Wuppertal: „Evita“

Besuchte Wuppertaler Premiere am 05.10.13

Popikonendrama

Schon eine Woche nach der gefeierten "Fledermaus" warteten die Wuppertaler Bühnen mit der nächsten Premiere auf: Andrew Lloyd Webbers "Evita" war zwar schon Ende letzter Spielzeit in Solingen und Remscheid gezeigt worden, doch fand erst jetzt den Weg an die Schwebebahn. Es gibt Stücke , die muß ein Kritiker nicht liebhaben, was zugegebenerweise für Webbers "Evita" auf mich zutrifft, denn ich halte dieses "One-Hit-Wonder", trotz seines zugegeben sehr schönen Hits "Don´t cry for me Argentina", maßlos überschätzt. Dieser Schlager wird dann in fast der Hälfte der Musik motivisch eingewebt, den Rest halte ich für Kunstgewerbe. Dramaturgisch befriedigt mich das Musical auch nicht: die Lebensstationen der schillernden Gestalt von Evita Peron werden zwar abgegangen, doch die pseudokritischen Kommentare der Figur des Che Guevara gerieren eine Kritik, die irgendwie nicht zustande kommt, man wartet auf eine Art Moral oder Aha-Erlebnis, das keine erlösung findet. Wie gesagt, eine persönliche Meinung zu diesem Werk, das doch vielen Menschen trotzdem Freude bereitet.

Wenn man es also auffführt, dann bitteschön auch so gekonnt, wie in Wuppertal: Aurelia Eggers muß sich als Regisseurin ganz eng an die Originalproduktion von Harold Prince halten, das wird in der Vergabe der Aufführungsrechte vom Verlag verlangt, trotzdem gelingt eine sehr feine, irgendwie persönliche Inszenierung. Jürgen Lier baut ihr dazu einen Kinosaal der Mitte letzten Jahrhunderts im Blau der argentinischen Flagge und warmen Brauntönen, Veronika Lindner steuert die passenden historischen Kostüme der Zeit und natürlich die schönen Roben der Polit-Diva dazu bei. Schnell werden die Lebensstationen durch Veränderungen der Bühne und Henning Priemers atmosphärische Beleuchtung durchgeführt. Die Figuren werden menschlich an uns herangeholt und der großartige Wuppertaler Opernchor ohne spezielle Musicalausbildung singt, spielt und tanzt die Massenszenen einfach hinreißend. Die Choreographie schöpft mit relativ einfachen Mitteln die optimale Wirkung aus, es ist Eggers erste Choreographie, die sie mit Hilfe Dona Piedras und Stefan Brauers erarbeitet hat, sehr gelungen!

Die Aufführung steht und fällt natürlich mit der Besetzung der Titelpartie: Banu Böke hatte vor einer Woche als Rosalinde in der "Fledermaus" begeistert, jetzt haben wir fast eine andere Sängerin vor uns. Denn mit Mikroport verstärkter Musicalgesang fordert eine ganz andere Gesangstechnik als "normaler", klassischer Gesang. Die Sopranistin erledigt das mit einer Natürlichkeit, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht. Dazu kommt das Erlebnis einer unheimlig starken Darstellerin, die den Lebensweg des einfachen Frau aus dem Volk in die Höhen des Starkults mit vielen Facetten ausfüllt, seien es die sympathischen oder auch nicht so netten Wesenszüge einer solchen Persönlichkeit. Banu Böke bewegt sich realistisch, gleitet ohne Übergang in getanzte Anmut und schafft es die gesundheitliche Tragödie ohne Rührseligkeit doch auch zu Herzen gehend bis zum Schluss zu spielen.

Mit Patrick Stanke als Che steht der einzige, eingekaufte Musical-Spezialist auf der Bühne, er hat seinen Erfolg nicht nur, weil ein Wuppertaler Gewächs ist, sondern mit seiner sicheren Ausstrahlung, der hellen Tenor(?)-stimme mit schönem, dem Genre angemessenen Klang. Eggers entlarvt die "Che Guevara" genannte Rolle, indem sie Stanke nicht als historisch zottelbärtigen Revoluzzer auf die Bühne schickt, sondern ihn einen smarten "All American Boy" sein läßt. Olaf Haye schlägt sich als Peròn mit der musikalisch heiklen, zwischen Bariton und Tenor changierenden Tessitur mehr als wacker, vor allem gelingt es ihm, aus der oft etwas nebensächlich wirkenden Rolle, eine echte Hauptpartie zu gestalten. Boris Leisenheimer singt mit passenden Schmalz den Tango-Tenor Augustin Magaldi. Annika Boos wird als Gegenspielerin um Peròns Gunst gnadenlos schnell ausgeschaltet, gefällt aber in ihrer Solonummer ungemein. Den Chor hatte ich schon erwähnt, doch noch nicht, das die Chorsolisten die vielen kleinen Rollen so wundervoll zu gestalten wußten. Der Extra- und der Kinderchor sind natürlich auch noch mit bei der Partie und unterstützen die Bühnengeschehnisse bestens, dazu kommen noch einige TänzerInnen des Estudio de Tango Wuppertal.

Tobias Deutschmann am Pult des Sinfonieorchesters Wuppertal mit seinen Gästen sorgt für den richtigen Schwung und Swing, den diese Art Musiktheater braucht. Auch die Tonverstärkung klappt hervorragend und läßt Gesang und Dialog natürlich herüberkommen, keine Selbstverständlichkeit an den deutschen Theater. Also: Wenn schon "Evita", dann bitte auch so ! Deswegen langer Premierenjubel und wieder stehende Ovationen, die auch absolut verdient waren.

Martin Freitag

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