Frankfurt: „I Puritani“, Vincenzo Bellini

Bericht von der Premiere am 2. Dezember 2018

Gepflegte Langeweile beim Belcantofest

Das Libretto von Bellinis letzter Oper I puritani ist ein Muster zur Beglaubigung von Klischees, wonach Opernhandlungen so verworren wie unlogisch sind und haarsträubende Handlungsverläufe bieten, letztlich aber ohnehin nur dazu dienen, den Sängern einen Anlaß zur Präsentation von vokalen Kunststückchen zu verschaffen. Das Produktionsteam hat sich in Frankfurt dazu entschieden, sich davon elegant zu distanzieren, in dem es den vielfach bewährten Kniff des Theaters im Theater anwendet. Zitat aus dem Programmheft: „Paris 1835. Trauerfeier von Vincenzo Bellini. … Man erinnert sich des skandalumwitterten Komponisten im Rahmen eines Balls der Schwarzen Romantik nach Motiven seiner letzten Oper I puritani. Die Gesellschaft erlebt und erleidet die Extremsituationen einer Liebesgeschichte, welche sich im englischen Bürgerkrieg um 1650 über die beiden feindlichen Lager hinweg abspielt.“

Dazu hat man das Ganze in ein ausgebranntes, schwarz verrußtes Theater verlegt und die Darsteller in Kostüme des 19. Jahrhunderts gesteckt. Und weil Johannes Leiacker das Bühnenbild und Christian Lacroix die Kostüme entworfen haben, sieht das fabelhaft aus. Das aber, was Regisseur Vincent Boussard damit veranstaltet, ist phasenweise von einer konzertanten Aufführung nicht weit entfernt. Insbesondere der sehr präsente Chor wird einfach in den Rängen der Theaterruine aufgereiht und bleibt da eben stehen. Unten im Erdgeschoß können Allerweltsgesten den Eindruck von Statik kaum zerstreuen. Wenn das Bühnenbild nicht die Möglichkeit geboten hätte, immer wieder einzelne Darsteller über Leitern in den ersten Rang des ausgebrannten Theaters klettern zu lassen (und wieder zurück), hätte es über weite Strecken gar keine erwähnenswerten Aktionen gegeben. Die zu den Vor- und Zwischenspielen auf einen Gazevorhang projizierten Videofilmchen (Isabel Robson) sind hübsch anzusehen, aber nichtssagend.

Je länger der Abend im dreieinhalb Stunden lang unveränderten Einheitsbühnenbild dauert, umso zäher wirkt das. Das Regieteam holt sich am Ende dafür einige wohlverdiente, saftige Buhrufe ab.

Das Publikum tut, was ein Publikum immer tut, wenn es sich langweilt: Es horcht in sich hinein und entdeckt einen unwiderstehlichen Hustenreiz. Hat der erste dem Kitzeln im Hals nachgegeben, dann gibt es für die anderen kein Halten mehr. Und so bollert, krächzt, rasselt und röchelt es unaufhörlich von allen Seiten, bis der Schleim von der letzten Bronchie sorgfältig und lautstark abgehustet ist, um dann wieder von vorne zu beginnen. Das ist sehr ärgerlich, denn musikalisch ist es ein großartiger Abend.

Schon bei der Ouvertüre kann man ins Schwärmen geraten über die wunderbar weich und samtig intonierenden Hörner, die hier so oft und exponiert zum Einsatz kommen, als wär’s eine Oper der deutschen Romantik. Locker und duftig setzen dann die Streicher ein, die Holzbläser mischen delikate Farben bei. Tito Ceccherini knüpft mit dem gut aufgelegten Opernorchester an dessen herausragende Leistung in Norma zum Ende der vergangenen Spielzeit an. Es ist ein eleganter, aber beseelter Klang, der aus dem Orchestergraben strömt, mit einer Fülle an Dynamikabstufungen vom zartesten Pianissimo bis zu knallenden Aktschlüssen und mit nie nachlassender Intensität. Der stark geforderte Chor spiegelt dies im Vokalen mit Lockerheit, Präzision und genau ausgehorchter Fülle. So stellen die beiden Kollektive die eigentlichen Kulissen bereit, die akustischen nämlich, vor welchen sich ein wahres Sängerfest entfalten kann.

Brenda Rae (Elvira), Thomas Faulkner (Lord Gualtiero Valton), Michael Porter (Sir Bruno Roberton; mit dem Rücken zum Betrachter) und John Osborn (Lord Arturo Talbo) sowie oben Chor der Oper Frankfurt

Man muß beim schwärmerischen Lob für die außerordentlich starke Besetzung dieses Mal mit den tiefen Stimmen beginnen, denn Bellini hat ihnen wichtige Aufgaben und weit auslandende Arien und Duette zugedacht. Hier präsentiert die Oper Frankfurt die Stars aus der jungen Truppe, die Intendant Loebe in den letzten Jahren an sein Haus gebunden und systematisch aufgebaut hat. So kann man Iurii Samoilov erleben, wie er mit seinem saftigen Bariton die mitunter exponierten Höhen des Riccardo Forth so sicher und leuchtend bewältigt, wie es auch ein Tenor nicht besser hinbekäme. Kihwan Sim löst in der Rolle des Sir Giorgio das Versprechen ein, welches er als fieser Bürgermeister in Rossinis La gazza ladra und als Gottardo in La Sonnambula vor vier Jahren gegeben hatte. Schon damals präsentierte er einen schlanken, aber dunkel und voll tönenden Baßbariton mit großer Beweglichkeit. Inzwischen hat seine Stimme weiter an Fülle gewonnen, ohne ihre Eleganz zu verlieren. Das große und ausgedehnte Duett der beiden ist einer der musikalischen Höhepunkte des Abends.

Kihwan Sim mit Brenda Rae

Neben diesen beiden jugendlich-virilen Prachtstimmen wirkt zumindest im ersten Teil vor der Pause der international hoch gehandelte Tenor John Osborn als Lord Arturo Talbo wie ein Fremdkörper. Bellini hat seine Partie in zum Teil schwindelnder Höhe angelegt, so daß Osborn über weite Strecken zu starkem Gebrauch der Kopfstimme gezwungen ist. Er macht das technisch tadellos und verblendet die Register recht geschickt. Sein Tenor klingt dabei aber gerade in der exponierten oberen Lage mitunter wie ein Countertenor, der versucht, wie ein Tenor zu klingen. Das erzeugt ein etwas androgynes Timbre, an das man sich gewöhnen muß. Im zweiten Teil nach der Pause wirkt seine Stimme entspannter und sonorer, von wenigen schneidend grellen Spitzentönen abgesehen.

Eine Klasse für sich ist das ehemalige Ensemblemitglied Brenda Rae in der weiblichen Hauptrolle der Elvira. Sie befindet sich derzeit auf dem Gipfelpunkt ihrer enormen vokalen Möglichkeiten. Das konnte man vor wenigen Wochen bereits bei ihrer atemberaubenden Violetta in Verdis La Traviata erkennen (s. u.). Erneut bewältigt sie die ausufernden Koloraturen und Verzierungen ihrer Partie nicht nur technisch in staunenswerter Perfektion, sondern präsentiert sie als Mittel der Gestaltung. Selten erlebt man diese Virtuosennummern so beseelt, so mit Bedeutung und Sinn erfüllt. Vor Staunen und vor Verzückung vergißt man das dämliche Libretto, die Längen der unglaubhaften Handlung und die edle Langeweile der Inszenierung.

Brenda Rae als Elvira

Die Nebenrollen sind allesamt aus dem Stammensemble vorzüglich besetzt, mit dem sonoren Baß Thomas Faulkner als Lord Gualtiero Valton, dem eleganten Tenor Michael Porter als Sir Bruno Roberton und der warmstimmigen Mezzosopranistin Bianca Andrew als Enrichetta di Francia.

Womöglich hätte auch ein ambitionierterer Regieansatz dieses mißglückte Libretto mit seiner ungeschickten Dramaturgie nicht retten können. Die außerordentliche musikalische Qualität der Produktion entschädigt aber für manchen szenischen Leerlauf.

Michael Demel, 5. Dezember 2018

Bilder (c) Barbara Aumüller