Besuchte Aufführung: 21. 9. 2014 (Premiere: 19. 7. 2014) im Zirkus Krone
Fulminantes Zirkus-Operetten-Gemisch
Es war ein großer Wunsch von Emmerich Kalman, seine Operette „Die Zirkusprinzessin“ einmal in einem Zirkus aufgeführt zu sehen. Jetzt ist sein Wunsch posthum in Erfüllung gegangen: Der berühmte Münchner Circus Krone diente dem z. Z. wegen der Renovierung seines Stammhauses auf Ausweichspielstätten angewiesenen Gärtnerplatztheater als passendes Ambiente für seine bereits im Juli aus der Taufe gehobene Neuproduktion von Kalmans Operette. Im Jahre 1926 in Wien sehr erfolgreich uraufgeführt, konnte sie sich auf den Spielplänen der Theater nicht gut behaupten. Es mag an dem übermäßigen Erfolg der „Csardasfürstin“ und der ebenfalls begeisterten Aufnahme der „Gräfin Mariza“ durch das Publikum gelegen haben, dass die „Zirkusprinzessin“ sich bisher auf den Bühnen nicht durchsetzen konnte. Ein weiterer Grund dafür liegt sicher in der fragwürdigen Dramaturgie des Stückes begründet. Allzu vordergründig bedienen sich Kalman und seine beiden Librettisten Julius Brammer und Alfred Grünwald bei anderen Werken des Genres. Man nehme einen gehörigen Schuss „Lustige Witwe“, eine leichte Prise „Gräfin Mariza“ und als Hauptzutat den „Bettelstudenten“, rühre das Ganze einige Male tüchtig um und verlege es in die Manege. Als Ergebnis kommt dann die „Zirkusprinzessin“ heraus – nicht gerade originell dieses Verfahren. Indes war die Aufführung des Staatstheaters am Gärtnerplatz in hohem Maße geeignet, das Werk zu rehabilitieren.
Daniel Prohaska (Mr. X), Alexandra Reinprecht (Fürstin Fedora)
Szenisch war es ein sehr gelungener Abend. Der regieführende Staatsintendant Josef E. Köpplinger, von dem auch die neue Textfassung stammte, zeigte sich ganz in seinem Element und wartete mit einer derart ausgelassenen und regelrecht funkensprühenden Inszenierung auf, dass der Abend wie im Fluge verging. Er und sein Bühnenbildner Rainer Snell wussten die äußeren Gegebenheiten des Circus Krone optimal zu nutzen und dabei ein gelungenes Gemisch aus Operettenseligkeit und heiterem Zirkustreiben zu erzeugen. Dabei bezog der Regisseur in Brecht’scher Manier gekonnt auch den Zuschauerraum in seine Deutung mit ein. Noch vor dem eigentlichen Beginn des Stückes ließ er eine vom Ballett verkörperte Clownsmannschaft sich zwischen und in den Besucherreihen austoben. Da gab es bereits im Vorfeld einige köstliche, manchmal aber auch bewusst missglückt anmutende Einlagen. Die Spaßmacher sind auch im Folgenden sehr präsent. Nachdem während der Ouvertüre aus einer geöffneten Zirkuskiste ein roter Luftballon in Herzform – ein Symbol für die Liebe – emporgestiegen ist, der dann über der Szene schweben bleibt, geht es erst so richtig los. Praktisch den ganzen Abend über fegen die weiblichen und männlichen, von Marie-Luise Walek prächtig eingekleideten Clowns in den fulminanten Choreographien von Karl Alfred Schreiner durch den Raum und bieten so manche ausgesprochen heitere Einlage. Manchmal sitzen sie aber auch am Rand der Manege und beobachten still das Geschehen zwischen den Handlungsträgern. An solchen Stellen weist Köpplinger ihnen gleichsam die Funktion eines antiken griechischen Chores zu, dessen Aufgabe in erster Linie im Kommentieren der Handlung bestand. Und immer wieder kommt es auch zu akrobatischen Kunststücken. Nichts weniger als in höchstem Maße atemberaubend ist beispielsweise das akrobatische Bravourstück, das die beiden Artistinnen Stina Kopra und Lotta Paavilainen während der Umbaupause zum dritten Akt vorführen. Und auch die Jongleur-Einlagen von Thomas Dietz sind bewundernswert. Diese Operettenproduktion ist schon eine halbe Zirkusvorstellung, die aufgrund ihrer Fetzigkeit und munteren Ausgelassenheit noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Ensemble, Ballett, Chor
Köpplinger nimmt sich aber auch der verschiedenen Personen mit großer Liebe an. Er führt sie sehr ausgefeilt, locker und abwechslungsreich. Leerläufe traten an keiner Stelle auf, alles wirkte wie aus einem Guss. Dabei gelang dem Regisseur eine gelungene Gratwanderung zwischen heiteren und sentimentalen Momenten, die er gekonnt zu einem Ausgleich führte. Im Lauf des gelungenen Abends wandelt sich das von roten, blauen und gelben Lichterketten beleuchtete Manegenrund zu einer Eisfläche, auf der die Handlungsträger in eleganten Schlitten hereingefahren werden. Es wird Schlittschuh gelaufen, auch mal ausgerutscht. Ein Schneemann tritt ebenfalls auf. Zahlreiche vergnügliche Einzelheiten und eine liebevolle Detailarbeit fügen sich mit den hervorragenden darstellerischen Leistungen zu einem beeindruckenden Ganzen zusammen. Das Ensemble geht mit ungeheurer Spiellust ans Werk und setzt die Anweisungen des Regisseurs temporeich und energiegeladen um.
Daniel Prohaska (Mr. X), Alexandra Reinprecht (Fürstin Fedora)
Die Titelfigur Fürstin Fedora Palinska entspricht ganz dem Vorstellungsbild einer eleganten Operettendiva. Mr. X erscheint in der Gewandung Zorros. Viel herzliche Komik verströmt das Buffopaar Toni Schlumberger und Mabel Gibson. Es spricht für Köpplinger, dass er neben den Hauptpersonen auch den Nebenrollen viel Aufmerksamkeit schenkt. Das merkt man insbesondere im dritten Akt, in dem Wien durch den Stephans-Dom und das Riesenrad symbolisiert wird. Die Szene zwischen der Hotelbesitzerin Carla Schlumberger und dem alten Oberkellner Pelikan, der sich als der wahre Vater Tonis erweist, gerät zu einem echten Kabinettstückchen. Herzlich angenommen hat sich der Regisseur auch dem alten Zirkusdirektor Stanislawski und seiner Frau Wanja. Ihm sind alle Figuren gleichwertig. Nicht zuletzt diesem Aspekt dürfte es zu verdanken sein, dass an diesem Abend im Circus Krone eine sehr gute Atmosphäre herrschte.
Nadine Zeintl (Mabel Gibson), Otto Jaus (Toni Schlumberger)
Von den Darstellern ist an erster Stelle Alexandra Reinprecht zu nennen, die man noch aus Stuttgart in guter Erinnerung hat. Sie erwies sich als Idealbesetzung für die Fürstin Fedora. Sowohl von ihrem intensiven, aufgedrehten Spiel als auch von ihrer beeindruckenden gesanglichen Leistung her – sie verfügt über einen gut fokussierten, vollen Sopran mit ansprechender Höhe – vermochte sie trefflich zu überzeugen. Neben ihr fiel Daniel Prohaska in der Rolle des Mr. X ab. In der Mittellage klang sein Tenor recht deklamatorisch. Erst zur Höhe hin blühte die Stimme auf und ließ insbesondere bei seinem durchaus ansprechend gesungenen C-Dur-Lied „Zwei Märchenaugen“ – bei dessen c-Moll-Einleitung „Wieder hinaus ins strahlende Licht“ erweist er sich als Bruder im Geiste von Leoncavallos Canio – auch einige im Körper verankerte Töne hören, was insgesamt aber nicht so oft der Fall war. Sehr dünnstimmig präsentierte sich Otto Jaus in der Rolle des Toni Schlumberger. Schauspielerisch liefen er und die mit solide fokussiertem, dunkel timbriertem Sopran singende Nadine Zeintl als Mabel Gibson zu ganz großer Form auf. Das waren schon zwei enorme Energiebündel, die da über die Bühne fegten und mit liebenswerter Komik die Herzen des Publikums im Sturm eroberten. Der Schauspieler Erwin Windegger, an dessen Cervantes/Don Quichotte man sich noch gerne erinnert, gab einen knorrigen, nicht gerade sympathischen Prinzen Sergius Wladimir. Als dessen Adjutant Baron Peter Brusowsky mit Mooshammer-Schosshündchen war Frank Berg zu erleben. Bei der resoluten Carla Schlumberger von Sigrid Hauser, die musicalmäßig sang, wurden Erinnerungen an ihre Weißes-Rössl-Wirtin wach. An ihrer Seite mimte der Wiener Volksoperndirektor Robert Meyer einen liebenswerten, ein wenig Hans Moser nachempfundenen Pelikan. Franz Wyzner gab mit Schauspielstimme einen darstellerisch sehr präsenten Zirkusdirektor Stanislawski, dem die schauspielerisch ebenfalls ansprechende Gisela Ehrensperger als seine Ehefrau Wanja rein stimmlich überlegen war. In dem jungen Alexander Wertmann hatte der Piccolo einen guten Vertreter. Simon Heinle gab ordentlich den Rittmeister Graf Saskusin. Als Leutnant von Petrowitsch war Matthias Schlüter zu erleben. Fritz Graas (Frantischek, Portier), Jan Alexander Naujoks (Fedja, Billeteur/Kellner) und Ulrike Dostal (Mascha) rundeten das Ensemble ab.
Daniel Prohaska (Mr. X), Alexandra Reinprecht (Fürstin Fedora), Ballett
Karsten Januschke am Pult animierte das im Hintergrund positionierte Orchester zu einem stets präsenten, differenzierten, gleichermaßen spritzigen wie auch emotional aufgeladenen Spiel. Alle Musiker kamen mit den durch ihre ungewöhnliche Platzierung bedingten Schwierigkeiten bestens zurecht.
Fazit: Eine in szenischer Hinsicht sehr empfehlenswerte Aufführung, die durchaus geeignet ist, Kalmans Operette zu rehabilitieren. Wie die Inszenierung an der koproduzierenden Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf ausfällt, bleibt abzuwarten.
Ludwig Steinbach, 24. 9. 2014
Die Bilder stammen von Thomas Dashuber