Wien: Balanchine/Liang/Proietto

am 1.11.2016

Starker Start, und ein vielseitiger, niveauvoller Abend

Die neue Première des Wiener Staatsballetts wird durch George Balanchines „Symphonie in C“ (Musik: Georges Bizet) eröffnet – ein Werk, welches sowohl von Solisten, als auch vom Corps de Ballet eine äusserst souveräne Technik abverlangt. Und ein „Tutu-Fest“ (Kostüme: Stephanie Bäuerle), welches einigen Zuschauern im Publikum ein zufriedenes „Ah“ entlockt, als sich der Vorhang hebt. Für die Einstudierung zeichnet sich Ben Huys verantwortlich, welcher mit dem hohcn Niveau des Wiener Staatsballetts seine Freude gehabt haben dürfte.

Das Hauptpaar des 1. Satzes ist mit den frischgebackenen Solisten Natascha Mair und Jakob Feyferlik wunderbar besetzt, es ist schlichtweg eine Freude, zuzusehen, wie locker und strahlend Mair die technischen Anforderungen meistert und Feyferlik ist mit seiner jugendlichen Frische ein kongenialer Partner für sie. Im 2. Satz erlebt man mit der 1. Solotänzerin Liudmila Konovalova – welche leider verletzungsbedingt im dritten Teil „Blanc“ ausfiel und deswegen ausschliesslich den Balanchine tanzte – eine pure Ästhetik, mit einer Ruhe und Sicherheit kostet sie jede Balance aus, und kann sich stets auf den eleganten Vladimir Shishov verlassen. Brillant und freudig reüssieren anschliessend Nina Tonoli und Denys Cherevychko als hervorragendes Hauptpaar im 3. Satz, während der 4. Satz souverän von Alice Firenze und Robert Gabdullin bestritten wird. Bei den zahlreichen Solopaaren fallen Adele Fiocchi und Eszter Ledan besonders positiv auf. Überhaupt hat hiermit das gesamte Wiener Staatsballett wieder einmal seinen 1A Status in der internationalen Ballettwelt bestätigt, gerade mit einem Werk wie diesem sind sowohl Solisten, als auch Corps de Ballet gefordert. Das Publikum belohnte die Leistung mit begeistertem Applaus.

Nach der Pause gelangte das Werk „Murmuration“ vom Taiwanesen Edwaard Liang zur Wiener Erstaufführung. Die Musik stammt von Ezio Bosso, das Violinkonzert Nr. 1, welches von der Konzertmeisterin Albena Danailova bis in die höchsten Töne expressiv und brillant dargeboten wurde. Während im 1. Satz noch eine weisse Wand mit Schattenprojektionen im Hintergrund als Bühnenbild diente, wurde diese für den 2. und 3. Satz beiseite geschoben und Federn schneiten herab, was dem Zuschauer gerade in Kombination mit der äusserst geschmeidigen, ästhetischen Choreographie den Eindruck vom steten Fliegen gab. Sehr passend dazu waren auch die stilvollen Kostüme der Damen, welche mit einem leichten Schleier das Gefühl vom Fliegen noch mehr unterstützte. Und die Leistung der Tänzer – vor der Pause noch im neoklassischen Stil mit zahlreichen Pirouetten, Sprüngen, nach der Pause gleich eine andere Welt – ist enorm! Besonders berührend gelingt der Pas de deux mit Nina Polakova und Roman Lazik (die beiden tanzten bereits im Juni bei der Nurejew Gala einen Pas de deux von Liang, sind also mit dessen Stil bestens vertraut), aber auch Ioanna Avraam, Alice Firenze und Eszter Ledan, sowie Jakob Feyferlik, James Stephens und Leonardo Basilio zeigen modernen Tanz auf höchstem Niveau. Tosender Applaus für die Tänzer und Edwaard Liang.

Nach einer weiteren Pause erwartete die Zuschauer eine Uraufführung: „Blanc“ von Daniel Proietto, welcher schon in der Nurejew Gala 2016 mit seinem Werk „Cygne“ einen sensationellen Erfolg feierte. Mit „Blanc“ hat er eine Hommage an „Les Sylphides“ geschaffen und verknüpft gekonnt klassisches Ballett mit zeitgenössischem Tanz. Die Musik ist von Mikael Karlsson und Frédéric Chopin, am Klavier brilliert Maria Radutu. Als Poet gibt der Schauspieler Laurence Rupp (verstärkt, da er immer wieder übers Orchester zu sprechen hat) sein Hausdebüt.

Die Geschichte handelt von einem Poeten, welcher aus seiner düsteren Umgebung sich in eine Traumwelt flüchtet, zwei weisse Wände im Hintergrund (Bühnenbild: Leiko Fuseya), auf welche immer wieder Schatten von einer Waldlichtung projiziert werden, symbolisieren die leeren Seiten. Sylphiden erscheinen, eine löst sich besonders anmutig aus der Gruppe und entpuppt sich als Muse. Wieder alleine gerät der Poet in die Welt der Negation, während sich das Bühnenbild wie ein Negativ einer Fotographie ändert und auch die Kostüme (Stine Sjogren) und Make Up der negativen Sylphide und der zwei negativen Poeten sind der Negativperspektive angepasst. Der Schatten des Poeten irrt ziellos umher, erinnert sich an seine Muse. Schliesslich findet sich der Poet am Flussufer, abseits eines rauschenden Festes. Eine Frau (die Muse) erscheint, diesmal in der realen Welt. Es gelingt dem Poeten nicht, mit ihr zu sprechen, da seine Worte ohne Zusammenhang sind. Er bleibt alleine.

Wenngleich der Schluss sehr abrupt wirkt, so gelingt es Daniel Proietto sehr wohl, dramatische und anmutige Momente zu schaffen, und gerade mit einer starken Persönlichkeit wie Ketevan Papava hat er eine wunderbare Muse/Sylphide, die jeden Ausdruck vermitteln kann und dabei mit einer herrlichen Eleganz den sensationellen Eno Peci als Schatten des Poeten zum Tanz verführt. Hervorragend sind auch Natascha Mair als negative Sylphide und Davide Dato und Masayu Kimoto als negative Poeten, welche einen packenden Pas de trois zum Besten geben. Und Ioanna Avraam, Nina Tonoli und Eszter Ledan machen als drei führende Sylphiden mehr als nur eine gute Figur.

Ein grosses Lob gilt auch dem Orchester der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Fayçal Karoui, das durch die verschiedenen Stile sehr facettenreich und vor allem in Bizets 2. Satz mit einem wunderschönem, weichen Piano-Klangteppich das Ohr erfreute!

Katharina Gebauer 3.11.16

Bilder (c) Staatsballet

Folgevorstellungen: 4., 5., 18. November 2016