Besuchte Vorstellung: 25.12.2016
Kaum ist die weihnachtliche Kaffeetafel aufgehoben, so hält das Koblenzer Stadttheater ein Kontrastprogramm bereit. Zwar wird auch hier an Glanz und Flitter nicht gespart, aber es ist der des Budapester Nachtclubs "Grill americain". Gegeben wird Kálmáns Herzogin von Chicago. Uraufgeführt 1928 im Theater an der Wien, arbeitet sie sich seit einigen Jahren beharrlich ins Repertoire zurück.
Die Handlung: Mary Lloyd aus Chicago, Tochter eines Industrie-Tycoons, hält das alte Europa für ein Shoppingparadies mit Königsschlössern und Prinzen im Angebot. Tatsächlich ist die Residenz der abgewirtschafteten Balkanmonarchie Sylvarien käuflich. Der zugehörige Prinz Sandor Boris ist es nicht. Mehr noch, traditionalistisch verbohrt, tanzt Prinz Sandor nur Walzer und gibt der doch immerhin aparten Mary einen Korb, als diese ihn zum Charleston auffordert. Da aber Hollywood drängt, entspinnt sich dennoch eine Liebesgeschichte. Sandor tanzt wenn schon nicht Charleston, so doch immerhin Slowfox mit Mary. Happy end.
Was die Handlung vorantreibt und die Qualität des Stücks ausmacht, ist die Musik selbst, der Kontrast zwischen österreichisch-ungarischer Operettenseligkeit und unsentimental amerikanischen Rhythmen: Charleston und Foxtrott. Erstaunlich, dass Kálmán, obwohl erkennbar auf musikalische Waffengleichheit zielend, mit seiner Walzer- und Csárdáskompetenz nicht recht durchdringt. Die amerikanisierenden Nummern sind wesentlich inspirierter.
Die Herzogin von Chicago ist ein Zeitstück. Jede Verlagerung in eine andere historische Situation oder auf einen abweichenden Schauplatz, würde das dramaturgische Fliegengewicht der Operette zerquetschen. Klug beschwören daher Regie und Ausstattung Bubiköpfe, Pailettencharme, langbeinige Tiller Girls samt tänzerischer Verzückungen und Zuckungen der Zwanzigerjahre. Für zusätzliche Stimmung sorgt eine auf der Bühne placierte Jazzband.
Die Personen – von der Titelfigur bis in die kleinste der vielen Nebenrollen – zeichnet Regisseur Michiel Dijkema für eine Operettenproduktion ungewöhnlich detailliert und bis in Gestik und Mimik hinein nuancenreich. Das schließt Pointenkracher nicht aus: Das Auditorium lernt, wohin sich beim Charlestongehopse seinem Nebenmenschen überall treten lässt. Dijkema verantwortet auch das funktionale und doch atmosphärehaltige Bühnenbild. Marys bruchgelandeter Doppeldecker ist ein Hingucker. Der Zwanzigerjahre-Glamour, den Kostümbildnerin Alexandra Pilz entfaltet, ist es nicht minder.
Souverän koordiniert Leslie Suganandarajah am Pult die Jazzband auf der Bühne und die Rheinische Staatsphilharmonie im Graben. Mit Präzision und Verve meistert er die permanenten musikalischen Stilwechsel und sorgt für ein farbenreiches und immer durchhörbares Klangbild. Dank Suganandarajah kann es an diesem Abend die Rheinische Staatsphilharmonie mit dem in Sachen Zwanzigerjahre-Operette wesentlich erfahreneren Orchester der Berliner Komischen Oper locker aufnehmen.
Die Amerikanerin Emily Newton in der Titelrolle bedient intelligent, frech, charmant und mit permanentem Augenzwinkern das Klischee des US-Partygirls mit dem schlussendlichen Herzen auf dem richtigen Fleck und geläuterten Empfindungen. Blicke und Mimik Newtons würden eine eigene Fotostrecke lohnen. Die gleichermaßen flexible und tragfähige, immer elegant geführte Stimme glitzert in der Mittellage ebenso wie sie umstandslos raumgreifende Spitzentöne hervorbringt. Nur möchte man Newton wünschen, dass sie für die Gesangsnummern weiterhin an ihrer deutschen Diktion arbeitet. Dennoch ist Newton eine Idealbesetzung.
Mark Adler, dessen Erbprinzen Sandor Kálmán einen nur wenig zündenden Part zugedacht hat, singt und spielt sympathisch, warmherzig und geradlinig. Damit leistet Adler alles, was die Rolle hergibt.
Irina Marinas als Prinzessin Rosemarie und Peter Koppelmann als James Bondy sind ein quirliges, wendiges balkanisch-amerikanisches Buffopaar. Stimmlich geht Marinas – wie zu erwarten – weit über das für eine Soubrette Erwartbare hinaus.
Die Darsteller der vielen Nebenrollen liefern allesamt Kabinettstückchen.
Der Applaus ist stark und anhaltend. Nicht nur vereinzelt sind Bravorufe zu hören. Etliche der zahlreichen jungen Leute im Publikum verlassen das Theater mit Charlestonschritten. So kann Restweihnachten gelingen.
Das Theater Koblenz trägt mit dieser Produktion bedeutend zur Rückkehr der "Herzogin von Chicago" ins Kernrepertoire bei.
Michael Kaminski 27.12.2016
Bilder (c) Theater Koblenz