Vorstellung am 11.05.2019
Claudio Monteverdi, in der Bearbeitung von Ernst Krenek
Einmal mehr beweist das Theater St.Gallen Mut und Entdeckerfreude zugleich. Mut, indem es sich nicht auf den Weg der seit rund 40 Jahren angesagten so genannten historischen Aufführungspraxis alter (barocker) Opern begibt, Entdeckerfreude, indem es eine Fassung der INCORONAZIONE DI POPPEA zur Diskussion stellt, die Ernst Krenek vor gut 80 Jahren erstellte und die seit dieser Zeit szenisch nie mehr aufgeführt wurde. Und der Mut zahlt sich aus, das Resultat ist mehr als hörens- und sehenswert. Ernst Krenek hat die Handlung klug gestrafft, Nebenfiguren (insbesondere die komischen) gestrichen, die Plausibilität durch das Weglassen der Travestie beim Plan zur Ermordung der Poppea gestärkt. Was die Musik anbelangt ist dem renommierten (und bis heute leider stark unterschätzten, universal gebildeten) Komponisten ein Meisterwerk gelungen, das in seinen Bann zieht. Noch selten sass ich in einer POPPEA Aufführung, die so kurzweilig und spannend war. Was Krenek da aus den Melodielinien und dem überlieferten Continuo Monteverdis (und seiner Mitverfasser???) an harmonischen Finessen, instrumentalen Farben (Krenek komponierte für ein relativ gross besetztes, „modernes“ Orchester) herausgeholt hat, überzeugt, ja begeistert. Das Sinfonieorchester St.Gallen unter der Leitung von Corinna Niemeyer transportiert diese instrumentale Farbpalette aufs Wunderbarste, zeigt die motivischen Verästelungen mit der gebotenen Transparenz. Der Orchesterklang ist nie zu dick oder zu aufdringlich, auch in den beiden Vorspielen und dem Intermezzo herrscht eine kluge dynamische Subtilität vor, die das Ohr zum aufmerksamen Zuhören lenkt. Und wer nun denkt, hm Krenek, Dodekaphonie, Dissonanz, dem sei Entwarnung gegeben. Das ist alles wunderbar fein, zart, ganz Monteverdi, aber in einem hoch spannenden Gewand.
Wolfgang Menardi hat für die Inszenierung von Alexander Nerlich einen sehr gut bespielbaren Raum geschaffen, ein leeres, weiss gefliestes Schwimmbad nach einem Brand. (Der Brand von Rom unter Neros Herrschaft?) Auf dem Boden des Pools liegen angekokelte Möbelstücke, ein halb verbrannter Flügel, Asche- und Kohlehaufen. Es herrscht ein Art Endzeitstimmung vor, die Menschen sind irre geworden. Darauf deutet auch ein Rorschach-Test auf dem Zwischenvorhang und hereinfliessende Tinte hin, die sich zum orchestralen Vorspiel darauf ausbreitet. In diesen atmosphärisch kalten Raum scheinen sich die Figuren vor dem Brand geflüchtet zu haben und auf dem engen Raum kommt es zu den Konflikten, der getriebenen Liebe, der rasenden Eifersucht und dem Tanz auf dem Vulkan. Eine Endzeitstimmung, welche der Kostümbildnerin Žana Bošnjak natürlich vielfache Möglichkeiten für fantasievolle Kostüme bietet, welche von Anklängen an klassizistische römische Frauenkleider bis zu am Gothic Stil angelehntem schwarzem Outfit reichen. Alexander Nerlich hat es verstanden, die Charaktere innerhalb dieses geschlossenen Raums wunderbar stimmig herauszuarbeiten. Raffaella Milanesi ist eine verführerische, selbstbewusste und zielstrebige Poppea. Ihr dunkel timbrierter Sopran vermag mit seiner erotischen Leuchtkraft zu faszinieren – und den Nero zu manipulieren. Dieser Nero ist hier eine gebrochene Figur, den sexuellen Avancen der Poppea vollkommen verfallen, an der Flasche hängend und zu cholerischen Ausbrüchen neigend. Anicio Zorzi Giustiniani bleibt diesen vielen Facetten des Kaisers nichts an Nuancen schuldig, setzt seinen wunderbar ausgeglichenen und biegsamen Tenor gekonnt zur Charakterisierung dieses Mannes ein.
Zusammen sind Nero und Poppea hier wirklich ein Paar, das sich gegenseitig „verdient“. Von der archaischen Vermischung ihres Blutes, über das ungehemmt zur Sache gehende Liebsspiel im zweiten Teil führt ihre Verbindung zu einem der schönsten Liebesduette am Ende der Oper (Pur ti miro). Darin rühren Raffaella Milanesi und Anicio Zorzi Giustiniani zu Tränen: In vollkommener Schwärze (das Schwimmbad wird von einer herabfallenden schwarzen Plastikfolie zugedeckt, wie eine drohende Wand aus schwarzer Asche) besingen die beiden ihre Liebe, losgelöst und entrückt vom Tal der Tränen des irdischen Daseins. Schwergemacht hat ihnen diese Liebe die betrogene Gemahlin Neros, Ottavia. Ieva Prudnikovaite ist in dieser Rolle der verlassenen Ehefrau und Kaiserin ein stimmliches und darstellerisches Ereignis: Kraftvoll und doch kontrolliert rast und trauert sie, ihre Abschieds-Arie, bevor sie in Verbannung geschickt wird, berührt ungemein. Wie sie dieses stotternde Addio Roma, addio patria gestaltet, geht wahrlich unter die Haut. Wunderbar leuchtend singt Tatjana Schneider die Drusilla, die hoffnungsvoll liebende und aufopferungsbereite ehemalige Gefährtin des Ottone, die – nach dessen Brüskierung durch Poppeas Hinwendung zu Nero- nun neue, herrlich jubelnd vorgetragene Ambitionen auf Ottone hegt. Ottone wird vom Bariton Shea Owens mit runder, differenzierter Stimmführung gegeben. Milena Storti liefert ein subtil gestaltetes Porträt der Arnalta ab – einerseits die besorgt um Poppea agierende Amme (sanft und wunderschön wiegend das Schlaflied), andererseits ihre Chancen zum sozialen Aufstieg durchaus wahrnehmende Karrieristin. Ihr fein geführter, unforcierter und trotzdem ausdrucksstarker Alt zwingt zum genauen Hinhören. Ausgezeichnet singen und agieren die beiden Soldaten Neros, Barna Kovács und Robert Virabyan und solide wie stets der Chor des Theaters St.Gallen (Einstudierung: Michael Vogel).
Und dann ist da natürlich noch Seneca, der Philosoph und Erzieher Neros: Martin Summer kommt als zerzauster Mönch daher, hat etwas von Rasputin. Aber seine Stimme ist sanft und doch bestimmt (grandios das Vanne, vattene omai), wunderbar sonor, ohne aufdringlich zu sein. Der dialektische Schlagabtausch zwischen ihm und Nero ist einer der Höhepunkte der Aufführung. Martin Summer und Anicio Zorzi Giustiniani schenken sich an intellektuellem Schliff und temporeicher Rede und Gegenrede nichts. Hier offenbart sich ganz besonders die hohe literarische Qualität des Librettos von Giovanni Francesco Busenello. Für Seneca allerdings bedeutet dieser Schlagabtausch das Todesurteil, welches ihm die Göttin Pallade überbringt (ausgezeichnet Candy Grace Ho). Da Krenek den Prolog mit den drei Göttern Amor, Virtú und Fortuna gestrichen hatte, ist Pallade die einzige Göttin geblieben, welche singend in seiner Fassung auftritt. Doch der Regisseur hat nun noch die Figur des Amor in seine Inszenierung eingefügt, ein Strippenzieher der dämonischen Art, welche den Figuren Halt gibt, oder sie in psychische und triebhafte und von sexueller Besessenheit geprägte Abgründe leitet. Dieser Amor wird getanzt von Diane Gemsch – und wie! Das ist stupende Akrobatik, verblüffend, beängstigend und zutiefst verstörend zugleich. Und auch nicht ganz unproblematisch, denn diese Figur mit ihrer ungeheuren Präsenz lenkt auch manchmal von der Interaktion der Protagonisten ab. Andererseits ist es doch so, wie Amor im gestrichenen Prolog sagt: „Ihr werdet zugeben müssen, dass sich auf eine blosse Laune von mir die ganze Welt verändert.“ Von daher ist der Einfall des Regisseurs dann doch auch wieder klug und stimmig!
Fazit: Ein packender, hoch interessanter, spannender Abend. Ein MUSS sowohl für Freunde des barocken Musiktheaters als auch für Anhänger von Kreneks Schaffen. Und eine Aufführung, die man sich gerne mehrmals ansehen möchte!
Kaspar Sannemann 12.5.2019
Bilder (c) Theater St. Gallen