Magdeburg: „Die Liebe zu den drei Orangen“, Sergei Prokofjew

© Andreas Lander 

Erstmals wird in Magdeburg die surreale Märchenoper „Die Liebe zu den drei Orangen“ von Sergei Prokofjew aufgeführt. Die Inszenierung von Anna Bernreitner entstand als Koproduktion mit der Opéra national de Lorraine in Nancy und dem Theater St. Gallen. In der turbulenten Oper geht es auch um Probleme des Theaters, was gleich zu Beginn deutlich wurde, als im Prolog vier verschiedene Gruppen die Bühne stürmten und über das „richtige“ Theater stritten. Je nach Vorliebe wollten sie Tragisches, Fröhliches, Lyrisches oder ausgelassene Späße erleben. Dazu kommentierten sie in weiße Overalls gekleidet von Emporen oberhalb der Spielfläche aus die Handlung und griffen ab und zu sogar in den Ablauf ein. Es ist in der Oper nun auch wirklich alles dabei: Liebe, Hass, Spaß und tragische Verwicklungen wechseln sich in den temporeichen Szenen ab. Prokofjew verwendete als Vorlage für seine Oper auf der Grundlage der Commedia dell’Arte ein Märchen von Carlo Gozzi, einem Gegenspieler des bekannteren Goldoni. Es geht um einen unter Depressionen leidenden Prinzen, der vom Spaßmacher Truffaldino unbedingt zum Lachen gebracht werden soll, damit er die Nachfolge seines Vaters, des Kreuzkönigs, antreten kann. Durch den Fluch der Hexe Fata Morgana führt schließlich kein Weg mehr an drei verzauberten Orangen vorbei, unter denen der Prinz seine geliebte Prinzessin findet. In Magdeburg hatte man die französische Fassung des Originals ins Deutsche übersetzen lassen; warum verschwiegen wurde, wer den teilweise witzigen Text geschaffen hat, ist unverständlich.

© Andreas Lander 

Als es nach dem Prolog richtig losging, sah man auf ein helles Märchenschloss, das sich im zweiten Teil sogar drehte, um den Weg in den Palast der gefürchteten Zauberin Creonta frei zu machen. In diesem passenden Ambiente agierte das Opernensemble in höchst fantasievollen Kostümen (Ausstattung: Hannah Rosa Oellinger und Manfred Rainer) und mit durchweg überbordender Spielfreude. Leider war der Text nicht immer zu verstehen, sodass unvorbereitete Zuhörer sicher Schwierigkeiten haben dürften; leider halfen da auch die weit oben erscheinenden, blassen und deshalb schwer zu lesenden Obertitel nicht weiter. Aber sei’s drum, im Ganzen machte der Opernabend einfach Spaß: Das surreale Märchen begann mit dem über eine veritable Hängebrücke aus seinem Schloss tretenden Kreuzkönig (Paul Sketris mit gepflegtem Bass), der die Krankheit des Prinzen beklagte. Sein Berater Pantalone, den Marko Pantelić als tuntigen, selbstverliebten Typ gab, riet zu Aufmunterung durch Truffaldino. Dieser war bei Adrian Domarecki bestens aufgehoben; er begleitete den Prinzen und glänzte mit akrobatischem Spiel und flexibler Stimmführung. Er erreichte, dass der Prinz (Aleksandr Nesterenko mit viel tenoralem Schmelz) schließlich das Lachen wiederfand; geradezu urkomisch gelang das „Ha, ha, ha, ha“ nach Beethovens Schicksalsmotiv. Neu im Magdeburger Ensemble ist der Georgier Giorgi Mtchedlishvili, der mit sonorem Bassbariton den „guten“ Zauberer Celio gab, der letztlich die „böse“ Zauberin Fata Morgana (Jordanka Milkova mit dramatischem Mezzo) besiegt.

© Andreas Lander 

Ein Highlight jeder „Orangen“-Aufführung ist der kurze  Auftritt der fürchterlichen Köchin, hier in pompösem Kostüm dargestellt von Patrick Bolleire, der seinen gewaltigen Bass ordentlich röhren ließ. Die ersten beiden, bald verdurstenden Prinzessinnen Linetta und Nicoletta waren jeweils mit charaktervollem Mezzo Weronika Rabek, die außerdem als Smeraldina, Gehilfin der Fata Morgana, auftrat, und Emilie Renard. Ausgesprochen positiven Eindruck hinterließ in der Partie der Ninetta Rosha Fitzhowle, die erneut mit Höhensicherheit und Intonationsreinheit begeisterte.

Als Intriganten am Hof des Kreuzkönigs ergänzten ebenfalls spielfreudig Susana Boccato (Prinzessin Clarice) und Doğukan Kuran (Leander) sowie Olli Rasanen als Farfarello und Manfred Wulfert als Zeremonienmeister. Der von Martin Wagner einstudierteOpernchor gefiel wieder mit ausgewogener Klangfülle. Entscheidenden Anteil am Erfolg der Premiere hatte Magdeburgs 1. Kapellmeister Svetoslav Borisov, der allen Akteuren auf der Bühne ein zuverlässiger Partner war. Er führte die auch in den zahlreichen Instrumentalsoli ausgezeichnete Magdeburgische Philharmonie durch alle Tücken der heiklen Partitur und deutete dabei die sehr unterschiedlichen Strukturen der Musik Prokofjews in vorbildlicher Weise aus. Mit starkem Beifall bedankte sich das Premierenpublikum bei allen Mitwirkenden für die gelungene Musiktheater-Produktion.

Gerhard Eckels 22. Januar 2024


Die Liebe zu den drei Orangen
Sergei Prokofjew

Theater Magdeburg

Besuchte Premiere am 20. Januar 2024

Inszenierung: Anna Bernreitner
Musikalische Leitung: Svetoslav Borisov
Magdeburgische Philharmonie

Weitere Vorstellungen: 27. Januar, 18. und 24. Februar sowie 1. und 28. April 2024