Uraufführung am 11.4.2019
Zwischen Schein und Sein
Schnell noch auf den aktuellen Greta-Zug von Klimaschutz und Kampf gegen Umweltverschmutzung aufgesprungen ist man in der Deutschen Oper in Zusammenarbeit mit der Hochschule Hanns Eisler bei dem vierten Wettbewerb im Rahmen von Neue Szenen, alle zwei Jahre ausgetragen und jungen Komponisten die Gelegenheit gebend, zu einem aktuellen Thema zwanzig bis dreißig Minuten lange Opernszenen zu komponieren.
Das hatte bei dem Thema Stasi-Spitzel zu interessanten Ergebnissen geführt, da es mit konkreten Situationen und realen Menschenschicksalen verknüpft war. In diesem Jahr war der Marianengraben mit seinen 11000 Metern Tiefe das Thema, das gleichermaßen zum Erforschen einladende wie mit Vernichtung des Lebens dräuende Thema, das von den drei Preisträgern auf sehr unterschiedliche Weise aufgegriffen bzw. verfehlt wurde. Dabei verzichtet selbst der gelungenste der drei Versuche, die Aufgabe zu bewältigen, nicht auf ein wie angeklebt wirkendes „Die Erinnerung an die Vergangenheit wird zum Totentanz der Konsumgesellschaft“. Davon ist im Libretto für „Am Grund gibt’s keinen Grund mehr nach dem Grund zu fragen“ von Fanny Sorgo nicht die Rede, sondern von dem unterschiedlichen Reagieren dreier Forscher auf die Nachricht, man habe auf dem Weg zum Grund des Meeres nur noch 25 Minuten Sauerstoff zum Überleben an Bord des Tauchobjekts. Darauf antworten die drei an Bord befindlichen Forscher unterschiedlich mit Selbstmord, Aufbegehren und Akzeptieren. Die Komposition gliedert sich in 7 Phasen, jede einer der sieben Todsünden zugeordnet und von Sven Daigger in die einprägsamste und unverwechselbarste Musik des Abends gesetzt.
Ivan Ivanov, der für die Bühne verantwortlich ist, hatte die Idee zu dem durchsichtigen U-Boot, in dem nach dem Ableben die rechtmäßigen Bewohner des Meeres, die Fische, wieder die Herrschaft übernehmen. Ansprechend sind die Gesangsleistungen für die drei dem Tod geweihten Forscher durch Janneke Dupré (Dr. Mark), Caroline Schnitzer (Dr. Lior) und Hubert Kowalszyk (Dr.Scholl). Der Sinn des Auftauchens einer Ophelia (Stella Hanbyul Jeung) vermag sich in dem ansonsten solide gearbeiteten Werk nicht zu erschließen.
Ohne Pause ging es weiter mit Eurydike, Libretto von Uta Bierbaum, Musik von Feliz Anne Reyas Macahis und Inszenierung von Johanna Frech. Als störend erwies sich in diesem Teil der ständige Wechsel der sprachlichen Äußerungen zwischen Hochtrabendem und Banalem („Knaller an Ekligkeit“, dass Eurydike „sich aus dem Staub macht“)), zwischen deutscher und englischer Sprache. Die Verballhornung der griechischen Sage, die Aufspaltung des Orpheus in einen Schauspieler und einen Sänger, das sinnlose Herumturnen in dem Walfischskelett ließen das Interesse an dem Werk schnell ermüden.
Nur der Sänger des Orpheus, Changbo Wang, konnte sich vokal profilieren, die Aufspaltung der Eurydike in drei unterschiedliche Personen entbehrte jeder Notwendigkeit oder Glaubwürdigkeit, weder die Handlung, noch die Musik konnten das Interesse an dieser „Kammeroper“ auch nur über die vorgesehene halbe Stunde wachhalten.
Gar nicht mehr um den Marianengraben, sondern nur über den beschwerlichen Gang ans Meer ging es im dritten Stück, „Aufbruch“, mit dem Libretto von Debo Kötting, der Musik von Josep Planelis Schiaffino in der Inszenierung von Selina Thüring. Viele klitzekleine, mittelgroße und ein riesengroßer Ball von gelbem Flausch, dazu noch eine riesige Pappmachéschnecke oder zwei kleine Wildschweine konnten das Interesse an den drei zum Meer aufbrechenden Figuren nicht wecken oder gar wachhalten. Bei keinem anderen Stück war die Diskrepanz zwischen dem Anspruch, den die Äußerungen im Programmheft stellten, und der Ausführung auf der Bühne so groß wie hier. Man fragte sich, was die Flügel für die drei Hauptakteure sollten, das Bällespucken und –kacken der beiden Mitakteure, die um die drei Sänger herumsprangen und vorzugsweise mit dem Po wackelten, warum ein weiterer Akteur als einzige Aufgabe das Stürzen mit dem Fahrrad zugeordnet bekommen hatte, eine grimmige Dame in weißen Volants auftauchte und es schließlich eine Unzahl gelber Tennisbälle regnete.
Dabei waren auch in dieser Episode die Sänger gut und hätten mehr Aufmerksamkeit verdient, als ihnen Text, Musik ( die in den textfreien Passagen durchaus für Atmosphäre sorgte) und Realisierung des Stücks bieten konnten. Auch das Echo Ensemble der Hochschule, dem eine große Anzahl asiatischer Musiker angehören, unter der umsichtigen Leitung von Manuel Nawri ist nur zu loben. „Irgendwann kommen wir an einen Ort, an dem wir das Sein erleben“, heißt es im Programmheft, und irgendwann bringt man nicht mehr die Geduld auf, den Spagat zwischen Riesenanspruch, „eine Metapher für das Leben“ zu sein, und mickriger Ausführung zu tolerieren. Es sei denn, es handelt sich um so junge Leute, die noch dazulernen können.
Fotos (c) Max Zerrahn
Ingrid Wanja 12.4.3019