheidet sich für eine Version, die nicht bloß im wirren Hirn der Hauptfigur oder einer Irrenanstalt spielt, sondern bei ihr mischen sich reale Szene mit Erinnerungen des Dichters. Die beiden weiteren solistischen Rollen, der Freund Kaufmann und der Pfarrer Oberlin sind reale Personen, die sich um Lenz kümmern.

In verschieden Szenen erinnert sich Lenz an seine Kindheit, seine Jugend und an die Beziehung zu Friederike Brion. Die SängerInnen der sechs Solostimmen, die so etwas wie die Stimmen in Lenzens Kopf sind und Statisten übernehmen diese Rollen. So entsteht aus der Oper, die auch vollkommen abstrakt deutbar ist, ein sinnvoller Spannungsbogen, und ein für das Publikum in seiner Konkretheit nachvollziehbare Geschichte; die aber nie banal wird.

Unterstützt wird die Regie auch durch den gelungenen Kontrast zwischen den historisierenden Kostümen von Irina Spreckelmeyer und dem abstrakten Raum von Ulrich Leitner, der aus einem Zylinder mit großen Türen besteht, vor dem mehrere große Steine liegen.

Die Partitur Rihms wurde zwar gerne mit dem Schlagwort „Neue Einfachheit“ versehen, davon ist das Stück mit seinen 11 anspruchsvollen Vokalparts sowie ebenso vielen virtuos gehandhabten Instrumenten weit entfernt. Zwar gibt es Volksliedanklänge und reduzierte Abschnitte, aber in vielen Momenten geht die Musik an die Grenzen dessen, was sängerisch und spieltechnisch möglich ist. Die Musiker aus den Reihen der Bielefelder Philharmoniker spielen unter dem Dirigat von Gregor Rott Rihms Musik mit großer Expressivität. Trotz der kleinen Besetzung entsteht ein gut gemischter abwechslungsreich–dramatischer Gesamtklang, in dem lediglich das Schlagwerk manchmal zu sehr heraussticht.

Das Sängerensemble wird von Evgueniy Alexiev angeführt, der sich mit maximalem stimmlichen und darstellerischen Einsatz in die Rolle stürzt. Wie er diesen brüchigen Charakter mit seinem lyrisch fundierten Bariton, der auch Raues nicht ausspart singt, beeindruckt. Mit kernigem Bass singt Moon Soo Park den Oberlin. Ein sängerisch wendiger Kaufmann ist Spieltenor Lorin Wey.

Etwas problematisch ist die Besetzung der sechs Gedankenstimmen mit Choristen. Das führt natürlich zu einem homogenen Klang in den Ensembles. Den solistischen Passagen, die besonders vom Sopran gefordert sind, würden jedoch stärkere Stimmen guttun.

Die Bielefelder Produktion ist ein starkes Plädoyer für dieses starke Stück. Dass die Zuschauer die gesamten 80 Minuten Aufführungsdauer fesselt. Ein Kompliment geht auch an das Bielefelder Publikum im gut besuchten Theater, dass der anspruchsvollen Aufführung hoch konzentriert folgt und am Ende die Akteure mit wahren Jubelstürmen feiert.

Rudolf Hermes 12.6.2018

Bilder (c) Theater Bielefeld