Bremen: „Die Entführung aus dem Serail“

Premiere am 1.12.2018

Doppelt hält besser stimmt nicht immer

Zugegeben – eine Inszenierung von Mozarts Singspiel Die Entführung aus dem Serail birgt die Gefahr, das Werk auf die Klischees der Türkenoper, auf einen Konflikt verschiedener Kulturen und die Angst vor dem Fremden zu reduzieren. Das wollte Regisseur Alexander Riemenschneider offensichtlich vermeiden und bettet das Werk in eine Rahmenhandlung ein. Während der Ouvertüre führt die erste Szene bei ihm auf eine ausgelassene Party im Haus von Konstanze und Belmonte Lostados, auf der sich deren Freunde Blonde, Pedrillo, Osmin und Bassa Selim versammelt haben.

Wie in einem großen Setzkasten sieht man sie trinken, tanzen und scherzen (Bühne von Jan Štèpánek). Allmählich beginnen sie, sich mit ihren verschütteten oder unbewussten Gefühlen auseinanderzusetzen, ebenso mit ihren erotischen Phantasien. Mozarts „Entführung“ dient dabei nur als Katalysator. Riemenschneider hat den beiden Paaren dazu mit Stephanie Schadeweg, Ferdinand Lehmann, Anna-Lena Doll und Parbet Chugh Alter Egos aus dem Schauspielensemble an die Seite gestellt. Es sind keine simplen Doubles – sie haben durchaus unterschiedliche Kostüme (von Emir Medić), die aber nur geringfügig und so geschickt variieren, dass sie bestens korrespondieren. Dass die Sänger und Schauspieler ihre Kostüme wiederholt tauschen, trägt aber eher zur Verwirrung bei. Diese Verdoppelung gibt zwar Gelegenheit für immer neue Konstellationen und für die Verdeutlichung widersprüchlicher Gefühle, ist aber auf Dauer ermüdend. „Doppelt hält besser“ stimmt eben nicht immer.

„Das Fremde ist das versäumte Eigene“, lautet ein Satz von Adolf Muschg, den Riemenschneider wohl als Grundsatz seiner Inszenierung genommen hat. Das ist eigentlich kein schlechter Ansatz, aber der angestrebte Tiefgang bleibt leider doch auf der Strecke. Dazu gibt es zu viele Albernheiten wie das ständige Gezappel, wenn die Musik auch nur ein wenig rhythmisch wird. Die angedeuteten Sadomaso-Szenen gehören ebenso dazu wie die Spießbürger-Idylle mit einem bügelnden Pedrillo oder die Engelsflügel, die alle zwischenzeitlich anlegen. Ein Fremdkörper von ätzender Länge ist Albertines Traumerzählung aus der „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler. Auch das dort vorkommende Kind (Jenna Blume) wird bei Riemenschneider bemüht, allerdings nur, damit Pedrillo ihm sein Ständchen „In Mohrenland gefangen war“ als Gute-Nacht-Lied singen kann. Am Ende befinden sich alle wieder in dem Setzkasten – Gefühlslage unklar.

Hartmut Keil am Pult der Bremer Philharmoniker sichert Mozarts „Entführung“ den Stellenwert, der bei der Inszenierung etwas verloren geht. Seine Wiedergabe hat Kraft und Elastizität, das Orchester folgt ihm mit bester Spielkultur. Auch die Solisten erfüllen ihre Aufgaben durchweg gut, allen voran Hyojong Kim als Belmonte, der seinen schönen Tenor empfindsam durch die Partie führt und mit exemplarischer Textdeutlichkeit glänzt. Auch wenn der geschmeidige Sopran von Nerita Pokvytytè anfangs noch etwas spitz klingt, findet sie in „Traurigkeit“ und vor allem der Marternarie zu großer Form. Martina Nawrath gestaltet die Blonde in bester Soubretten-Manier. Bei ihrer Arie „Welche Wonne, welche Lust“ hängt sie an der Flasche: Es ist purer Galgenhumor, weil sie das Serail eigentlich nicht verlassen will, auch wenn sie mit Joel Scott als Pedrillo einen attraktiven Partner hat.

Christoph Heinrich macht als Osmin eine gute Figur, auch wenn man sich bei ihm in der tiefen Lage mehr Substanz wünschen würde. Der Bassa Selim ist mit Alexander Swoboda für die „Entführung“ nicht typgerecht besetzt, als Teilnehmer beim Seelen-Striptease aber durchaus. Den Chor hat man eingespart. Die kleinen Aufgaben, die er gehabt hätte, werden vom Ensemble übernommen.

Wolfgang Denker, 02.12.2018

Fotos von Jörg Landsberg