Koblenz: „Emilia Galotti“

Schwarz-weiß gemalt und dennoch neu

Moderne Oper hat es schwer. Nicht selten versinken neue Werke nach der Uraufführungsproduktion für immer in der Versenkung, obwohl sie von Fach- und Kritikerwelt durchaus positiv aufgenommen werden, weil sie beim Publikum – dem dann doch wahren Messpegel für Erfolg – schlichtweg durchfallen. Darüber hinaus bieten neue Kompositionen oft nichts wirklich Neues, klingen nach diesem oder gelten als Abklatsch von jenem. Umso mutiger ist die Entscheidung des Theaters Koblenz zu bewerten, in der heutigen Zeit knapper Kassen gerade im Kulturbereich, ein Auftragswerk zu produzieren.

Entschieden hat man sich für einen wahren Klassiker deutscher Literatur. Gotthold Ephraim Lessings „Emilia Galotti“ hat es in den vergangenen mehr als 240 Jahren unverständlicherweise nicht auf die Opernbühne geschafft, obwohl die Geschichte um Liebe mit tragischstem Ausgang, gepaart mit den Konflikten zwischen Adel und Bürgertum, zwischen Religion und Emanzipation durchaus ein Drama mit genug Potenzial darstellt, um sich auch dort trefflich zu entfalten.

Regisseur Elmar Goerden baut ganz auf die Macht dieser Geschichte. Statt auf aufwändige Requisiten setzen Silvio Merlo und Ulf Stengl auf eine weitestgehend leere Bühne und machen mit einer ausgezeichneten Lichtregie die offensichtlichen und unterschwelligen Konflikte deutlich. Die Handlung ist auf gut eineinhalb Stunden gestrafft (Libretto: Markus Dietze), was dem Verständnis der Geschichte über weite Strecken nicht schadet. Lediglich die wirkliche Ursache für Emilias Verzweiflung, der Grund für ihren Plan zur Selbsttötung wird nicht ausreichend beleuchtet und so erschließt sich ihr inneres Drama nur, wenn man die literarische Vorlage kennt. Die Kostüme von Lydia Kirchleitner erinnern an aktuelle italienische Designermode und machen durch ihre Modernität zusammen mit der Musik im krassen Gegensatz zum Text auf Deutsch des 18. Jahrhunderts klar, dass das Dilemma um nicht standesgemäße Liebe, absolutistischen Herrscherwillen und religiöse Zwänge zumindest in der westlichen Welt des 21. Jahrhunderts nicht mehr wirklich tagesaktuell und omnipräsent ist.

Der junge niederländische Komponist Marijn Simons löst das eingangs geschilderte Problem um neue Klänge geschickt. Das Orchester ist klassisch besetzt, einzig um Akkordeon und umfangreiches Schlagwerk ergänzt. Die Instrumente werden traditionell gespielt, die Saiten gestrichen oder gezupft und so tönt nichts Befremdliches aus dem Orchestergraben. Eine weise Entscheidung, setzen doch das Akkordeon und die Percussionsinstrumente genügend Akzente, um allzu eingefahrene Klangpfade zu verlassen und das Werk neu klingen zu lassen, ohne zu verstören. Der Kompositionsstil ist auf weiter Strecke dissonant, gerade in intimen Momenten der Handlung findet Simons jedoch in tonalen Passagen zu einer wunderbar berührenden Lyrik. Simons versucht sich an einer leitmotivischen Kompositionsweise, Vergleiche mit Richard Wagner scheinen gewollt, drängen sich aber nicht wirklich auf. Einzelne Stellen erinnern an den früheren Richard Strauss oder an Francis Poulenc, wobei der Niederländer doch einen eigenen Stil findet und diesen auch zu pflegen versteht.

Das Auftragswerk scheint sich weitgehend an den stimmlichen Möglichkeiten und individuellen Klangfarben der Sänger zu orientieren und so erscheinen fast alle Künstler als Idealbesetzung. Lediglich und ausgerechnet die Titelfigur klingt oft zu reif. Irina Marinaș singt ohne Tadel, jedoch passt ihre Stimme nur bedingt zum unschuldigen Ding, das sterben will, um der Versuchung zu entkommen. Da hinterlässt Hana Lee als abgelegte Geliebte des Grafen mit unglaublichem Stimmumfang und wahnsinnigen Koloraturen einen viel intensiveren Eindruck. Bart Driessen mit farbenreichem Bass spielt und singt den Vater als Figur zwischen Autorität, Mitleid und Verzweiflung ebenso überzeugend wie Monica Mascus die Hosenrolle des Prinzen in allen Facetten mit ihrem wandelbaren Mezzo beleuchtet. Christoph Plessers weiß als linkischer Intrigant Marinelli genauso zu überzeugen wie der junge Juraj Hollý mit kraftvollem Tenor in der relativ kleinen Rolle des Grafen Appiani. Anne Catherine Wagner als Mutter Claudia und

Kai Uwe Schöler als Conti ergänzen das Ensemble vortrefflich. Hervorzuheben ist die außergewöhnlich gute Textverständlichkeit aller Sänger selbst in eher schrillen Passagen. Die Übertitelung hilft da und dort, wenn es mehrstimmig wird, ist in weiten Teilen aber glücklicherweise überflüssig.

Musikdirektor Enrico Delamboye führt das Staatsorchester Rheinische Philharmonie klar und sicher durch die schwierige Partitur. Ausbrüche und spannungsreiche Passagen gelingen ebenso wie lyrisch Anrührendes. Bravo!

Das Theater Koblenz präsentiert mit diesem Werk einen spannungsreichen, durchaus interessanten Musiktheaterabend abseits des Üblichen für diejenigen, die neugierig sind. „Emilia Galotti“ ist ein Werk, das durchaus fordert, ohne jedoch den interessierten und offenen Freizeittheaterbesucher zu überfordern. Dem Werk bleibt zu wünschen, dass andere Theater dieses Potenzial erkennen und die Oper da oder dort erneut aufgeführt wird.

Jochen Rüth 15.11.14
Bilder: Theater Koblenz

Allen Besuchern sei die Werkeinführung von Karsten Huschke 30 Minuten vor Beginn der Vorstellung wärmstens ans Herz gelegt. Der Kapellmeister flüchtet sich nicht in das Verlesen von biografischen Daten von Lessing und Marijn Simons und einer Inhaltsangabe des Werks, sondern versteht es, dem Publikum die Schwellenangst zu nehmen, es neugierig zu machen, und ermutigt es auf wunderbar unterhaltsame Weise, sich auf diesen Opernabend einzulassen.