Wien: „Salome“

Wiener Staatsoper, 6.10.2020

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich dieses Musikdrama derartig packend und immer vorwärtsstrebend musiziert gehört habe wie an diesem Abend. Alexander Soddy setzte immer wieder ganz klare Akzente und das Orchester der Wiener Staatsoper folgte ihm willig. Die Umsetzung aus dem Orchestergraben ließ keine Wünsche übrig und riss das Publikum mit. Besonders beeindruckend (da sich das Reinklatschen in die letzten Takte eines Werkes leider immer mehr breit macht) war die Tatsache, dass nach dem letzten Akkord der Oper einmal einige Sekunden totale Still herrschte, ehe mit „Bravo“-Rufen durchgemischt der Applaus einsetzte.

Der große Erfolg des Abends war sicherlich zu 80% dem Dirigenten und dem Orchester zu verdanken, allerdings waren auch die Gesangsleistungen (mit ein paar Einschränkungen) durchaus zufriedenstellend.

Eine kleine Enttäuschung war der Auftritt von Carlos Osuna als Narraboth, dem es einfach an Durchschlagskraft fehlte (obwohl Soddy sehr sängerfreundlich dirigierte) und auch schauspielerisch nicht überzeugte. Margaret Plummer konnte als Page den Selbstmord desselben nicht verhindern, fiel aber positiv – sowohl schauspielerisch als auch vom Gesang her – auf.

Die meines Erachtens nach beste sängerische Gesamtleistung erbrachte Tomasz Konieczny in der Rolle des Jochanaan. Mit donnernder Stimme und wunderbar wortdeutlich konnte er sich gegen die Orchesterwogen durchsetzen. Sein Timbre ist nicht jedermanns Sache – was ja kein Geheimnis ist, allerdings kann ich mich nicht erinnern, dass an der Staatsoper ein Sänger in dieser Rolle derartig beeindruckend war. Leichte Defizite waren allerdings erkennbar, als er seine Stimme zurücknahm.

Vincent Wolfsteiner erhielt – zu Recht – bei seinem Solovorhang viel Zuspruch. Es ist interessant in der Rolle des Herodes nicht immer nur Charaktertenöre zu hören, sondern an und ab auch jemanden, der als Heldentenor tätig ist beziehungsweise war. Während in dieser, schon klassischen Inszenierung von Boleslaw Barlog und dem Bühnenbild von Jürgen Rose die meisten Protagonisten die Rolle eher statisch anlegen und sich kaum bewegen, war Wolfsteiner ein extrem agiler Tetrarch, was die Dynamik des Gesehenen unterstützte. Seine Gemahlin Herodias wurde von Marina Prudenskaya dargestellt, die erstmals in Wien auftritt. Auch sie gehörte zu den Positiva des Abends. Die Proben für diese Serie dürften sehr intensiv ausgefallen sein, da ich bei der Personenführung der Herodias viele Kleinigkeiten entdeckte, die bei den letzten Serien nicht zu sehen war. Prudenskaya hat eine technisch sehr sauber geführte Stimme – interessant auch, dass sie immer wieder zu stimmlichen Ausbrüchen neigte, die ich mehr im Verismo verorten würde, allerdings perfekt zu dieser Oper passten.

Diese Oper kann auch zeigen, wie es um das männliche Ensemble bestellt ist – es gibt insgesamt elf kleinere Rollen, die besetzt werden müssen – und anscheinende ist es die Politik der neuen Direktion, auch ein wirklich kleinen Rollen aktuell erfolgreiche Ensemblemitglieder einzusetzen (im Gegensatz von früheren Besetzungen, wo oftmals „verdiente“ Mitglieder des Ensembles zu hören waren). In einer Woche vom „Belcore“ zum „Zweiten Soldaten“ – so schnell kann es gehen! Clemens Unterreiner hatte naturgemäß damit kein Problem! Einen sehr guten Auftritt hatte Wolfgang Bankl, der als „Erster Soldat“ beeindruckte. Als 1.Jude blieb mir Thomas Ebenstein und als 5.Jude Evgeny Solodovnikov positiv im Gedächtnis haften. Alle anderen Darsteller seien an dieser Stelle pauschal gelobt.

Last but not least zur Titelfigur – Vida Mikneviciuté. Die Litauerin, ebenfalls eine Debütantin an der Staatsoper hat eine schöne Mittellage. Bei den tieferen Tönen fehlt es noch an Durchschlagskraft und in der Höhe neigt sie schon dazu, die Stimmer unstet erscheinen zu lassen. Figürlich ist sie eine Idealbesetzung für die Rolle (obwohl ich natürlich annehme, dass die historische Salome nicht der Typ der kühlen Blonden war). Der „Tanz der sieben Schleier“ war insgesamt unspektakulär (obwohl da durchaus gut gelungene Interaktionen zwischen Salome und Herodes zu sehen waren) und ist für die Zukunft ausbaufähig. Allerdings wurde das durch die Klänge aus dem Orchestergraben mehr als wettgemacht.

Es war die dritte Vorstellung in dieser Saison, der ich beiwohnte – und ich war jedes Mal sehr, sehr angetan vom Niveau. Ich hoffe, dass dieses (obwohl natürlich noch Luft nach oben ist) zumindest gehalten werden kann.

Kurt Vlach, 8.10.2020

Bilder (c) Pöhn