Premiere: 11.09.2020
Szenische Lesung mit Musik als Einstimmung auf ein großes Musical
Zweimal musste die Premiere von „Goodbye to Berlin“ am Theater Mönchengladbach krankheitsbedingt verschoben werden. Am 11. September 2020 war es dann aber endlich soweit und das Schauspiel-Ensemble ergänzt um einige Gäste konnte in die neue Spielzeit starten. Vorab noch kurz ein Lob an das Gemeinschaftstheater, welches versucht hat, die für die ursprünglich geplanten Produktionen verpflichteten Gäste auch im neu gestalteten Spielplan zumindest teilweise einzusetzen. Gerade im Bereich der freiberuflichen Künstler sind die Jobangebote bekanntlich aktuell mehr als rar, so dass man auch hier in schwierigen Zeiten Solidarität zeigt. Besagte schwierige Zeiten machten es auch notwendig, dass die ursprünglich geplante Inszenierung des Musicals „Cabaret“ (vorerst) um eine Spielzeit verschoben werden musste. Alternativ unterhält uns das Theater Mönchengladbach nun mit einer szenischen Lesung nach Kurzgeschichten von Christopher Isherwood, auf dessen Vorlage Joe Masteroff in den 1960er Jahren das bekannte Musical mit den wunderbaren Songs von John Kander und Fred Ebb schuf. Isherwood verarbeitete in seinem Buch „Leb wohl, Berlin“ seine Erlebnisse aus den Jahren 1929 bis 1933, wo der Autor nicht zuletzt auch wegen seiner Homosexualität und dem für damalige Verhältnisse recht offenen Umgang damit hingezogen war.
Regisseur Frank Matthus der an diesem Haus u. a. mit einer unvergessen grandiosen „Rocky Horror Show“ immer in Erinnerung bleiben wird teilt Isherwoods Vorlage in vier größere Bereiche. Im ersten Teil widmet er sich der Pension Schneider, anschließend geht es etwas ausführlicher um die Personen Sally Bowles, Otto Nowak und Bernhard Landauer. Geschrieben hat Isherwood sein Werk in der Perspektive des Ich-Erzählers, was Paul Steinbach auf der Bühne hervorragend übernimmt. Gerade die ersten knapp 30 Minuten, die sich um die Pension Schneider drehen, nutzt Matthus recht frei dazu, diverse Beziehungen zum späteren Musicalerfolg herzustellen. So erläutert Bruno Winzen beispielsweise sehr amüsant, wie aus Professor Koch im Roman der Obsthändler Herr Schulz im Musical wurde. Auch wirft er plötzlich ein, dass an dieser Stelle doch nun eigentlich ein Lied folgen müsste, was Isherwood mit großem Entsetzen zurückweist. Er hätte schließlich niemals Musik in seinem Werk vorgesehen. Später lässt er sich aber doch darauf ein, dass genau drei Lieder aus dem Musical vorgetragen werden dürften, aber kein Song mehr. So darf Ester Keil als Fräulein Schneider auch gleich loslegen. Schlussendlich bietet der Abend dann doch ein paar Lieder mehr, nicht nur aus den 20er und 30er Jahren, die unter der musikalischen Leitung von Jochen Kilian am Piano, Kim Jovy an den Reeds und Bernd Zinsius am Bass ganz treffend begleitet wurden.
Nach dem wirklich sehr humorvoll gestalteten Einstieg wird das Stück im Laufe des Abends dann doch etwas ernster bei der Betrachtung der einzelnen Figuren. Hierbei hält man sich dann auch sehr stark an den Originaltexten. Hierzu Frank Matthus im Interview des Programmheftes: „Dabei bleibe ich eng am Text, einfach weil er gut ist. (…) Es gibt auch keine Aktualisierung. Was ist das überhaupt? Wenn es eine intensive Geschichte ist, die berührt, die etwas … wie soll ich sagen …“ÜBER-gültiges“ hat, dann kann die Liebesgeschichte von mir aus auch in der Steinzeit spielen. Davon, dass man sie in den Weltraum versetzt, wird sie nicht aktueller“. So bleibt man auch in Mönchengladbach bei Isherwood im Berlin der 30er Jahre. Jannike Schubert gibt eine differenzierte Sally Bowles, die auch gesanglich stark daherkommt. Den jungen Otto Nowak mit dem Isherwood eine sexuelle Beziehung unterhält spielt Lars Wandres ganz hervorragend und als jüdischer Großunternehmer Bernd Landauer kann Adrian Linke einmal mehr seine Wandlungsfähigkeit zeigen. Zuvor ist er u. a. auch noch als Conférencier zu sehen und darf hierbei den Ohrwurm aus dem Musical vortragen. Abgerundet wird die Besetzung durch Yael Shervashidze , Jessica Roethlinger und
Fides Groot Landeweer, die jeweils mehrere kleinere Rollen übernehmen.
Die Ausstattung von Anne Weiler ist naturgemäß bei einer szenischen Lesung eher schlicht gehalten, dennoch wird immer wieder versucht, das möglichste aus den Gegebenheiten zu machen. Auch die Kostüme sind passend gestaltet. Ganz amüsant ist auch ein Tanz, bei dem zwischen den Darstellern eine Scheibe zum Einsatz kommt, da hierbei ansonsten die Abstandsregeln nicht eingehalten werden könnten. Allgemein wird bei der Produktion sehr genau auf großen Abstand zwischen den Darstellern geachtet, wobei trotzdem stehts eine Interaktion der Rollen bestehen bleibt (Choreografie: Kerstin Ried ). Insgesamt ist „Goodbye to Berlin“ ein etwas anderer Blick auf die Geschichte vor „Cabaret“, die sich daher auch ganz hervorragend als Vorbereitung des Musicalbesuches in der nächsten Spielzeit eignet. Zudem erlebt man in rund 90 Minuten einen durchaus unterhaltsamen Theaterabend, so dass man hier durchaus eine Besuchsempfehlung aussprechen kann.
Markus Lamers, 15.09.2020
Bilder: © Matthias Stutte