Wien: „La fille du régiment“

Wiener Staatsoper, 23.9.2020

Die aktuelle Produktion der „Regimentstochter“ ist seit 2007 im Repertoire und hat seitdem nichts an Charme verloren. Laurent Pelly (Inszenierung und Kostüme) und Chantal Thomas (Bühnenbild) erarbeiteten gemeinsam mit den drei Hauptdarstellern der Premiere, Juan Diego Flórez, Nathalie Dessay und Carlos Álvarez, eine vergnügliche Interpretation des Meisterwerkes von Gaetano Donizetti, die sich selbst nicht immer ganz ernst nahm und eben dadurch für viel Schmunzeln im Publikum sorgte.

Von der Premierenbesetzung war an diesem Abend Carlos Álvarez dabei, der als Sulpice nicht nur in Wien, sondern auch an anderen Häusern für viel Lachen sorgt. Er war an diesem Abend in hervorragender Verfassung, ich denke sogar, dass ich ihn in dieser Rolle noch nie so überzeugend gehört habe.

Meine letzte Begegnung mit der Darstellerin der Titelrolle, Jane Archibald, war am Tag genau vor 11 Jahren, als sie noch, als Ensemblemitglied engagiert, die Aminta in der „Schweigsamen Frau“ spielte. Seither hat sie eine beachtliche internationale Karriere hingelegt. Ihre Stimme ist gewachsen, sie war eine überzeugende Marie (die erste, die auch schauspielerisch an Dessay herankam). Mein Einwand ist der, dass sie (besonders im ersten Akt) ein wenig zum Tremolieren neigt.

Was das Schauspielerische angeht wäre noch zu bemerken, dass offensichtlich sehr genau geprobt wurde – es waren kaum Änderungen im Vergleich zur Premierenserie zu bemerken. Die Inszenierung war ja auf Dessay und Flórez zugeschnitten – Archibald und (besonders) Camarena sind vom Körperlichen nicht mit dem Ursprungspaar zu vergleichen, kamen aber fast an diese heran.

Der „Star“ des Abends war aber sicherlich Javier Camarena, dem das begeisterte Publikum sogar eine Wiederholung von „Ah mes amis“ abgerungen hat. Er hat eine bombensichere Höhe, ein wunderbares Timbre und eine grundsympathische Ausstrahlung. Die technisch viel anspruchsvollere Arie im 2.Akt sang er mit viel Einfühlungsvermögen – eine ganz kleine Unsicherheit sei verziehen. Er ist wahrlich einer der beiden Top-Sänger im Belcanto-Fach. Dass man schon leicht metallische Anklänge in seiner Stimme findet, sei auch bemerkt.

In der Rolle der „Marquise de Berkenfield“ findet Donna Ellen, eine der „Überlebenden“ des Kahlschlages des vorigen Ensembles, ihre aktuell beste Rolle, in der sie die Erfahrung ihrer Karriere ausspielen und -singen kann. Eine hervorragende Diktion und ein akzentfreies Französisch gesellten sich zu einer charmanten und liebenswürdigen Darstellung. Ihr armer Hortensius lag bei einem anderen langjährigen Ensemblemitglied, Marcus Pelz, in bewährten Händen.

Ein besonderes Lob ist auch an den Dirigenten Evelino Pidó auszusprechen – wie kaum ein anderer gelingt es ihm, das Orchester der Wiener Staatsoper dazu zu bewegen, auch in Belcanto-Opern sein Bestes zu geben. Richtigerweise wurde er beim Schlussapplaus auch mit „Bravo“-Rufen bedacht (man soll ja nicht „Bravo“ rufen, aber die Leistung – auch die von Archibald und Camarena, forderten diese Rufe heraus!!!). Der Chor der Wiener Staatsoper, hervorragend einstudiert von Martin Schebesta, ist ebenfalls auf der Habenseite zu verbuchen.

Leider muss aber auch von einem veritablen „Flop“ berichtet werden. Warum man Maria Happel als „Herzogin von Crakentorp“ verpflichtete, das weiß höchstwahrscheinlich nur das Besetzungsbüro. Schon früher waren die Auftritte dieser Herzogin leider immer ein „Showstopper“ im negativen Sinne und unterbrachen den Fluss der Aufführung, auch wenn man da Weltstars wie Kiri Te Kanawa oder Montserrat Caballé im Spätherbst ihrer Karrieren noch einmal auf der Bühne erleben durfte. Aber warum eine Schauspielerin, die sich an einem Chanson von Edith Piaf (Milord) versuchen durfte? Noch dazu mikrofonverstärkt?? Wenn man sich auch ein wenig mit dem Ausdruck einer Piaf oder der am Tag der Vorstellung verstorbenen Juliette Greco beschäftigt hat weiß man, wie viele Lichtjahre in der Qualität der Interpretation von Happel und diesen Legenden liegen. Obwohl das Publikum doch viel Applaus spendete – ich fand dieses Intermezzo störend (war irgendwie wie der Überraschungsgast bei der Sylvester-Fledermaus).

Von dieser Dissonanz aber abgesehen war es ein vergnüglicher Abend auf sehr hohem Niveau. Wer dieses Werk noch nicht gesehen hat oder noch einmal sehen möchte – es steht bis Ende September noch zwei Mal am Programm (und es sollte kein Problem sein zumindest einen Stehplatz zu bekommen – gestern befanden sich gezählte 15 Stehplatzbesucher auf der Galerie…)

Kurt Vlach, 26.9.2020