Trier: „Maria de Buenos Aires“

Tango-Trash

Lieber Opernfreund-Freund,

Astor Piazzollas 1968 uraufgeführte tango operita „Maria de Buenos Aires“ fristet hierzulande ein Schattendasein. Zwar kommt es gelegentlich zu meist konzertanten Aufführung, wie in der vergangenen Spielzeit beispielsweise in Bonn, doch ist die Geschichte dermaßen vielschichtig und komplex, dass eine szenische Umsetzung nur selten gelingt. Das sieht man seit gestern auch in Trier, wo die Theaterlandschaft ohnehin aus den Fugen geraten zu sein scheint.

Astor Piazzolla hatte ab Ende der 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts den Tango argentino erneuert und so das Lebensgefühl des Tangos in die Welt getragen. Der Stadt Buenos Aires hat er vor beinahe 50 Jahren mit der „Maria de Buenos Aires“ ein Denkmal gesetzt und dabei die hochpoetischen Texte von Horacio Ferrer vertont. Erzählt wird die Geschichte von Maria, die aus der Vorstadt stammt und in Buenos Aires ihr Glück als Sängerin und Tänzerin versucht, sich unglücklich verliebt, als Prostituierte endet und bei der Geburt ihres ersten Kindes stirbt. Im zweiten Teil zieht der Geist Marias durch die Straßen von Buenos Aires, die Handlung gleitet ins Surreale ab und endet nach allerlei Symbolismen damit, dass der Schatten Marias an Weihnachten ein Mädchen gebiert – vielleicht die Wiedergeburt von Maria selbst.

Die Regisseurin Karin Maria Piening präsentiert im Kasino am Kornmarkt nun ihre recht eindimensionale Lesart dieses komplexen Stoffes. Das hat sie offensichtlich auch schon 2012 im Historischen Gemeindesaal Moabit getan, denn in Trier ist eine Reprise der Produktion zu sehen, ohne dass das teatrier, wie es sich nennt, darauf einen Hinweis gäbe. Zwar sind die Kostüme von Rebekka Dornhege Reyes da und dort angepasst, doch Bühnenaufbau und Konzept scheinen 1:1 von der Berliner Inszenierung übernommen.

Der Aufführungsort indes ist klug gewählt, man betritt als Zuschauer eine Bar mit prominenter Theke, etwa hundert Gäste sitzen an Tischen oder rechts und links von einer Art Laufsteg, der von der kleinen Bühne in den Saal führt. So entsteht eine unglaubliche Nähe zum Geschehen und die am Ende des Steges postierten Musiker erschaffen einen wunderbar intimer Rahmen, der der zu erwartenden Musik durchaus angemessen ist. Doch dann geht es los… Piening reduziert die Maria auf die ewig geschundene Frau, von aller Welt geschlagen, vergewaltigt und zum bloßen Sexsymbol gemacht. Nur zu selten dürfen die anderen Facetten dieser vielschichtigen Figur kurz aufblitzen, da darf sie Mutter sein (die selbstverständlich ihre Kinder nicht lieben können darf) oder Madonnenfigur (die überflüssigerweise Rosenblätter gebiert). Die Zweiteilung aus dem Libretto ist nicht im Ansatz zu erkennen, die groteske Verunstaltung des Stoffes erinnert mich mehr als einmal an Laientheater – Puppen, denen Gliedmaßen fehlen, aufgemalte Geschlechtsteile und Baseballschläger, die auf rote Herzen eindreschen, sind gnadenlos überholte Bilder – und spätestens bei der unsäglichen Improvisation des Duende ist die Inszenierung in den Bereich der Persiflage abgeglitten.

Schade, dass die Musik bei solch überambitionierter Regie in den Hintergrund tritt, denn die Handvoll Musiker spielt fantastisch, allen voran die barfuß auftretende Bandonéon-Koryphäe Stephan Langenberg, ein wahrhafter Meister seines Instruments, und Wolfgang Wehner an der Violine, der mit gefühlvollem Strich für den nötigen Schmelz in den Tangomelodien sorgt. Dean Wilmington leitet vom Klavier aus gekonnt die kleine Schar.

Luiza Braz Batista spielt und singt sich förmlich die Seele aus dem Leib, ihre dunkle Stimme klingt fast androgyn und transportiert die Seele des Tangos in den Saal. So lässt ihre Maria dem Zuschauer – auch aufgrund ihrer intensiven Darstellung – immer wieder einen Schauer über den Rücken laufen. Ensemblemitglied Bonko Karadjov gibt den Sänger voller Innbrunst und mit schmelzend-schluchzendem Tenor. Der junge Schauspieler Tilman Rose neigt zwar bisweilen zum Overacting, verkörpert den Duende aber unterm Strich dann doch überzeugend. Dass es sich bei den Darstellern des Bürgerchores um Laien handelt, ist nicht ganz zu verhehlen, doch setzen die Damen und Herren die Anweisungen der Regie gekonnt um, wobei Philipp Voigtländer den nachhaltigsten Eindruck vermitteln kann.

Warum die Sänger in diesem kleinen Raum mit Mikroports verstärkt werden müssen, so dass die Agierenden am einen Ende des Raumes stehen, der Klang aber aus den Lautsprechern am anderen Ende kommt, und warum es nach der Vorstellung trotz abgedroschenster, auf plumpe Brutalität setzender Bildsprache zu einhelligem Applaus auch für das Produktionsteam kommt, wo doch die Gespräche mit Zuschauern nach der Vorstellung Kopfschütteln, Missfallen und Unverständnis offenbaren, darauf, lieber Opernfreund-Freund, habe ich leider keine Antwort gefunden. Diese Art pseudo-experimentelles Theater hat zumindest mich nicht erreichen können.

Ihr Jochen Rüth / 30.01.2017

Fotos (c) ArtEO Photography