Hof: „Die Gespräche der Karmeliterinnen“

Premiere: 11.03.2017, besuchte Vorstellung: 17.03.2017

Lieber Opernfreund-Freund,

soll man Oper in der Originalsprache bringen? Oder ist zur unmittelbaren Textverständlichkeit eine deutsche Übersetzung angebracht? Es gibt oft ausgedehnte Konversation zwischen Komponist und Librettist über einzelne Worte im Text. Ist es da erlaubt, statt eines „t’aaaaamo“ einfach „ich liiiieb’ dich“ zu singen? Klingt das nicht völlig anders? Steht in Zeiten, in denen nicht nur Muttersprachler auf der Bühne stehen, der Gesang deutscher Sprache nicht eher der Verständlichkeit entgegen? Ist es – gerade bei ersten, aufwühlenden Themen – nicht schön, einmal nicht ständig zu den Übertiteln schielen zu müssen, sondern sich ganz auf das Geschehen auf der Bühne konzentrieren zu können? Ist Deutsch mit deutschen Übertiteln vielleicht ein gelungener Kompromiss? Diese Fragen stelle ich mir nach Besuch der Vorstellung der „Dialogues des Carmélites“, die derzeit erstmals am Theater Hof zu erleben sind, und die dort als „Gespräche der Karmeliterinnen“ auf Deutsch (ohne Übertitel) in der an sich gelungenen Übersetzung von Peter Funk und Wolfgang Binal gegeben werden.

Denn textverständlich war das über weiter Teile nicht, was da gestern an der Saale zu sehen war. Wer sich nicht vorher genau mit dem Inhalt des Werkes befasst, die informative und gelungene Einführung von Musiktheaterdramaturg Lothar Krause, der in diesem Fall auch für die Inszenierung verantwortlich zeichnet, besucht oder zumindest die Inhaltsangabe im Libretto genau studiert hatte, konnte den Inhalten und Konflikten, die in den einzelnen Szenen thematisiert werden, nicht im Detail folgen. Das ist bei einem Werk, das „Gespräche der Karmeliterinnen“ heißt, aus meiner Sicht besonders tragisch – zumal es der einzige Schatten an einem der gelungensten Opernabende war, die ich in letzter Zeit habe erleben dürfen.

Francis Poulenc, gläubiger Christ, komponierte dieses zeigenswerte Werk, das glücklicherweise in den vergangenen Jahren wieder auf der einen oder anderen Bühne zu sehen ist, in den 1950er Jahren, 1957 wurde es (auf Italienisch) an der Meiländer Scala uraufgeführt. Doch modern oder gar atonal klingt da nichts. Seine Tableaus erinnern im klanglichen Aufbau eher an Barock-, zeigen deutliche Anklänge an Kirchenmusik. Der historisch verbürgten, tragische Geschichte der Nonnen von Compiègne, die lieber den Märtyrertod sterben als der Glaubensgemeinschaft zu entsagen, hatte die deutsche Autorin Gertrud von le Forts die Figur der Blanche hinzu gefügt, die aus Angst vor dem Leben im Kloster Zuflucht sucht, dort aber erkennen muss, dass man Angst als Kind zwar erst lernen muss, später aber nicht mehr verlernen kann. Die Hoffnung darauf ist trügerisch und wird in der Hofer Inszenierung durch ein die Bühne dominierendes Weiß symbolisiert. Die Ordensschwestern sind weiß gewandet, der klar strukturierte, durch verschiedene Säulen immer wieder neu erscheinende Bühnenraum ist in gleißendes Licht getaucht, eine riesige weiße Madonnenstatue dominiert das Bühnenbild.

Und letztendlich bedeutet der Name der Hauptfigur ja auch nichts anderes als die „Weiße“. Einen Nonnenoper auszustatten ist für die Kostümabteilung nicht wirklich etwas, woran man sich austoben könnte. Doch Annette Mahlsdorf, die gleichermaßen für den gelungenen Bühnenaufbau verantwortlich ist, spielt ihre Trümpfe vordergründig im ersten Bild bei den wunderbaren, an die Zeit der französischen Revolution erinnernden Roben und Perücken oder im letzten Drittel aus, in dem sie die Schwestern, nachdem diese ihre Tracht ablegen mussten, in Kleidung steckt, die an die „Tracht“ der Trümmerfrauen nach dem zweiten Weltkrieg erinnern. Doch eigentlich ist es dieses strahlende Weiß, das sie zu nutzen versteht, und das im eindrucksvollen, betroffen machenden letzten Bild, in dem die Schwestern nach und nach zum Schafott gehen, endgültig seine Unschuld verliert. Lothar Krauses ausgeklügeltes Konzept, seine spannende Personenführung, die Konflikte und Spannungen verdeutlicht und die Ordensschwestern eben nicht als Einheit, sondern als Gemeinschaft von Individuen zeigt, sind weitere Stärken dieses auch musikalisch äußerst gelungenen Abends.

Susanne Serfling verfügt für das ängstliche Hascherl Blanche fast über einen zu kräftigen Sopran, zeigt aber immensen Ausdruck, große Leidenschaft und überzeugt als mitreißende Darstellerin. Ihre Co-Novizin Constance wird von Ines Lex mit feinster Höhe gestaltet, so dass sie mit ihrer überzeugenden Gestaltung der vor Lebensfreude sprühenden Nonne zur prima inter pares wird – zusammen mit Elisabeth Hornung, als Gast aus Darmstadt angereist, die die alte Priorin mit dermaßen großer Intensität zum Leben erweckt, dass man bei der Sterbeszene mit Gänsehaut im Sessel sitzt. Was für eine charaktervolle Darstellung! Stefanie Rhaue ist ebenfalls eine wunderbare Sängerdarstellerin, zeigt in der Höhe zwar mitunter eine unschöne Schärfe, überzeugt aber als Mutter Maria ebenso wie Inga-Britt Andersson, die die neue Priorin zuerst fast lyrisch und gegen Ende immer kämpferischer anlegt. Karsten Jesgarz zeigt als Beichtvater seinen kultivierten Tenor, während der junge Amerikaner Benjamin Popson sich mit schwerer Erkältung ansagen lassen musste. In seiner ersten Szene als Chevalier de la Force ist das auch noch deutlich hörbar, in der großen Abschiedsszene mit seiner Schwester hingegen überzeugt das Ensemblemitglied auf ganzer Linie mit farbenreichem Tenor und charaktervollem Spiel. Auch der Rest des Ensembles sowie die glänzend vorbereiteten Chordamen (Leitung: Hsin-Chien Fröhlich) wissen zu gefallen.

Das tut auch das Dirigat von Arn Goerke, der die wunderbare Partitur 60 Jahre nach deren Entstehen erstmals in Hof zu Gehör bringt. Er zieht alle Register, übertüncht die Sängerinnen auch in den Ausbrüchen nur selten und zeigt das Werk zusammen mit den toll aufspielenden Hofer Symphonikern mit all seinen Facetten. Die zahlreichen Intermezzi werden meist bei offenem Vorhang gegeben und so schafft der Chefdirigent einen durchgehenden Fluss der Musik und präsentiert das Werk gleichsam aus einem Guss. Warum er aber ausgerechnet den Choral der imposanten Schlussszene mit dermaßen flottem Marschtempo ausgestaltet, als hätte er noch einen Termin, weiß er wohl nur selbst.

Nach den letzten zarten Klängen des vielleicht eindrucksvollsten Opernfinales des 20. Jahrhunderts bricht großer Jubel aus. Das Publikum ist zu Recht begeistert. Und ich bin es ebenfalls, auch wenn die Antwort auf meine eingangs formulierten Fragen „in jedem Fall übertitelt“ lautet. Mein Tipp: Opernführer lesen und in jedem Fall hingehen!

Ihr Jochen Rüth 18.03.2017

Die Fotos stammen von H. Dietz Fotografie, Hof.