Vorstellung am 28.06.2019
Hauptsache klassisch
Mit der vorletzten Nurejew Gala in der Ära Legris wurde diesmal ein klassisch-dominiertes Programm an Highlights der Ballettwelt dargeboten – verglichen mit den vergangenen zwei Nurejew Galas 2017 und 2018 eher wenig moderne Werke, was den Facettenreichtum des Wiener Staatsballetts noch mehr hervorgehoben hätte.
Eröffnet wird die Gala mit dem Delirienwalzer von Roland Petit und einer kurzen Videoeinlage (über den ganzen Abend sehr erquickend für die Zuschauer zusammengeschnitten von Delbeau Film) zum 150-jährigen Jubiläum der Wiener Staatsoper. Mit Esprit und Brillanz tanzen die bezaubernde Natascha Mair und ihr kongenialer Partner Davide Dato, die den ganzen Abend über ordentlich im Einsatz sind.
Kurzweilig ist auch der folgende Jockey Tanz von August Bournonville, von Solotänzer Dumitru Taran (sehr souverän) und Arne Vandervelde, welcher kurzfristig für den ursprünglich angekündigten Richard Szabo übernahm.
Temperamentvoll ging es anschliessend mit Fanny Elsslers Cachucha weiter, Ketevan Papava, die nicht nur hervorragend tanzt, sondern auch Kastagnetten spielen kann, zeigt sich einmal nicht von der dramatischen Seite.
Eine anspruchsvolle Choreographie nach Marius Petipa folgte mit dem Esmeralda-Pas de deux. Liudmila Konovalova setzt ganz auf ihre technische Perfektion, während ihr Partner, Gastsolist Young Gyu Choi (Principal Dancer beim Dutch National Ballet) die Sprünge geradezu aus dem Ärmel schüttelt und auch in den Hebefiguren mehr als nur ein sicherer Partner ist. Definitiv eine gute Entscheidung, ihn einzuladen.
Das folgende Stück Luminous, eine sehr ästhetische, musikalische Choreographie von Andras Lukacs, dürfte einige im Publikum zum Weinen gebracht haben, war es doch der Abschied von der lieblichen Solotänzerin Nina Tonoli, die das Wiener Staatsballett mit Ende der Spielzeit verlässt. Tonoli, welche in ihren ersten Wiener Jahren vor allem in den mädchenhaften Partien (Fille mal gardée, Nussknacker) glänzte, hat an lyrischem Ausdruck gewonnen, wäre nicht die einjährige Verletzungspause gewesen, hätte man sie noch als Myrtha und Solveig erleben können. Das Publikum in Amsterdam kann sich auf eine hochkarätige Solistin freuen. Mit Jakob Feyerlik wurde der Pas de deux auf jeden Fall zu einem der schönsten Momente des Abends.
Romantisch ging es mit einem Pas de deux aus Rudolf Nurejews „Romeo und Julia“ weiter, Ioanna Avraam und Robert Gabdullin hätten nach dieser Leistung wahrhaftig mehr Applaus verdient, haben beide doch sowohl darstellerisch als auch technisch einiges zu bieten. Es mag vielleicht auch an der Choreographie liegen, die nicht immer mit der Musik harmoniert (z.B. Sprünge für die Tänzer bei grossen Legatophrasen im Orchester) und das Publikum mitunter überfordern kann – von den verschiedenen Choreographien ist wohl doch John Crankos Version von „Romeo und Julia“ eine der beliebtesten, da sie die Gefühle, in der es zu Beginn des 3. Aktes geht, besonders überzeugend vermittelt.
Mehr choreographische Klarheit gab es im folgenden Pas de deux „Trois Gnossiennes“ von Hans van Manen, erstmals getanzt von Olga Esina und Roman Lazik. Esina ist in Schlichtheit und Eleganz eine Ballerina von ganz grosser Klasse, Lazik ein Danseur noble, wie man ihn heutzutage nur noch selten findet. Wie auch bei der Premiere im April spielt Laurene Lisovich die Musik von Erik Satie mit einer unbeirrten Ruhe, wenn drei Tänzer im Hintergrund das Klavier über die Bühne schieben.
Zum Schluss des 1. Teils gab es dann das Finale aus Coppélia, erfrischend getanzt von den Wiener Jungstars Natascha Mair und Jakob Feyferlik, sowie in kleinen Soli besonders brillant Scott McKenzie und Arne Vandervelde, und das Corps de Ballet kam endlich auch zum Zug.
Den 2. Teil eröffnete der junge Corps Tänzer Navrin Turnbull, seit 1 Jahr im Wiener Staatsballett, der bereits in diversen kleinen Solopartien auf sich aufmerksam machte. Das Solo des Dornröschen-Prinzen in der Choreographie von Rudolf Nurejew beinhaltet viele technische Raffinessen, denen Turnbull mit eleganter Linie und sauberer Fussarbeit voll und ganz gerecht wird – die Beförderung zum Halbsolisten in so kurzer Zeit hat er absolut verdient!
Einen weiteren Nurejew-Ausschnitt gab es mit dem Pas de deux aus dem 3. Akt „Schwanensee“ mit Kioyka Hashimoto und Leonardo Basilio. Hashimoto absolviert die italienischen Fouettés zum Ende ihrer Variation mit einem lieblichen Lächeln – als weisser Schwan dürfte sie bezaubernd sein, für den schwarzen Schwan wünscht man sich trotz Sommerhitze noch mehr Feuer. Basilio tanzt seine Variation elegant, ist jedoch noch nicht ganz der erprobte Partner für die souveräne Hashimoto.
Mit Wehmut genoss man den Pas de deux aus Roland Petits „Die Fledermaus“, da der charakterstarke Vladimir Shishov ab kommender Saison nurmehr als Ballettlehrer tätig sein wird. Er und Olga Esina zeigen gekonnt, was 1. Solotänzer auszeichnet, nicht nur eine selbstverständlich saubere Technik, sondern vor allem Stilsicherheit und Charisma.
Das einzige barfuss getanzte Stück, Cantata von Mauro Bigonzetti, wurde energisch und humorvoll von Alice Firenze und Eno Peci dargeboten, als Vertreter des Modernen eine hochkarätige Wahl!
Im folgenden Stück, Ochiba, zeigt Choreograph Patrick de Bana eine ganz andere Seite, viel ruhiger, als seine bisherigen Werke, und gekonnt setzt er die Minimal Music (präzise am Klavier: Shino Takizawa) um. Mit Nina Polakova und Manuel Legris höchstpersönlich wird auch Stille zum Tanzereignis.
Klassisch geht es mit dem Talisman-Pas de deux von Pjotr Gussew weiter, imponierend der Gastsolist Kimin Kim (Principal Dancer beim Mariinsky Theater) mit atemberaubenden Sprüngen und unumstrittener Bühnenpräsenz, als seine Partnerin debütiert Anastasia Nuikina, momentan noch im Corps de Ballet des Mariinsky Theaters, eine feine Tänzerin, jedoch mit einem Star wie Kimin Kim mitzuhalten, ist geradezu unmöglich.
Vor der 2. Pause (irrtümlich verliessen einige den Zuschauerraum, da das letzte Stück vom Tonband kam) gab es noch einen Ausschnitt aus der „Artifact Suite“ von William Forsythe. Unermüdlich im Einsatz: die schwerelos umherwirbelnde Natascha Mair und Davide Dato, sowie auch Madison Young mit James Stephens, Oxana Kiyanenko mit exakten Armbewegungen und das Corps de Ballet.
Im 3. Teil wurde der 3. Akt von Manuel Legris‘ „Sylvia“ präsentiert, die brillante Nikisha Fogo begeisterte in der Titelpartie ebenso wie der springfreudige Denys Cherevychko und (kurz aber eindrucksvoller Auftritt) Davide Dato als Orion und Ketevan Papava als Diana. Flinke Sprünge gab es auch bei Géraud Wielick (Eros), Dumitru Taran (Faun) und Scott McKenzie (kleiner Hirte) zu bewundern. Die Jägerinnen wurden anmutig von Elena Bottaro und Adele Fiocchi getanzt, und das ganze Corps de Ballet erfreute durch Spielfreude und Energie bis zum Schluss.
Last but not least, das Orchester der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Kevin Rhodes (einen besseren Dirigenten hätte man für dieses vielseitige Programm wohl kaum finden können!) begleitete den Tanzmarathon mit facettenreichen Klängen, gleich zwei beachtliche Bratschensoli (Romeo und Julia, Coppélia) gab es, und auch der Konzertmeister hatte die höchsten Töne in „Dornröschen“ und „Schwanensee“ gut im Griff.
Nach fast 4 1/2 Stunden Höchstleistung und grossem Applaus wurden Madison Young und Elena Bottaro zu Solotänzerinnen, Arne Vandervelde und Navrin Turnbull zu Halbsolisten befördert, die Company verlassen Nina Tonoli, Vladimir Shishov, Alena Klochkova und Kamil Pavelka.
Nhste Vorstellung mit dem Wiener Staatsballett nach der Sommerpause: 13. September 2019 „Sylvia“
Katharina Gebauer, 29.6.2019
Bilder (c) Staatsballett