Dortmund: „Rent“, Jonathan Larson

Beim überwältigenden Schlussapplaus hatte man am vergangenen Samstag das Gefühl, dass sich „Musical-Deutschland“ einmal mehr im Dortmunder Opernhaus versammelt hatte. Anlass hierfür war die Premiere des Musicals Rent von Jonathan Larson. Ein Werk, welches hierzulande nur selten gespielt wird. Und das, obwohl das Musical von seiner Premiere am 25. Januar 1996 bis ins Jahr 2008 mit 5.123 Vorstellungen überaus erfolgreich am Broadway lief. Ausgezeichnet u. a. mit einem Tony Award als „Bestes Musical“ und einem Pulitzer-Preis als „Bestes Drama“, konnte es seinerzeit neben dem Publikum auch die Kritiker vollkommen überzeugen. Von diesem Erfolg bekam Jonathan Larson als Autor, Komponist und Texter leider nichts mehr mit, starb er doch genau am Tag der Premiere an einem Aortenaneurysma. Als Grundlage für sein Musical diente ihm Puccinis Oper La Bohème, die in Dortmund ebenfalls zu sehen ist und mit Rent ein „Doppelpack“ bildet, welches man so auch nicht alle Tage erleben darf. Bei beiden Stücken führt Gil Mehmert Regie, der in Dortmund in den letzten Jahren bereits große Erfolge feiern konnte.

© Markus Lamers

In Rent geht es um eine Gruppe junger Bohemiens im New Yorker East Village, die große Probleme haben ihre Miete (englisch: „rent“) bezahlen zu können. Mark Cohen ist ein junger Filmemacher, der sich das heruntergekommene Apartment mit dem Musiker Roger Davis teilt. Immerhin liegt das Appartment hoch über den Dächern von New York, was zu einer schönen Aussicht führt. Ihr Vermieter und einstiger Mitbewohner Benjamin, der sich inzwischen in wohlhabendere Kreise eingeheiratet hat, möchte das Haus daher auch gerne zu einer Luxusimmobilie umwandeln, was viele Bewohner der Gegend nicht verstehen. Anführerin einer entsprechenden Protestbewegung ist Marks Ex-Freundin Maureen Johnson. Die Künstlerin lebt inzwischen mit ihre neuen Partnerin Joanne Jefferson zusammen, einer Anwältin die den Protest der Bürger ebenfalls unterstützt. Nachdem der arbeitslose Universitätslehrer Tom Collins von drei Gangstern zusammengeschlagen und ausgeraubt wurde, findet ihn die Drag Queen Angel Dumott Schunard. Mit ihrer liebenswürdigen Art versorgt sie das Opfer und beide merken schnell, dass sie sich zueinander hingezogen fühlen. Zudem sind beide HIV-postiv und gehen fortan gemeinsam zu den Treffen der Selbsthilfegruppe. Und dann ist da noch die drogenabhängige Clubtänzerin Mimi Marquez, die sich in Roger verliebt und in ihm alte Wunden aufzureißen scheint.

© Thomas M. Jauk

Wie man aus dieser kurzen Zusammenfassung schon recht gut erkennen kann, legte Larson einen großen Fokus auf die sozialen Missstände zur Entstehungszeit des Stückes. Ökonomische Ungleichheit, zunehmende Armut, Obdachlosigkeit, Drogenkonsum und die erste große AIDS-Welle sind genauso Thema wie die damals noch sehr weit verbreitete Homophobie. Inspiriert durch tatsächliche Begebenheiten bei Freunden und Personen aus seinem näheren Umfeld, paarte er diese Geschichten mit eindriglicher Rockmusik und gefühlvollen Balladen zu diesem ganz besonderen Musical. Mehmert konzentriert sich bei seiner Inszenierung stark auf die einzelnen Personen und sorgt für einen passenden Rahmen der Geschichte. So ist es sehr eindrucksvoll, wie Roger in der Wohnung alleine mit der Welt und seiner AIDS-Erkrankung hadert, während aus der Unterbühne die Selbsthilfegruppe hochgefahren wird. Allgemein wird diese Hebebühne immer wieder für geschickte Wechsel der Räumlichkeiten genutzt. Dazu sorgt das Bühnenbild von Jens Kilian für eine vorweihnachtliche Stimmung, denn die Handlung spielt zu Beginn wie bei Puccinis Vorlage zur Weihnachtszeit. Entsprechend sorgen Lichterketten und – wenn auch mit Müll – liebevoll dekorierte Weihnachtsbäume für die passende Optik. Gelungen ist auch die Umsetzung der immer wieder stattfindenden Anrufe von Eltern oder Agenten, die meist auf dem Anrufbeantworter von Mark und Roger landen. Die jeweiligen Anrufer lässt Mehmert hierbei mit einem Sitz von links nach rechts über die Bühne schweben. Die Band besteht lediglich aus fünf Mitgliedern, was für dieses Musical allerdings ausreichend ist. Unter der musikalischen Leitung von Jürgen Grimm wechselt sie geschickt zwischen kraftvollem Rocksound und einer eher leisen Begleitung hin und her. Aufgeführt wird in Dortmund im übrigen die nahezu durchgängige deutsche Übersetzung von Wolfgang Adenberg, die sehr gelungen ist und neben den Sprechtexten auch die Songs in deutscher Sprache erklingen lässt. Einzige Ausnahme hierbei ist das recht bekannte „Seasons of Love“ im zweiten Akt, was zu weiten Teilen im englischen Original verbleibt.

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Sehenswert wird die Produkion vor allem durch eine hervorragende Besetzung, bis hinein in die kleinste Nebenrolle. Hierzu setzt das Theater Dortmund auf erfahrene Musicaldarsteller, wie beispeilsweise David Jakobs als Roger, der in Dortmund in der Vergangenheit regelmäßig zu Gast war, u. a. in der Hauptrolle bei Jeckyll & Hyde in der Spielzeit 2019/20. Ihm nimmt man den inneren Kampf Rogers gegen die eigene Vergangenheit jederzeit ab. Seine ehemalige Drogensucht, seine HIV-Erkrankung und der Selbstmord seiner früheren Freundin haben ihn stark gezeichnet. Sehr stark auch das Duett „Feuer für die Kerze“ mit Patricia Meeden (als Mimi Marquez), bei dem Mimi erstmals versucht ihm etwas näher zu kommen. Sein Debüt an der Oper Dortmund gibt Christof Messner als Mark Cohen, der den Zuschauer durch die Geschichte führt. Gelungen ist sein Zusammenspiel mit Bettina Mönch als seine sehr exzentrische Ex-Freundin Maureen Johnson und Amani Robinson als Joanne Jefferson. Stark auch sein zweifelnder Monolog über seine künstlerischen Errungenschaften später im Stück. Die beiden Damen können dagegen nicht so wirklich miteinander aber auch nicht ohne einander leben, was schließlich in dem starken Song „Lass mich oder verlass mich“ gipfelt. Petro Reichert hat die etwas undankbare Rolle des Benjamin, der einerseites das Haus sanieren will, anderseits aber seinen alten Freunden auch immer wieder helfen will. Außerdem hat er es ebenfalls auf Mimi abgesehen, obwohl er an sich ja – wenn vielleicht auch nicht wirklich glücklich – verheiratet ist. Diese Gradwanderung zwischen sympatischer und unsympatischer Rolle ist nicht so einfach umzusetzen, was ihm aber recht gut gelingt, um so das Beste aus dieser etwas ambivalenten Rolle rauszuholen. Und dann sind da noch Alex Snova als Tom Collins und Lukas Mayer als Angel, die für die emotionalsten Momente des Abends sorgen. Ihre Zuneigung zueinander ist mit jeder Geste spürbar. Darüber hinaus ist Angel auch der gute Engel des Bezirkes, so dass ihre Beerdigung dem ein oder anderen Zuschauer durchaus eine Träne ins Auge treibt. Lukas Mayer verkörpert diese Rolle mit vollem Einsatz. Mal etwas exzentrischer, dann wieder nachdenklich und leise, stets aber absolut liebenswert singt und tanzt er sich in die Herzen des Dortmunder Publikums. Neben all diesen erfahrenen Darstellern ist das Ensemble vor allem mit Studenten der Essener Folkwang Universität der Künste besetzt, die auch die vielen kleineren Rollen stark ausfüllen. Eine beeidruckende Cast in einen beeindruckenden Musical.

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Während Stage-Entertainment in den letzten Jahren leider verstärkt durch Qualitätseinsparungen bei stark ansteigenden Eintrittspreisen auffällt, bekommt man in Dortmund nun seit Jahren regelmäßig eine qualitativ hochwertige Musicalproduktion zu sehen. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass ein nahezu ausverkauftes Opernhaus diese Premiere begleitete. Mit über 1.100 Sitzplätzen gehört das Haus zudem zu den größeren Theatersälen im Lande, welcher nun in den noch anstehenden 24 Aufführungen zu füllen ist. Bei Ticketpreisen zwischen 18 und 57 Euro kann hier nur eine absolute Besuchsempfehlung an alle interessierten Leser ausgesprochen werden. Vielleicht sogar in Kombination mit La Bohéme, für die am 15. Oktober und 10. Dezember Kombi-Tickets für eine Doppelvorstellung am selben Tag zu erwerben sind.

Markus Lamers, 3. Oktober 2023


Rent
Musical von Jonathan Larson

Oper Dortmund

Premiere: 30. September 2023

Inszenierung: Gil Mehmert
Musikalische Leitung: Jürgen Grimm

Weitere Aufführungen: 24 Termine zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 1. April 2024