Hamburg: „Norma“

Premiere am 08.03.2020

Triumph zweier Sängerinnen

Mit dieser Norma ist Hamburg musikalisch ein großer Wurf gelungen, der zu Recht größte Begeisterung bei der Premiere auslöste. Die Neuinszenierung markiert gleichzeitig den Beginn der „Italienischen Opernwochen“, in deren Verlauf u. a. noch Aufführungen von „Otello“, „Simon Boccanegra“, „Tosca“ und „Falstaff“ auf dem Programm stehen.

Marina Rebeka als Norma, Diana Haller als Adalgisa und Matteo Beltrami am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters machten den Abend zu einem Ereignis. Marina Rebeka kann vom ersten bis zum letzten Ton uneingeschränkt überzeugen. Sie meistert die hohen Anforderungen der Partie mit Bravour und gestaltet ihren Part ganz aus dem Geist des Belcanto. Stimmschönheit und Ausdruck halten sich dabei ideal die Waage. „Casta Diva“ singt sie mit Ruhe und Klarheit – vielleicht nicht ganz so schwebend, wie man es schon sonst gehört hat, aber auf ihre Art durchaus berückend. Insgesamt zeichnet sie ein Porträt voller Emotion, Autorität, Rachsucht und Verzicht. Das kann sie darstellerisch und stimmlich mit beklemmender Intensität umsetzen. An ihrer Seite ist Diana Haller eine kongeniale Partnerin. Ihr Debüt in Hamburg hätte nicht eindrucksvoller ausfallen können. Sie gibt die Adalgisa sehr fraulich und voller Empathie. Ihr schlanker und weich timbrierter Mezzo harmoniert bestens mit der Stimme von Marina Rebeka.

Die großen Duette von Norma und Adalgisa erklingen hier in perfektem Einklang und bescheren Belcanto-Wonnen allererster Güte. Den römischen Feldherrn Pollione singt Marcelo Puente mit robustem und kraftvollem Tenor. Seine leidenschaftliche Gestaltung ist bemerkenswert, auch wenn sein etwas sprödes Timbre gewöhnungsbedürftig ist. Mit Kraft und Volumen gibt Liang Li Normas Vater Orovesco. Gabriele Rossmanith und Dongwon Kang ergänzen als Clotilde und Flavio das Ensemble.

Matteo Beltrami und das Philharmonische Staatsorchester setzen Bellinis herrliche Musik fernab jeder Routine um. Da wird nicht nur einfach im Belcanto geschwelgt, sondern mit fein austarierten Tempi, dramatischem Impetus und subtilen Klangdifferenzierungen auf höchstem Niveau gestaltet. Gleiches gilt für den von Eberhard Friedrich einmal mehr bestens vorbereiteten, klangmächtig auftrumpfenden Chor.

Die letzte szenische Aufführung von Norma führt in das Jahr 1921. Damals sang Frida Leider die Titelpartie. Die Aufführungen in der Jahren 1978 und 2007 waren konzertant. Und so hätte man es jetzt auch halten sollen. Denn die Regie von Yona Kim kann kaum überzeugen. Die Bühne von Christian Schmidt zeigt abwechselnd einen grauen Wellblech-Container als Wohnung Normas (mit Keller als Versteck für ihre Kinder) und die Andeutung eines finsteren Waldes. Durch Zwischenvorhänge wird ständig (und oft unmotiviert) zwischen diesen Schauplätzen gewechselt. Die Momente, in denen Kims Personenführung spannend und stimmig wird, sind an einer Hand abzuzählen. Denn oft stehen oder sitzen die Protagonisten statisch nebeneinander, was einer konzertanten Aufführung schon nahe kommt.

Das gilt auch für den Chor, der oft einfach nur herumsteht. Und wenn die Gallier dann mit ihrem Kriegswillen ernst machen, wirkt es wie ein Tiroler Volkssturm. Dazu kommen merkwürdige Rituale wie das Heranzüchten neuer, jungfräulicher Göttinnen und Selbstverstümmelungen. Und ständig wird mit einem Benzinkanister oder kleinen Hackebeilchen hantiert. Das Ergebnis: Massive Buhrufe für die Regie und großer Jubel für die musikalische Seite.

Wolfgang Denker, 09.03.2020

Fotos von Hans Jörg Michel