Vorstellung am 15.02.2022
Letzte Spielzeit fiel sie dem halbjährigen Kultur-Lockdown zum Opfer, aber jetzt steht Elena Tschernischovas „Giselle“ wieder auf dem Spielplan des Wiener Staatsballetts. Einstudiert von der damaligen Premièren-Giselle Brigitte Stadler stellt man als Zuschauerin auch wieder neue Feinheiten fest, dass es immer wieder eine Freude ist, diesen Klassiker zu sehen.
Überzeugender Wahnsinn und Noblesse
Als Titelheldin war die 1. Solotänzerin Liudmila Konovalova zu erleben, welche bereits seit 11 Jahren in mehreren Vorstellungsserien erfolgreich die Giselle getanzt hat. Man hat sie durchaus auch in stärkeren Vorstellungen erlebt, beispielsweise als Dornröschen oder im Schwanensee, diesmal gab es im 1. Akt kleine Unsicherheiten, die man von ihr sonst so nicht kannte. In der Wahnsinnsszene überzeugte sie auf ganzer Linie, als Mädchen vom Lande hingegen wirkte sie zu gewollt, der Gesichtsausdruck streckenweise etwas hart. Ihr Partner Masayu Kimoto hat als Albrecht genau die Noblesse, die einen Prinzen ausmacht, jede Hebefigur gelingt mühelos, in den Solo-Variationen ist er souverän. Einzig mag es verwundern, dass er seit Neustem nicht mehr zum Schwert greift – der Moment, als Hilarion ihn mit dem Dolch angreift und Albrecht bisher instinktiv das nicht-vorhandene Schwert ziehen will – einer der Momente, die ihn als Prinzen verraten und Hilarions Verdacht bestätigen.
Hervorragend: Hilarion und Myrtha
Exzellent in dieser Vorstellung ist Eno Peçi als Hilarion – er ist nicht nur ein hervorragender Tänzer, sondern weiss auch darstellerisch jede Mimik perfekt zu dosieren, ein Hilarion, der Giselle ehrlich liebt, und auch den Konkurrenzkampf gegen Albrecht antritt, in blinder Eifersucht (aber niemals outrierend – da hat man auch andere Interpreten am Hilarion eher scheitern erlebt…) für Giselles Tod mitverantwortlich ist und diesen in stummer Erschütterung bereut. Eine ebenfalls grossartige Leistung garantiert Kiyoka Hashimoto als sprungsichere Myrtha, die unerbittlich alle Männer in den Tod treiben will, jedoch beim 1. Glockenschlag auch gleich wieder elegant verschwinden kann, nach dem Motto, morgen Mitternacht kommt sicher das nächste männliche Wesen…
Als Mutter Berthe flackert auch Franziska Wallner-Hollinek der Wahnsinn in den Augen, wenn sie die Schauergeschichte von den Willis erzählt, Claudine Schoch als Bathilde ist eine Erscheinung der besonderen Art; dass Albrecht in dieser Beziehung eher weniger zu sagen hat, wird allein durch Blicke schon deutlich. Als Bauernpaar gibt Sonia Dvorak ein souveränes Rollendebüt neben Arne Vandervelde, welcher bereits 2018 den Pas de deux tanzte und als Solo-Wilis schweben Adele Fiocchi und Anita Manolova leichtfüssig über die Bühne. Das Corps de Ballet (auch einige Tänzer:innen der Junior Company) wird vor allem den Ansprüchen des 2. Aktes gerecht. Und gerade diese Stunde zeigt die Harmonie innerhalb der Company.
Dirigent Jendrik Springer rollt mit dem Orchester der Wiener Staatsoper den roten Teppich für die Tänzer:innen aus, die tonalen „Hoppalas“, die in früheren Saisonen vor allem im 2. Akt immer wieder passierten, sind behoben, wunderschön erklingt das Bratschen-Solo. Das Publikum feierte vor allem die Leistung des Orchesters. Es sei wohl der durchgehenden Tragepflicht von FFP2-Masken geschuldet, dass die Bravorufe (die alle Mitwirkenden wohl verdient hätten) sich eher gedämpft in Grenzen hielten.
(c) Ashley Taylor
Katharina Gebauer 17..2.22
Folgevorstellungen: 17., 18.*, 20**., 23*.2.2022 (mit Maria Yakovleva*/Elena Bottaro** als Giselle, Davide Dato*/Denys Cherevychko** als Albrecht, Ketevan Papava*/Gala Jovanovic** als Myrtha)