13. August 2022 Frauenkirche Dresden
Die japanische Stargeigerin begeht ihr vierzigjähriges Konzertjubiläum
Im Jahre 1963 hatte der italienisch-amerikanische Geiger Ruggerie Ricci (1918-2012), unterstützt von dem polnischen Pianisten Leon Pommers (1914-2001), in einer LP-Einspielung „The Glory of Cremona“ 15 Violinen aus den Cremonaer Werkstätten von Andrea Amati (um 1505-1577), Gasparo da Salo (1540-1609), Nicola Amati (1596-1684), Antonio Stradivari (1648-1737), Carlo Bergonzi (1683-1747) und Guiseppe Guarneri del Gesù (1698-1744) mit Tonbeispielen, die er für die jeweiligen Instrumente für besonders geeignet hielt, vereinigt. Der Gesamtwert der Instrumente würde nach heutigen Schätzungen weit über zehn Millionen US-Dollar betragen.
Diese Besonderheit ergänzte Rucci mit einer 7“- Vinyl mit kurzen Solo-Anspielungen des 1. Violinkonzertes von Max Bruch.
Obwohl mir von Riccis Einspielung nur eine Compact-disk und einige You-Tube-Schnipsel zur Verfügung stehen, folge ich gern den gehäuften Beurteilungen vieler Kenner, dass die Violine „ ex-Huberman“ aus der Werkstatt Guarneris, insbesondere bei den Bruch-Anspielungen, bezüglich Komplexität und Oberklang, der Stradivari-Phalanx den Rang abgelaufen habe. Das Instrument war gemäß Cozio-Archiv-Nummer 40406 vermutlich im Jahre 1731 von Bartolomeo Guiseppi Guarneri, gefertigt worden. Guarneri wurde wegen der IHS-Kennzeichnung (lesum Habemus Socium= wir haben Jesus als Gefährten) seiner Zettel als „del Gesù“ (von Jesus) benannt.
Der wahrscheinlich wichtigste Violinsolist der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Bronisław Huberman (1882-1947), spielte das Instrument vor allem, nachdem ihm 1936 seine Stradivari „ Gilbert ex Gibson“ von 1713 gestohlen worden war. Huberman, der sich selbst als „Pole, Jude, Freier Künstler und Pan-Europäer“ charakterisierte, war der Gründer des Vorlauf-Klangkörpers des „Israel Philharmonic Orchestra“, hatte aber auch 1938 den Boykott der Musik Richard Wagners in Israel durchgesetzt.
Mit dem Versterben des Diebstahl-Hehlers Julius Altmann (-1986) erhielt die Stradivari nach einem halben Jahrhundert anonymer Dienste für Salonmusik- und Orchestereinsätze ihre Identität zurück. Da war aber Huberman bereits fast 30 Jahre tot.
Derzeit wird die Violine als Stradivari „Gibson ex Huberman“ von Joshua Bell gespielt, nachdem er das aufwendig rekonstruierte Instrument für fast vier Millionen US-Dollar ersteigern konnte.
Das nach Aussage von Paul Caswell „Guarneri-Siegerinstrument“ war nach Hubermans Tod vom Instrumentenbauer und Sammler Rembert Wurlitzer (1904-1963) übernommen und 1956 aus dessen Sammlung an Ruggiere Ricci ver-kauft worden.
Zur Geschichte der „Guarneris del Gusì ex-Huberman“ gehört auch, dass Rucci im Jahre 1985 an die Instrumentenbauer Gregg T Alf und Joseph Curtim den Auftrag erteilte, das Instrument mit zeitgenössigen Möglichkeiten nachzubauen. Der gelungene Nachbau wurde 2013 beim Instrumenten-Auktionshaus „Tarisio“ wegen seiner Klangqualität für 132.000 US-$, dem bisherigen Höchstpreis der für eine Violine eines zeitgenössigen Instrumentenbauers erzielt worden ist, versteigert.
Das Original-Instrument „Guarneris des Gusi ex-Huberman“ erwarb um die Jahrtausendwende die „Familienstiftung Hayashibara“ und stellte es der japanischen Ausnahmesolistin Midori lebenslang zur Nutzung zur Verfügung.
Am 30. Dezember 1982 hatte sich die elfjährige Gotö Midori in einem Konzert der New York Philharmonic zum ersten Mal als Violine-Virtuosin öffentlich vorgestellt. Mit einem eisernen Perfektionsstreben, aber immer wieder von Minderwertigkeitsgefühlen und Selbstzweifeln geplagt, entwickelte die junge Frau als „MIDORI“ eine unvergleichliche Solistenkarriere. Nach Krisen von Depressionen und Magersucht-Erkrankungen gelang ihr, immer wieder Stabilität und Zuversicht zu gelangen, so dass sie mit einer Welt-Tournee für das Ende des Jahres ihr vierzigjähriges Bühnenjubiläum vorbereiten kann.
© Jörg Schöner
Am 13. August 2022 hatte sie in der Dresdner Frauenkirche Station genommen, um sich mit dem Violinkonzert D-Dur von Johannes Brahms und der phantastischen „ Guarineri ex-Huberman“ gemeinsam mit dem „Moritzburg Festival Orchester“ zu präsentieren.
Im Jahre 2006 hatten wir in einem Konzert in Braunschweig Midori noch als eine zurückhaltende junge Frau empfunden, die sich dem Dirigenten und Orchester nahezu unterordnete, und ihr Publikum vor allem mit ihrer Virtuosität beeindrucken konnte.
Im vierzigsten Jahr ihrer Konzerttätigkeit erlebten wir eine Solistin, die sich selbstbestimmt neben dem Orchester den Fährnissen der Klangentwicklung im Kuppelbau entgegenstemmte.
Dem Vernehmen nach hat der bekennende Pianist Johannes Brahms (1833-1897) sein Violinen-Konzert im Sommer 1878 in Pörtschach am Wörthersee, wo „die Melodien nur so herumliegen“, geschrieben. Im gleichen Zeitraum entschloss sich der 45-Jährige, der sich bis dahin immer glatt rasiert zeigte, sich künftig nur noch vollbärtig seinen Anhängern zu zeigen. Irgendetwas ist da mit dem Mittvierziger passiert, dessen Erklärung uns die Musikwissenschaft noch schuldig bleibt.
Zumindest wollte der Komponist seinen Versuch eines Violinkonzertes auf einer Tournee vorstellen, aber sein Freund Joseph Joachim (1831-1907) hatte die Sache so gedeichselt, dass das Konzert unbedingt in Leipzig, also in einer damaligen Zentrale der Musikwelt, präsentiert werden sollte.
Brahms hatte sich bei einem Besuch vor dem Konzert verplaudert, so dass ihm nicht ausreichend Zeit zum Umkleiden blieb. Mit rutschenden Hosen, ungeordnetem Hemd stand der Schöpfer des Werkes am 1. Januar 1879 im Gewandhaus und konnte zunächst nur einen mäßigen Erfolg seines D-Dur-Violinkonzertes konstatieren. Erst Wochen später hat Eduard Hanslick (1825-1904) den Erfolg des Brahms-Opus 67 eingeleitet, indem er es in eine Reihe der Beethoven- und Mendelssohn-Violinkonzerte stellte. Da, wo wir es ob seiner lyrisch-heiteren, innigen Ausdruckshaltung, seiner klassischen Ausgewogenheit so wie seiner Vollendung des Stils noch immer sehen.
Fast geheimnisvoll kam die Einleitung des Brahms-Violinkonzertes vom „Moritzburg Festival Orchester“ in den Raum der Frauenkirche und löste unmittelbare Erwartungen und Emotionen aus. Aber bereits die ersten Feinheiten des Auftaktes werden vom Nachhall überdeckt. Zart versuchte sich die Solo-Violine der Midori vergeblich dem Orchesterklang beizumischen, um die Herrschaft von den Streichern der Kapelle zu übernehmen. Mithin wurde klar, dass wir uns auf das wunderbare Instrument fokussieren müssen, wenn wir vom Konzert etwas mitnehmen wollen.
Die mit filigraner Instrumentalkunst sowie hoher Durchsetzungsfähigkeit ausgestattete versierte Technikerin formte die melodischen Linien der Partitur hell-glänzend und nuancenreich. Insbesondere beim Spiel des Kopfsatzes ließ sie sich Zeit und versuchte immer die Erhaltung der Klarheit des Klanges und die Reinheit der melodischen Linienführung zu erhalten.
Dabei unterstützte sie der volle, etwas dunklere Klang der Guarneris-Violine auf das Vortrefflichste.
Mit ihrer Adagio-Interpretation versuchte Midori immer wieder Interpretationsräume zu öffnen, um verborgene Schönheiten zu entdecken. Dabei verfügte ihr Spiel über einige schöne, zarte Wendungen, die zu seltener Intimität führten.
Fast gegensätzlich nutzte sie den folkloristisch gefärbten Finalsatz, um ihrem allgemeinen Gefühl von Freude und Energie Ausdruck zu verleihen.
Der Dirigent des Abends, der Katalane Josep Caballé Domenech, hatte eine offene Herangehensweise der Orchesterbegleitung bevorzugt und war Auseinandersetzungen mit der Solistin ausgewichen. Seine ruhigere und geschickte Behandlung der Holzbläser- und Streicherpassagen war dem Gesamteindruck zuträglich. Auftrumpfende Tutti-Stellen ließen die akustischen Verhältnisse im Kuppelbau ohne hin nicht zu.
Von den Besuchern des Konzertes wurde die Solistin heftig gefeiert und bedankte sich mit einer Zugabe.
Die im zweiten Teil des Konzertes angekündigte Darbietung von Beethovens siebter Symphonie A-Dur konnte ob der Klangentwicklung im Kirchenraum nur problematisch werden.
© Oliver Killig
Thomas Thielemann, 14.8.22