Krefeld: „Lohengrin“

Premiere 16.4.2017

Ein Wagnerwunder hat sich am Niederrhein ereignet

Liebe Niederrheinische Opernfreunde!

Obwohl es heuer kein Problem mehr ist, Tickets für Bayreuth zu bekommen (immerhin gehen mittlerweile fast 80 Prozent in den offenen Verkauf und nicht wie früher nur 10 Prozent) und Sie an der Abendkasse gute Chancen haben noch Karten zu ergattern, falls Sie zufällig in der Nähe urlauben, merken Sie aber bitte auf, was der Rezensent sagt:

"Sinnlose Plage, Müh ohne Zweck…" (Wagners "Siegfried", 1.Akt)

Tun Sie sich die weite Reise nicht an, liegt doch das Gute meist sehr nah. Damit meine ich Ihr wunderbares Theater in Krefeld. Denn was der rührige Intendant Michael Grosse in Zusammenarbeit mit seinem Operndirektor Andreas Wendholz den niederrheinischen Wagner-Fans heuer anbietet, ist durchaus als "sensationell" zu bezeichnen.

Unglaubliche Qualität in Musik und Gesang!

Erst einmal traut man seinen Ohren kaum. Holla, was ist denn das für ein hehrer Wagnerklang, der da aus einem Orchestergraben in der "Provinz" strömt? Goldenes Blech, als wären wir in Bayreuth oder Salzburg. Später dann im Vorspiel zum dritten Akt mit einer Wucht und Vehemenz, welcher das Dach des altehrwürdigen Theaterbaus geradezu erschüttert. Kleines historisches Apercu: In Krefeld wurde am Theaterplatz 1952 als Provisorium die sogenannte Kulturscheune schon mit „Lohengrin“ eröffnet.

Wagnerwellen wogen vortrefflich wabernd über die Niederrheinische Landschaft…

GMD Mihkel Kütson hält die trefflich aufspielenden Musici der Niederrheinischen Sinfoniker ganz ausgezeichnet zusammen und integriert bayreutherprobte Gäste ins Orchesterensemble. So entsteht ein herrlicher, so selten gehörter wunderbarer Wagnerklang. Die originalen Königstrompeten z.B. wurden per Jet extra aus Bayreuth eingeflogen. Es hat sich gelohnt!

Stichwort "Gäste": Für die Monsterrolle des Lohengrin hat man den großen aufstrebenden Wagner-Tenor – er singt erst seit 2013 das große Wagnerfach – Peter Wedd engagiert. Eine weitere lohnende Investition, denn Wedd ist noch unverbraucht und auch mit der nötigen lyrischen Emphase für diese Rolle ausgestattet. Wenn ich allerdings seine internationale Programmplanung lese, dann wird mir angst und bange.

Wieso fallen mir hier sofort die Namen Villazon und Kaufmann ein…?

Doch zurück zum großen Ensemble-Geist, der hier in dieser Aufführung aufs Grandioseste beschworen wird. Alle sonstigen Partien werden nämlich unglaublicher Weise aus den eigenen Reihen besetzt. Und was die Sänger gestern bei der Premiere leisteten, war der blanke Wagner-Wahnsinn.

Wer hätte gedacht, dass Izabela Matula (Elsa), der bezirzende und bewährte Sangesstar im Niederrheinischen Ensemble seit 2013 („Suor Angelica“, Gräfin „Le nozze di Figaro“, Marija in „Mazeppa“, Lina in „Stiffelio“ Verdi, Donna Elvira in „Don Giovanni“, Antonia in „Hoffmanns Erzählungen“, Ellen Orford in „Peter Grimes“, Lola in „Cavalleria rusticana“ & "Katja Kabanowa") auch noch solches internationales Wagner Format hat. Bitte legt sie in goldene Ketten und samtene Handschellen, verehrte Theaterleitung, sonst wird sie bald weggekauft und im internationalen Startheater verramscht und verschlissen. Diese grandiose und vielfältige Sängerin ist ein Juwel!!

Grandios auch Eva Maria Günschmann, sie schaffte die Höllenpartie der Ortrud mit respektablem Einsatz und großer darstellerischer Überzeugungskraft; am gestrigen Premierenabend ging sie an ihre Grenzen und gelegentlich darüber hinaus. Diese Produktion, die ich zugegebener Maßen nicht ganz verstehe, schweißt ein fabulöses Team anscheinend hoch motiviert zusammen.

Johannes Schwärsky (Friedrich von Telramund) hat nicht nur den Rezensenten, sondern auch das vielfach wagner-erfahrene Premierenpublikum förmlich aus den sprichwörtlichen Socken gerissen. Ebenso vom Stuhl gehauen wurden wir durch die exzellente Sanges-Leistung von Matthias Wippich (als junger König Heinrich). Beide würde ich sofort nach Bayreuth verpflichten ;-).

Daß auch die sogenannten Comprimarii glänzend präsent waren (selten hörte ich einen so gut artikulierenden Heerrufer, Raffael Bruck), ist ein Glücksfall für diesen Sterneabend.

Chor und Extrachor sangen auf absolutem Bayreuth-Niveau; Chorleiterin Maria Benyumova hat hier in Vorbereitung und Koordination ganz Großes geleistet.

"Welch harte Not tust du uns an…" (Lohengrin, 3.Akt)

Mit diesem Zitat nun zur Regie von Robert Lehmeier, zu welcher ich, auch nach einmaligem drüber schlafen, nicht viel sagen kann, denn sie verwirrt mich immer noch mehr, als dass sie Anmerkenswertes enthüllt, obwohl der Regisseur viel Intelligentes im Programmheft zu "Lohengrin" schreibt.

Leider findet sich das auf der Bühne (Tom Musch) doch nur recht bieder wieder. Die Angabe "Orientierung am Sitzungssaal der UN" ist schon hoch und weit hergeholt; sieht es doch eher, vor allem mit dem biederen Vorhang im Hintergrund – zumindest im ersten Akt – aus wie die Kulisse in einem Billigfilm von Ed Wood. Das Stuhlseminar im gleichen Einheitsbühnenbild (2. Akt) wirkt nicht nur trostlos langweilig, sondern auch ausgesprochen abtörnend zu der schönen romantischen Musik. Und zum dritten Akt fällt mir nur wieder Richard Wagner selber ein:

"Selige Öde, auf (wenig) wonniger Höh…" (Siegfried)

Militaria martialica all überall; sogar die Damen in den weißen Brautkleidern tragen zum "treulich geführt" Kalaschnikows. Ja, sie sind doch ein ganz schön militantes Völkchen diese Brabanter, in ihren schicken taillierten Kamuflasch-Uniformen (Ingeborgh Bernerth), rüde Soldateska, die nur auf einen Anführer gewartet hat.

Doch dieser Wundermann ist eher eine Art Batman, "a silent guardian, a watchful protector" (The dark Knight). Eher sogar ein Flower-Power Man mit seinem schönen Hippie-Blumenkranz ums Haupt, und es scheint dem hehren Helden gerade recht, daß Elsa doch die verbotene Frage gestellt hat, damit er sich nun ohne Gesichtsverlust verkrümeln kann. Er möchte nicht "Führer" sein. Recht so! Das hat zumindest innere Logik.

Wenn dann der junge Gottfried am Ende noch als Kindersoldat in eben solcher Kinder-Uniform (!) mit Mini-Kalaschnikow wild um sich zielend über die Parlaments-Tische springt, geriert das Ganze zum Kindergeburtstag. Da hilft es auch wenig, wenn die böse Tante Ortrud sich nun als neue finster dreinblickende Kriegsministerin ans Präsidentenpult setzt – oh weh. Vorhang!

Peter Bilsing 16.4.2017

Bilder von Matthias Stutte