Ballett am 22.09.2018
Die Idee, welche Beate Vollack für ihre Inszenierung und Choreographie von Haydns Oratorium entwickelt hatte, war bestechend: Entsprechend dem Tableau-Charakter von Haydns Komposition liess sie das Werk in einem Kunstmuseum tanzen und spielen, stellte eine Reinigungsfachfrau (Hanne) in den Mittelpunkt des Geschehens, welche ihre Fantasie – angeregt von den Gemälden – in verschiedene Tagträume abdriften liess. Das führte zu witzigen, aber auch sehr poetischen Situationen und die Sopranistin Sheida Damghani bezauberte dabei nicht nur mit ihrer fein geführten, wunderbar zart intonierenden Stimme, sondern auch mit ihrem köstlichen darstellerischen Spiel. Von der die Arbeit vernachlässigenden Reinigungskraft Hanne wurde sie zur die Natur geniessende Wandererin, zur Eisverkäuferin im Sommerbild.
Das Gemälde LILITH von John Collier und eine moderne Apfelskulptur, bei der sie genüsslich den Penis des nackten Jünglings abstaubte, liessen sie im Herbst in Gedanken zur Eva werden, die ihren Adam (hier der Lukas, von Nik Kevin Koch gesungen) verführt. Doch die Schlange aus dem Bild kommt dazwischen, Adam isst von der verbotenen Frucht, das von Hanne erträumte Paradies (sie hat sich gar mit einem Sari, den sie von der Schlange bekommen hat, geschmückt) führt nicht zum Kamasutra, sondern das erhoffte Paradies endet abrupt in einem Unterhosen-/Bierdosentanz, von dem Hanne ausgeschlossen ist. Am Ende (zur Reprise der Ouvertüre) fegt Hanne den Schneestaub zusammen, während einzelne Figuren aus den Traumsequenzen nochmals über die Bühne tanzen. Die Winterbilder werden abgeräumt, kurzzeitig herrscht eine triste Leere, bevor Frangards Riesengemälde der Rokoko-Dame in der Schaukel wieder hereingetragen wird und die Szene einfriert. Ein schöner, poetisch-nachdenklich stimmender Schluss. Von solchen Momenten hätte man sich an diesem Abend noch mehr gewünscht, denn oft bildete die Choreografie nur die naiven Momente und Texte des Oratoriums nach, lieferte zu wenig an Konterkarieren, liess eigentlich witzigen, sarkastischen Ideen zu wenig Raum zur Entfaltung.
Entfalten konnten sich jedoch die vielseitigen, agilen Tänzerinnen und Tänzer der Tanzkompanie St.Gallen in den diversen Genre-Bildern (die Präzision in der Synchronizität wird sich bestimmt im Verlauf der Serie noch etwas verbessern), welche sich mit spürbarem Enthusiasmus und verspielter Lust an der Verwandlung in Szene setzten. Künstlerisch austoben konnte sich auch der Ausstatter der Produktion, Jon Morrell. Welch ein Reichtum an fantasievollen, sorgfältig gearbeiteten Kostümen war da zu bewundern, von den beautiful Beach-People in ihren schicken Mondrian-Badekleidern und transparenten Regenpelerinen beim einsetzenden Sommergewitter, zu der glitzernden Schickimicki Gesellschaft bei der Vernissage der neuen Ausstellung, den witzig-pummeligen Schneeflocken, den Schafen, die sich der Packarbeiter Simon (gesungen von Martin Summer) als Hirte herbei träumt (eines davon verirrt sich als running gag in verschiedene Szenen), zu römischen Bacchanten und Bacchantinnen und zu einer Gruppe in Knickerbockers. Auch die Auswahl der Gemälde für die vier Jahreszeiten-Ausstellungen im Museum war überaus treffend gewählt: Frangards erwähnte Rokoko-Dame auf der Schaukel im Frühling, Hodlers blaue Frau (Lied aus der Ferne) im Sommer, Colliers Lilith im Herbst und eine nackte Skifläuferin im Winter stellten jeweils das zentrale Element dar, flankiert von weiteren Gemälden, welche von Toulouse-Lautrec, über Segantini, Kirchner zu Gainsborough führten. Die Seitenwände links und rechts zierten verschiedene Porträts von Papa Haydn. Besonders eindringlich wurde eines dieser Porträts des Komponisten in Szene gesetzt, als es transparent wurde und dahinter Martin Summer mit seinem herrlich strömenden Bass (und mit Haydn-Perücke) die Arie Erblicke hier, betörter Mensch, deines Lebens Bild sang, das war der bewegendste Moment des Abends. Haydn war zum Zeitpunkt der Komposition und der Uraufführung nämlich schwer krank. Hier singt ein Mensch, der Rückblick auf sein Leben hält, ein Moment der Wehmut, des Abschieds, eine Reflexion über Leben, Vergänglichkeit und Tod. Wunderbar!
Nik Kevin Koch als Lukas überzeugte mit seinem hell timbrierten, ausgeglichen geführten Tenor, der sowohl mit Sheida Dhamganis Sopran als auch mit Martin Summers Bass aufs Schönste harmonierte. Eindringlich gestaltete er seine Arie des ermatteten Wanderers/Skiläufers auf dem Weg zur Hütte im Winterbild. Mit umwerfender darstellerischen Verwandlungskunst schlüpfte er in die ihm zugedachten Charaktere, vom gestrengen Aufseher (über die Putzfrau), zum smarten Museumsdirektor, dem verträumten Künstler (Hodler-Bild), dem Jüngling im blumigen Anzug und zu dem sich schleppend durch den Schneesturm kämpfenden Skiläufer.
Mit 19 Sängerinnen und Sängern relativ klein besetzt war der Chor des Theaters St.Gallen, doch was dieser Kammerchor an Farbigkeit und Klangentfaltung in den Lobpreisungen der Schöpfung und den Kommentaren zum idyllischen Landleben (wir sind im Zeitalter der Aufklärung, keine Klimaveränderung, kein Glyphosat – Skandal vermag die Stimmung zu trüben) ertönen liess, verdient höchstes Lob (Einstudierung: Michael Vogel). Akustisch war der Chor natürlich auch sehr vorteilhaft hinter den Gemälden der Bühnen-Rückwand platziert. Dadurch ergab sich auch im Zusammenspiel mit dem vortrefflich aufspielenden Sinfonieorchester St.Gallen unter der Leitung von Michael Balke eine perfekte klangliche Balance.
Da blitzten wunderschöne orchestrale Farben auf, von den Klarinetten, den Flöten und den lichten Streichern. Das Premierenpublikum zeigte sich überaus angetan von dieser Produktion (Koproduktion mit der Oper Graz) und bedachte die Ausführenden und Produktionsverantwortlichen mit begeistertem Applaus.
Fazit: Ein beschaulicher, stellenweise echt witziger, manchmal auch poetisch-verträumter Abend, von dem man sich lediglich an gewissen Stellen noch etwas mehr szenischen Biss gewünscht hätte.
Kaspar Sannemann 23.9.2018
Bilder (c) Theater St. Gallen