Wien: „Giselle“

Wiener Staatsballett, Wiener Staatsoper, 22.9.2017

Schwebender „weisser Akt“

Nach 6 Jahren Pause steht der Ballettklassiker „Giselle“ wieder am Spielplan des Wiener Staatsballetts und wartet mit einer Fülle an Rollendebüts auf.

Nina Polakova, welche bereits zahlreiche Hauptpartien des klassischen Repertoires erfolgreich getanzt hat, ist nun erstmals in der Titelpartie zu erleben. Wie man es bei einer Ballerina von ihrem Kaliber auch gar nicht mehr anders erwarten kann, ist sie nicht nur technisch perfekt, sondern zeigt auch ganz feine Linien, die besonders im 2. Akt zur Geltung kommen, glänzt durch Schwerelosigkeit und einen wunderschön-melancholischen Ausdruck. Als Herzog Albrecht debütiert Denys Cherevychko, der als sehr jugendlich-leichtsinniger Adeliger überzeugt und dessen Reue über Giselles Tod im 2. Akt glaubhaft vermittelt wird. In seinen Variationen ist er mit einer Lässigkeit hervorragend, in der Schlussszene geradezu unermüdlich mit unzähligen battements, für die er auch Zwischenapplaus erntet. Als sein Gegenspieler Hilarion ist Rollendebütant Eno Peci (der übrigens in der letzten „Giselle“-Serie als Albrecht reüssierte) ein energischer, bodenständiger Wildhüter.

Natascha Mair ist eine luxuriöse Besetzung für den Bauern Pas de deux, mit ihrer sympathischen Lockerheit meistert sie auch dieses Rollendebüt brillant. In Dumitru Taran (ebenfalls Rollendebüt) hat sie einen ebenbürtigen Partner, der seine Variation souverän zum Besten gibt.

In den statistischen Partien überzeugen Marcin Dempc als Wilfrid, Igor Milos als Herzog von Kurland, Oxana Kiyanenko als besonders elegante Bathilde in prächtig-rotem Kostüm und Franziska Wallner-Hollinek als Giselles Mutter.

Während der 1. Akt souverän und unter Umständen etwas unterkühlt wirken mag, so kann man sich im 2. Akt auf Rebecca Horners Rollendebüt als Myrtha freuen. Oftmals erlebt man die Königin der Wilis mit klassischen Ballerinen, die in erster Linie solide ihre Variationen absolvieren, und dann hübsch ohne Lächeln dastehen und manchmal den Arm halb abweisend bewegen.

Rebecca Horner hingegen, welche primär im modernen Tanz zum Publikumsliebling avancierte, macht auch in ihrer ersten klassischen grossen Rolle eine sehr gute Figur. Ihre Myrtha ist genauso majestätisch und unbarmherzig, wie elegant und schwebend. Schon vom ersten Auftritt an entführt sie das Publikum in eine Geisterwelt und durch ihre eiskalte Unerbittlichkeit spornt sie Nina Polakova darstellerisch umso mehr zur Verzweiflung an – eine kongeniale Interaktion, wobei besonders die hervorragende Armführung (zwischen der geradezu zerbrechlichen Polakova und der energischen Horner) zur Geltung kommt. Als Solo Wilis Moyna und Zulma debütieren lieblich schwebend Rikako Shibamoto und Elena Bottaro.

Offensichtlich gab es in den letzten 6 Jahren doch einiges an personeller Veränderung, zumindest ist „Giselle“ für 80% des Corps de Ballet eine Neuproduktion. Das ändert aber nichts daran, dass das Corps de Ballet sehr harmonisch agiert und die Wilis verdient Szenenapplaus erhalten.

Unter der Leitung von Valery Ovsyanikov spielt das Orchester der Wiener Staatsoper manchmal etwas uneins (gar eine bitonale Stelle), besonders positiv allerdings fällt das Viola-Solo im 2. Akt auf.

Folgevorstellungen: 24., 26., 28.9., 1., 9.10.2017

Katharina Gebauer 23.9.2017

Bilder (c) Staatsballett