Mönchengladbach: „Salon Pitzelberger & Co“

Premiere: 22.05.2021

Mit einem mehr als gelungenem Auftakt startet startet die Theatergemeinschaft Krefeld/Mönchengladbach in die kurze Restspielzeit 20/21 nach einem fast sieben monatigen Corona-Lockdown. Fünf Premieren an sechs Tagen können dank rückläufiger Inzidenzzahlen in der Stadt und deren Teilnahme im Projekt der Modellkommunen in Mönchengladbach zur Aufführung kommen. Anlass genug für den Intendanten Michael Grosse, das Publikum persönlich zu begrüßen und allen Beteiligten dafür zu danken, dass dieser Neubeginn möglich wurde.

Den Auftakt macht eine Bearbeitung der Opérette bouffe Herr Blumenkohl bleibt zu Hause am … (M. Choufleuri restera chez lui le …) von Jacques Offenbach. Es sei nicht leicht gewesen, ein passendes Stück zu finden, dass sich in Corona-Zeiten regelkonform aufführen ließe. Da sich die Versuche andere Häuser vor dem großen Lockdown als gescheitert erwiesen hätten, die dringend notwendigen Hygienereglen bei Stücken mit Pausen einzuhalten, sei nur ein Einakter mit ca. 1 1/2 Stunden Spielzeit in Frage gekommen. Die Idee eines Pasticcios eines Werkes unter Beibehaltung der bekanntesten Melodien sei verworfen worden. Statt dessen habe man sich für das Stück Salon Pitzelberger (so der deutsche Titel seit der ersten Übersetzung des Werkes aus dem Französischen) von Offenbach entschieden. Auch bei diesem Stück sei es unmöglich gewesen, Orchester und Personal der Operette unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln auf die Bühne zu bringen, weshalb man sich für eine Erweiterung der Ursprungsfassung entschieden habe.

Salon Pitzelberger kommt bei einer Spieldauer von ca. 40 Minuten mit sieben Musiknummern und vier Figuren und kleinem Chor aus. Um zu einer abendfüllenden Vorstellung zu gelangen – Salon Pitzelberger & Co dauert 1 Stunde und 40 Minuten – habe man die Handlung mit geeigneten Figuren erweitert und zusätzliche Nummern des Abends aus anderen Werken Offenbachs hinzu gefügt.

Auch sei es nicht nur textlich zu einer Neuübersetzung und Aktualisierung der Handlung gekommen, sondern es sei dem Produktionsteam auch musikalisch wichtig gewesen, vom Publikum verstanden zu werden. Mozart, Beethoven, Chopin und Tschaikowsky seien ebenso in die Neubearbeitung eingeflossen wie Isoldes Liebestod.

Man verlängert ein Stück nicht, ohne das Risiko einzugehen, auf diesem Wege auch Längen zu erzeugen. Und so ist es auch hier: Ganz reicht der Plot dann doch nicht aus, die Spannung über den Handlungsbogen des Stückes aufrecht zu erhalten. Trotzdem wollte man am Ende der Aufführung auf keine Nummer verzichtet haben. Die mutig, freche Courage der Verantwortlichen hat sich ausgezahlt: Hier ist wirklich etwas gelungen!

Im äußerst lesenswerten Programmheft des Abends schildert Ulrich Proschka die Entstehungsgeschichte und zugrundeliegenden Inspirationen für diese Inszenierung. Er verlegt die Handlung nach Berlin um 1880. Unter Beibehaltung der nestroyschen Manier der Vorlage mit Sprachwitz, sprachlichen Neuschöpfungen und sprechenden Namen erleben wir den Ethanol-Fabrikanten Waldemar Pitzelberger in seinem Wohnzimmer, dessen eigentliches Kunstverständnis durch das Bild des röhrenden Hirschen über dem Sofa anschaulich dargestellt wird. Mit einer Soiree hochrangiger Gesangsstars will er seine Gäste der gehobenen Gesellschaft beeindrucken, um von ihnen als ebenbürtig anerkannt zu werden. Aber weder die bestellten Opernsänger erscheinen, noch die exklusiven Gäste. Lediglich ein paar Neureiche treffen ein, denen mehr am anschießenden Buffet gelegen ist, als an der angekündigten künstlerischen Darbietung. Und so gelingt der Coup: Vater Pitzelberger, seine Tochter Ernestine und ihr heimlicher Geliebter Babylas täuschen ihr ahnungsloses Publikum mit perfektem Tutti-Frutti-Italienisch über die fehlende Prominenz hinweg, wie es auch Babylas gelingt, seinem Schwiegervater in spe die Hand seiner Tochter abzuringen.

Im Orchestergraben sitzen 10 Musiker der Niederrheinischen Sinfoniker (vier Bläser, vier Streicher, ein Pianist und ein Schlagzeuger), während auf der Bühne bis zu 15 Personen gleichzeitig stehen. In Mönchengladbach wird streng auf die Einhaltung der Hygiene-Vorgaben geachtet. Alle Darsteller tragen Handschuhe; niemals werden die vorgeschriebenen Abstände unterschritten; der Schlussapplaus wird mit Mundschutz entgegen genommen.

Natürlich können die Gladbacher mehr, als sie unter den gegebenen strengen Auflagen zeigen dürfen. Etwas statisch kommt der Abend schon daher. Aber beim Publikum und bei den Beteiligten stand hauptsächlich die Freude an erster Stelle, überhaupt wieder Musiktheater erleben zu dürfen. Und das geht eben nur, wenn man Wert darauf legt, alles richtig zu machen.

Glückwunsch: Mönchengladbach hat alles richtig gemacht!!!

Begeisterter und verdienter Applaus von den 190 zugelassenen Gästen des Abends.

credits

SALON PITZELBERGER & CO

(M. CHOUFLEURI RESTERA CHEZ LUI LE…)

Operette in einem Akt

Erweitert um Einlagen aus den Operetten: Pomme d’Api, Le 66, Les Bavards, Les Brigands, Orpheus in der Unterwelt, La Perichole, Lischen et Fritzchen

Musik von Jacques Offenbach

Konzeption und Textfassung von Ulrich Proschka

Musikalisches Arrangement von Michael Preise

Uraufführung am 31. Mai 1861 im Palais Bourbon, Paris

Ensemble:

Mathias Wippich, Sophie Witte, David Esteban, Markus Heinrich, Gabriela Kuhn, Woongyi Lee, Robin Grundwald, Maya Blaustein & Chor

Ingo Hamacher, 23.05.2021

Bilder: © Matthias Stutte