Wien: „Giselle“

Wiener Staatsballett, Wiener Staatsoper, 9.10.2017

Ioanna Avraam bezaubert als „Giselle“

Nach einigen Hauptrollen in modernem und neoklassischem Repertoire, sowie auch als Titelpartie von der „Schneekönigin“ und „Giselle Rouge“ (an der Volksoper) ist Solotänzerin Ioanna Avraam nun in ihrer ersten abendfüllenden, klassischen Hauptrolle an der Staatsoper zu erleben und ist so gut, dass man sie sehen MUSS.

Dies zeigt sich auch in kleinen Details; glaubhaft bestaunt sie das herrlich-leuchtende rote Samtkleid von Bathilde (elegant: Vanessza Csonka), als sähe sie so einen wertvollen Stoff zum ersten Mal in ihrem Leben, und wenn sie in der Konversation mit Bathilde kindlich nickt, oder die Herzkrankheit verharmlost, so wirkt dies niemals als eine aufgesetzte Schüchternheit, oder eine erwachsene Frau, die einen Teenager spielt, Avraam IST in diesem Moment das sympathische, naiv-verliebte Bauernmädchen. Dass sie in dramatischen Szenen für Gänsehautmomente sorgt, hat sie schon in Eifmans „Giselle Rouge“ bewiesen, und so gelingt es ihr auch als „klassische Giselle“, in der Wahnsinnsszene zu Tränen zu rühren. Übrigens landet Avraam bereits im 1. Akt sehr weich bei allen Sprüngen, was dem Charakter der Giselle auch noch einmal zugute kommt. Während sie im 1. Akt gekonnt Zerbrechlichkeit zeigt und den daraus drohenden Tod wie ein Damoklesschwert über sich schweben lässt, so strahlt sie im Gegenzug im 2. Akt eine innere Ruhe und Sanftmut aus, bezaubernd schwebend meistert sie die technischen Ansprüche im 2. Akt und wie ein Geist über den Tod hinaus noch Gefühle hat, kann man sich anhand ihres melancholisch-schönen Ausdrucks vorstellen. Besonders lieblich gelingen ihr die fliessenden port de bras und mühelos die petite batterie. Solch eine Giselle möchte man öfters erleben; auch in anderen darstellerisch anspruchsvollen Partien wäre Ioanna Avraam sehr geeignet. Wenn es nicht schon sieben 1. Solotänzerinnen gäbe… Die nächste Beförderung dürfte sicher bald an diese wunderbare Tänzerin gehen.

Denys Cherevychko als jugendlicher Herzog Albrecht ist ein sehr harmonischer Partner für Avraam, technisch wie immer sehr sicher, und spielerisch-kraftvoll. Ebenfalls stark als Hilarion: Alexis Forabosco. Halbsolistin Oxana Kiyanenko ist eine etwas zurückhaltende Myrtha mit sauberer Technik, die Solo-Wilis (Sveva Gargiulo und Anita Manolova) glänzen grazil und filigran, Sveva Gargiulo ist dazu angenehm lautlos bei den Sprüngen, was die Glaubhaftigkeit, ein Geist zu sein, unterstreicht.

Ein hervorragendes Debüt im Bauern-Pas de deux gibt der junge Corps de Ballet-Tänzer Scott McKenzie – ein äusserst talentierter Tänzer, dessen brillante Leistung nach mehr solistischen Aufgaben ruft. Ihm zur Seite bezaubert die liebliche Natascha Mair, die in jeder Vorstellung ein Garant für hohe Qualität ist.

In den Statistenrollen überzeugen Franziska Wallner-Hollinek als Giselles Mutter, Jaimy van Overeem als Wilfrid, Kamil Pavelka als Herzog von Kurland und Vanessza Csonka als Bathilde.

Das Corps de Ballet zeigt sich einmal mehr mit Harmonie von seiner besten Seite.

Grossen Applaus gab es auch für Dirigent Valery Ovsyanikov und das Orchester der Wiener Staatsoper – einmal mehr muss die klangschöne Darbietung des Solo-Bratschisten hervorgehoben werden!

Folgevorstellungen: Mai/Juni 2018

Katharina Gebauer 12.10.17

Bilder (c) Staatsballett