Vorstellung am 11.12.16
Premiere am 2.12.16
Ungarische Erstaufführung leider ohne grandioses Finale!
2007 und 2011 war im Theater an der Wien die vielumjubelte Produktion von Poulenc Meisterwerk in der Regie von Altmeister Robert Carsen zu bestaunen. Francis Poulenc, der Komponist dieser großen Opernentdeckung des Jahres 1957, vermied in seiner Musiksprache tunlichst alles sentimental Romantische. Die zwölf Szenen der Oper sind klar strukturiert und handwerklich bis ins kleinste Detail durchgearbeitet. Der Stoff basiert auf der Briefnovelle „Die Letzte am Schafott“ von Freiin Gertrud von le Fort (1876-1971) aus dem Jahr 1931. Sie verwertete darin eine historische Begebenheit, bei der in den Wirren der französischen Revolution 16 Karmeliterinnen des Konvents von Compiègne, nahe bei Paris, am 17. Juli 1794 hingerichtet wurden.
Frei erfunden aber hat sie die Figur der adeligen Blanche de la Force, die, von Panikattacken gepeinigt, in die klösterliche Abgeschiedenheit flieht, genährt von der trügerischen Hoffnung, dort ihre Ängste überwinden zu können. In den Gesprächen mit ihren Mitschwestern erfährt sie eine religiöse innere Stärkung, ihre Ängste bleiben jedoch bestehen. Als das Revolutionstribunal den Nonnen die Ausübung ihrer Ordensregeln verbietet, beschließen alle ihr Leben dem Märtyrertod zu weihen. Nur Blanche flieht aus Todesangst. Die Ergebenheit ihrer Mitschwestern ins Martyrium befreit sie schließlich aus ihrer lähmenden Todesangst und sie folgt den Schwestern bereitwillig auf das Blutgerüst.
Georges Bernanos (1888-1948) schuf nun auf der Grundlage dieser Novelle zunächst ein Filmdrehbuch, welches Poulenc gemeinsam mit Emmet Lavery (1902-86) für seine Oper adaptierte. Uraufgeführt wurde die Oper dann am 26. Januar 1957 an der Mailänder Scala.
Vom Thema her wirkt die Oper natürlich völlig anachronistisch, denn nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges erschöpft sie sich, von der Handlung her zurückgewandt, über weite Strecken in Gebeten und Gesprächen mit und über Gott. Poulenc legte dabei großen Wert auf den Text und ordnete diesen über die Musik. Vor Poulenc hatten bereits einige andere Komponisten Opern vor dem Hintergrund der französischen Revolution verfasst. So etwa Umberto Giordano „Andrea Chénier“ (1896), Pietro Mascagni „Il piccolo Marat“ (1921) und Gottfried von Einem „Dantons Tod“ (1947). Die Staatsoper in Budapest präsentierte nun erstmals Poulencs Meisterwerk als ungarische Erstaufführung, wofür ihr schon vorab Anerkennung und Respekt für ein solches wagemutige Unternehmen zu erweisen ist!
Gabriella Létay Kiss war eine innerlich zerrissene und äußerlich fragile Sœur Blanche de l’Agonie-du-Christ. Ihre Panikattacken, die ihre Seele in einer Mischung aus ständiger Lebensangst und tiefgreifender Todesfurcht zu zerreißen drohen, kann die Sängerin mit ihren ausdrucksstarken Augen besonders eindringlich vermitteln. Auch stimmlich vermochte sie vollends zu überzeugen. Livia Budai lieferte eine erschütternde Studie der mit dem Tode ringenden Priorin Mme de Croissy. Nur zwei Szenen hat sie zu singen, aber mit welcher Bühnenpräsenz! Ihre Zweifel an der Gnade Gottes in Erwartung ihres nahen Todes, ihre ungeheure Furcht in diesem Augenblick, sie erfassen den Zuschauer und lassen bei ihrem gequälten Todesschrei die Gänsehaut aufkommen.
Zita Szemere verlieh ihren eher hellen Sopran der Rolle der Sœur Constance de Saint-Denis. Zita Várady imponierte als Mme Lidoine, der neuen Priorin der Karmeliterinnen und lieferte eine solide Gestaltung dieser eher undankbaren Rolle. Gabriella Balga war als resolute Unterpriorin Mère Marie de l’Incarnation von Natur aus besonders stark und herrisch und wirkte daher naturgemäß eher unsympathisch. Mère Jeanne wurde Veronika Dobi-Kiss, Sœur Mathilde von Melinda Heiter rollengerecht interpretiert. Bei den Männern brillierte Publikumsliebling Anatolij Fokanov als Marquis de la Force, der gleich zu Beginn mit den von der Decke herabhängenden Gestirnen astronomische Betrachtungen anstellt. Sein Sohn, der Chevalier de la Force, wurde von Gergely Boncsér eindringlich dargestellt. Als Beichtvater war János Szerekován glaubwürdig und ergreifend. Antal Bakó gab einen polternden Kerkermeister und Tivadar Kiss einen furchtgebietenden ersten Commissaire, während Lajos Geiger den zweiten Commissaire vortrefflich gestaltete. Géza Zsigmond wirkte noch als resoluter Offizier, Gergely Irlanda als Lakai Thierry und Péter Illés als Dr. Javelinot mit.
Während der aus Rumänien stammende Dirigent Christian Badea Poulencs Musik, die stellenweise sehr an Mussorgsky erinnert, gemeinsam mit dem Orchester der Ungarischen Staatsoper würdevoll zelebrierte. Die Musik bietet viele eindringliche, beinahe suggestive Momente, die das Ohr des Zuhörers regelrecht fesseln. Der Grund dafür liegt wohl darin, dass Poulenc zeitlebens einer mehr oder weniger freien Tonalität verhaftet blieb. Demgegenüber lag das Manko in der szenischen Umsetzung durch Ferenc Anger. Mehrere Versatzstücke dienen als Bücherwände im Schloss des Marquis de la Force, gedreht werden sie dann zu den engen Kammern der Nonnen. Damit finden die Bühnenbilder von Éva Szendrényi ihr Auslangen. Und auch die historisierenden Kostüme von Gergely Z. Zöldy sind der Zeit um 1794 verpflichtet. Gelang dem Regisseur noch das bühnenwirksame Abschneiden der Haare der Nonnen vor ihrer Hinrichtung, fiel der musikalische Höhepunkt der Oper, der in der Hinrichtung der Nonnen gipfelt, szenisch desaströs aus.
An Stelle eines effektvollen, durchchoreographierten „Schwanengesanges“ der Nonnen in Erwartung ihrer nahen Exekution durch die Guillotine, begnügte sich Regisseur Anger damit, die Nonnen frontal und kaum beleuchtet am vorderen Bühnenrand aufzustellen. Dazu ließ er das Volk, welches der Hinrichtung beiwohnt, zu beiden Seiten des Parketts auftreten und das Geschehen gespannt verfolgen, wobei ein deutliches Geraune auf Ungarisch, völlig unpassend zur Oper, vernehmbar wurde, bis der Chor dann endlich seine in dieser Situation von mir als erlösend empfundene Vokalise zum „Salve Regina, mater misericordiae, vita, dulcedo et spes nostra, salve…“ der Nonnen anstimmte. Die an dieser Stelle besonders eindringliche, Mark und Bein erschütternde Musik Poulencs verpuffte damit ohne nachhaltige Wirkung in der Dämmerung und ließ das grausame Geschehen nur erahnen. Hier hätte es einer starken choreographischen Lösung bedurft oder einer optischen, etwas durch den Einsatz von blitzendem Scheinwerferlicht, welches das herabsausende Fallbeil symbolisieren würde. Keine dieser Lösung schien dem Regisseur geeignet und so hat er sich einer großen Chance leider leichtfertig begeben. Der Applaus des Publikums war an diesem Sonntagvormittag enden wollend. Bravi gab es für Gabriella Létay-Kiss, Livia Budai und Anatolij Fokanov.
Harald Lacina, 13.12.