Bonn: „Der Rosenkavalier“

Premiere am 8. Oktober 2019

Auf höchstem gesanglichen Niveau

Der Bonner Generalmusikdirektor Dirk Kaftan eröffnet die Spielzeit 2019/20 mit einer szenisch und musikalisch absolut gelungenen Produktion des „Rosenkavalier“. Operndirektor Andreas K. Meyer hat gewagt – drei Rollendebüts von jungen Sängerinnen – und gewonnen. Martina Welschenbach als Marschallin, Louise Kemény als Sophie und vor allem Emma Sventelius als Octavian liefern hinreißende Charakterstudien und agieren auf höchstem Niveau, der international gefeierte Franz Hawlata gestaltet die Rolle des Ochs, und die anderen Partien sind aus dem Ensemble hochkarätig besetzt. Großartige Ensembleleistung!

Gutes Regietheater geht der Idee des Stückes auf den Grund, und das sind bei diesem 1910 entstandenen Stück (Uraufführung am 26. Januar 1911 in Dresden) die Vergänglichkeit und die Eitelkeit (Vanitas), verpackt in eine deftige Komödie über erotische Eskapaden mit scharfen Karikaturen des Adelsdünkels und der Geltungssucht des aufstrebenden Bürgertums. Richard Strauss und Hugo von Hofmannstahl wollten eine Mozart-Oper im Stil der Comedia dell´arte schreiben wie „Le nozze di Figaro“, haben aber darüber hinaus authentische Charaktere geschaffen und die Endzeitstimmung des Wiener Kaiserreichs kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs eingefangen.

Regisseur Josef Ernst Köpplinger, Intendant des Münchener Gärtnerplatztheaters, siedelt diese „Komödie für Musik“, seine erste Regie in Bonn, in der Entstehungszeit an. Die Personenführung ist vorbildlich, jedes Detail ist durchdacht, auch dank der Dramaturgie von Christian Wagner-Trenkwitz. Diese Inszenierung ist ein echter Beitrag zur Me-too-Debatte, denn es geht darum, dass der übergriffige notorische Weiberheld Ochs auf Lerchenau von seiner Zukünftigen abgewiesen wird, und dass es schließlich mit Hilfe der Marschallin und des jungen Grafen Octavian gelingt, ihn vom Platz zu verweisen.

In den Momenten, in denen die Zeit stehen bleibt, hält GMD Dirk Kaftan die Musik an und gestattet lange Generalpausen, nach denen die reflektierenden Monologe der Marschallin und die Ensembles der drei Frauenstimmen umso stärker wahrgenommen werden. Hier entsteht große emotionale Tiefe.

Die Bühne von Johannes Leiacker ist ein Traum von halbblinden Spiegeln, einem Rosengemälde und Vanitas-Motiven, zitiert aus barocken Stillleben. Er hat zwei rechtwinklig zueinander stehende Rahmen mit je vier raumhohen drehbaren dreiseitigen Säulen, die die ganze Wand abdecken und Durchgänge freigeben können, aufgestellt. Im ersten Akt dominiert ein riesiges Rosenbild über dem Bett und eine Spiegelwand. Dazu im zweiten Akt ein bürgerliches Bücherregal mit Sesselgruppe, im dritten Akt eine Bar und ein paar Wirtshaustische.

Die Wiener Atmosphäre entsteht in erster Linie durch die Wiener Walzer und durch Franz Hawlata, der mit authentischem Wiener Tonfall den Schwerenöter Ochs auf Lerchenau gibt. Er hat die Partie nach eigenen Angaben ungefähr 650 mal gesungen. Unter anderem hat er damit an der Metropolitan Opera New York debütiert. Dieser Baron Ochs ist von keinerlei Selbstkritik angefochten und stellt sich in Knickerbockern als notorischer Schürzenjäger dar, der die blutjunge Sophie nur aus finanziellen Gründen heiraten will und ungeniert allen jungen Damen an die Wäsche geht.

Die junge schwedische Mezzosopranistin Emma Sventelius mit ihrem blonden Herrenschnitt und der androgynen Erscheinung ist in jeder Beziehung eine Idealbesetzung des Octavian. Als junger Liebhaber der Marschallin verkleidet sie sich als Zofe Mariandl, um sie nicht zu kompromittieren. Als Ochs ihr im Beisein der Marschallin nachstellt weist sie als Zofe den alten Schäker in seine Schranken, indem sie seinen Klaps auf den Po erwidert.

Als Octavian, Graf von Rofrano, ist sie ein würdiger Gegenspieler des Ochs. Die Szene, in der Octavian Ochs Paroli bietet: „Die Fräulein mag Ihn net“ ist ganz großes Theater. Hier wird ein junger Mann erwachsen und setzt sich gegen einen viel älteren durch. Es ist Magie, wie sie es schafft, diese lange Partie, in der sie fast ununterbrochen auf der Bühne steht und nicht nur in einer fremden Sprache, sondern auch in einem fremden Dialekt singt, so souverän zu bewältigen. Als Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau spielt wirkt sie absolut überzeugend in ihrer Körpersprache, ganz angesehen davon, dass sie in den Ensembles perfekt mit ihren Partnern und Partnerinnen harmoniert.

Die Kostüme von Dagmar Morell, Kostümbildnerin am Münchener Gärterplatztheater, drücken den sozialen Status der Personen sehr genau aus. Für Octavian hat sie zum Beispiel zwei zeitlose Herrenanzüge, einen silbernen Gehrock mit Kniehosen, ein Dienstmädchenkleid und ein Ausgehkleid für eine junge Frau im Stil des Art Deco geschaffen.

Martina Welschenbach als Feldmarschallin Fürstin Werdenberg ist genau das, was dem Komponisten und dem Librettisten vermutlich vorschwebte: eine schlanke junge blonde Frau, die in der Ehe mit dem Feldmarschall eingekerkert und als Fürstin vielerlei Verpflichtungen unterworfen ist. Die Affäre mit dem 17-jährigen Octavian ist weder die erste noch wird sie die letzte sein.

Schon in der Ouvertüre brennt die Luft: ein Liebesakt ist selten so suggestiv komponiert worden wie hier, und das Beethoven-Orchester unter Dirk Kaftan läuft zu Höchstform auf. Wenn sich der Vorhang öffnet sieht man dem attraktiven Paar beim Aufwachen zu – eine Augenweide! Die Marschallin hat die komplexeste Rolle, denn sie empört sich über das Verhalten ihres Vetters Lerchenau: „Da geht er hin, der alte eitle Kerl und kriegt das hübsche junge Ding und einen Pinkel Geld dazu“, und erkennt, dass sich bei Sophie ihr eigenes Schicksal wiederholen wird. Ihr wird plötzlich klar, dass sie altert und dass sie die Zeit nicht aufhalten kann. Sie ist jederzeit Herrin der Lage, denn sie jagt den düpierten Ochs schließlich vom Feld, und sie reift als Persönlichkeit, indem sie ihren jungen Liebhaber, den sie „recht lieb“ hat, der 15-jährigen hübschen Sophie überlässt. Die Endzeitstimmung ist in ihrem Monolog „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding …“ und dem Schlussterzett trefflich eingefangen.

Der einzige, der in der Inszenierung schlagartig altert, ist Ochs. Als er im Wirtshaus bei seinem Rendezvous mit Mariandl seine schöne brünette Perücke mit der Stirnlocke verliert, die ihn wie Mitte 30 aussehen lässt, ist er plötzlich kahlköpfig und wirkt wie 65. Gedemütigt lässt er sich schließlich von der Marschallin abservieren. Selten hat die Demontage eines Weiberhelden so viel Freude gemacht. Hier zeigt sich die Aktualität des Stücks.

Louise Kemény verkörpert die blutjunge Sophie, Tochter des Herrn von Faninal, die Empfängerin der silbernen Rose, die sich auf der Stelle in den Brautwerber Octavian verliebt. Gegen den viel älteren übergriffigen Ochs wehrt sie sich in kindlichem Trotz. Sie ekelt sich vor den Unverschämtheiten ihres Bräutigams, der sie taxiert wie ein junges Pferd, und das drückt sie in ihrer Körpersprache aus. Die Stimmen von Louise Kemény (silberheller Sopran), Martina Welschenbach (lyrischer Sopran) und Emma Sventelius (Mezzosopran) harmonieren perfekt. Die Monologe und Ensembles der drei Frauenstimmen sind überirdisch schön und werden subtil vom Beethoven-Orchester begleitet.

Die Partie des italienischen Sängers ist mit George Oniani opulent besetzt. Die gefürchtete Tenorpartie dauert zwar nur drei Minuten, ist aber sehr anspruchsvoll, weil der Sänger aus dem Stand extreme Höhen und schwere Koloraturen bewältigen muss. Er wird richtig ungehalten, als Ochs während seines Gesangs mit dem Notar die peinlichen Details seines Ehevertrags diskutiert. Ensemblemitglied Giorgos Kanaris verkörpert den kürzlich geadelten reichen Kaufmann Faninal, der um jeden Preis seine Tochter mit einem Baron verheiraten will, mit noblem Bariton. Er ist mit der Situation offensichtlich überfordert und stellt sich sogar gegen seine Tochter, der er zumuten will, den viel älteren und übergriffigen Ochs zu ehelichen. Sichtlich erleichtert, dass Octavian Ochs entlarvt hat, lässt er sich davon überzeugen, dass dieser die bessere Wahl ist.

Anjara Bartz lockt als Annina den arglosen Ochs in das abendliche Rendezvous, bei dem er vorgeführt wird: eine köstliche Charakterstudie! Yannick-Muriel Noah als Jungfer Leitmetznerin schildert die Ankunft des „Rosenkavaliers“ mit strahlendem Sopran, Johannes Mertes gibt mit wunderbarem italienischem Akzent den Valzacci, und Martin Tzonev als Komissar verkörpert die Staatsmacht. Der Chor unter der Leitung von Marco Medved und der Kinderchor unter der Leitung von Ekaterina Klewitz agieren wie immer auf hohem Niveau.

Weitere Rollen sind typgerecht aus dem Ensemble und aus dem hervorragenden Opernchor besetzt. Aus dem Chor kommt zum Beispiel Egbert Herold, der den Notar singt und der aussieht wie Richard Strauss.

Dirk Kaftan lässt das Beethoven-Orchester in Walzer-Seligkeit strahlen und ziseliert die filigrane Begleitung der Monologe der Marschallin und der Ensembles der drei Frauenstimmen sorgfältig. Einige Besucher meinten, das Orchester sei zu laut, aber das passiert eigentlich nur bei den suggestiv choreografierten komplexen Chorszenen, und da muss es laut sein.

Die so gut wie ausverkaufte Premiere wurde enthusiastisch gefeiert.

Ursula Hartlapp-Lindemeyer 8.10.2019

Besonderer Dank an unsre Freunde vom OPERNMAGAGZIN

(c) Thilo Beu