Osnabrück: „Germanicus“, Georg Philipp Telemann

Premiere: 20. Juni 2015

Mit der Premiere diese Oper gelingt dem Theater Osnabrück ein ganz besonderer Coup: Lange Zeit galt dieses 1704 uraufgeführte Werk als verschollen und wahrscheinlich ist hier die erste Aufführung seit mehr als 300 Jahren zu erleben. Außerdem eröffnet am Premierentag im nahegelegenen Kalkriese, dem historischen Schauplatz der Varus-Schlacht, die Ausstellung „Ich Germanicus – Feldherr, Priester, Superstar“, so dass man auch von einer gelungenen Kooperation zweier Kultureinrichtungen sprechen kann.

Erzählt wird eine erfundene Handlung um historische Figuren wie sie im Barock üblich ist: Feldherr Germanicus kehrt siegreich vom Feldzug gegen die Germanen in das heutige Köln zurück, wo Ehefrau Agrippina mit Söhnchen Caligula auf ihn wartet. Als Gefangene bringt Germanicus auch Claudia (die historische Thusnelda) mit, die Ehefrau des Cheruskerfürsten Arminius, der als tot gilt. Arminius hat aber überlebt, schleicht sich verkleidet bei den Römern ein und will sich rächen.

Für weitere Intrigen sorgen der römische Hauptmann Florus, der an die Macht will und der germanische Prinz Lucius, der in Claudia verliebt ist. Während der historische Arminius von verfeindeten Germanenfürsten getötet wurde, gibt es in der Oper ein Happy-End: Germanicus und Arminius werden Freunde.

Möglich ist diese Wiederaufführung nur, weil der Leipziger Musikwissenschaftler Michael Maul in der Frankfurter Universitätsbibliothek eine Sammlung mit Arien aus „Germanicus“ entdeckt hat. Der „Germanicus“ gilt nämlich als verschollen, seit die Originalnoten bei der Bombardierung Hamburgs im 2. Weltkrieg verbrannten. Der Osnabrücker Kapellmeister Daniel Inbal entschloss sich nun für die fehlenden Rezitative auf Telemanns italienische Vorlage „Germanico sul Reno“ von Giovanni Legrenzi zurückzugreifen, ein ebenfalls vergessenes Bühnenwerk, das von Tiziana Legrenzi in Modena editiert wurde.

Ergänzt wird die dreistündige Osnabrücker Aufführung um ein paar weitere Arien aus anderen Telemann-Opern, wobei insgesamt 31 Nummern aus der Original-Partitur erklingen. Die Kombination von Telemann-

Arien mit Legrenzi-Rezitativen fällt gar nicht groß auf, sondern beide Werke harmonieren bestens. Verwirrend er ist eher Telemanns Besonderheit, dass einige Arien auf Italienisch, andere auf Deutsch gesungen werden, was auch zu stilistischen Unterschieden in seiner Musik führt.

Das Osnabrücker Symphonieorchester spielt unter der Leitung von Daniel Inbal drahtig und vorantreibend auf. Diese Musik ist schön anzuhören und trifft sehr gut die Seelenlage der Figuren. Daniel Inbal betont auch die Originalität und Frische dieser Musik. Ein besonderes Lob verdient die Continuo-Gruppe mit Mino Marani am Cembalo, Klaus Mader an der Laute und Susanne Lamke am Barockcello.

Die Sänger finden sich unterschiedlich gut mit Telemann zurecht: Bassist Shadi Torbey singt mit kernigem Bass einen energischen und selbstbewussten Germanicus. Als seine Frau Agrippina profiliert Erika Simons mit ihrer schönen Sopranstimme diese Figur so einfühlsam und ausdrucksstark, dass man denkt, dass diese Oper nach ihr benannt werden müsste.

Für seine virtuosen Höhenflüge in den Koloraturenhimmel wird Countertenor Antonio Giovannini als intriganter Hauptmann Florus gefeiert. Leslie Visco gefällt mit schönem Sopran in der Hosenrolle des Caligula.

Die Germanen können da nicht ganz mithalten: Lina Liu als Claudia und Jan Friedrich Eggers als Arminius gestalten zuverlässig, wirken aber manchmal etwas bieder. Almerija Delic gefällt wiederum mit ihrem schön geführten und gut abgerundeten Mezzosopran als Prinz Lucius.

Bühnenbildner Wolfgang Gutjahr hat ein Labyrinth aus recht wackeligen Gerüsten entworfen, die mit gestanzten Goldfolien verkleidet sind. So soll ein barockes Labyrinth entstehen, in dem sich die Figuren verirren. Da keine konkreten Schauplätze verortet werden, bleibt der Zuschauer manchmal etwas ratlos, wo man sich gerade befindet. Kostümbildnerin Katharina Weissenborn orientiert sich an barocken Vorbildern, setzt den Sängern manchmal aber hässliche Wuschelperücken auf. Die Regie von Alexander May bemüht sich um realistische Figuren, nähert sich aber manchmal arg dem Komödienstadel an. Die Idee, dass der Abend damit beginnt, dass Telemanns Truppe seine neue Oper aufführen will, bringt dem Publikum auch keinen Mehrwert.

Telemanns Musik hätte szenisch eine hochwertigere Umsetzung verdient, vielleicht den Witz eines David Alden oder die historische Rekonstruktion einer Sigrid T´Hooft.

Von Rudolf Hermes 21.6.15

Bilder: Theater Osnabrück / Jörg Landsberg